Wiedersehen

Zielgerichtet geschaltete Onlinewerbung funktioniert besser als flächendeckende Streuverteilung. Für die Nutzer ist die relevante Anzeige ebenfalls die pannendere. Aber wer gut zielen will, muss vorher viele Daten sammeln. Und nicht alles ist unumstritten.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Frank Puscher
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Ich habe früher versucht, die Autoanzeige in die Autorubrik der FAZ zu bekommen“, erläutert Oliver Busch im Interview mit einem Branchenblatt, „aber noch viel lieber habe ich die Cabrioanzeige – eben frisch geshootet – neben den Cabrioartikel in der FAZ versucht zu bekommen, wenn mir die Redaktion vorher verraten hat, wann der erscheint“ (der Link zum Interview findet sich im iX-Link).

Busch spricht vom sogenannten semantischen Targeting, einer angesagten Werbeform im Onlinemarketing. Er war deutscher Geschäftsführer des Werbevermarkters AdPepper (www.adpepper.com) und versuchte, Onlinewerbung auf Websites zu platzieren. Und zwar dort, wo sie die größte Wirkung erzielt, denn das Erlösmodell von AdPepper basiert auf Provisionen dafür, dass Nutzer die gezeigten Produkte kaufen, einer Versicherung ihre Adresse überlassen oder – wie im Falle des Cabrios – eine Probefahrt vereinbaren.

Mit Targeting funktioniert das besser. eMarketer (www.emarketer.com) etwa berichtet von einer Studie aus dem Jahr 2009, für die Werbeschaltungen aus den größten amerikanischen Werbenetzen geprüft wurden [b]. Mit dem Ergebnis, dass zielgerichtet ausgelieferte Werbung die doppelte Wirkung im Vergleich zur Streuverteilung erzielt. Die Wirkung in der Onlinewerbung misst die Konversionsrate; die wiederum benennt den Anteil der Nutzer, die letztlich aufgrund der Anzeige ein Produkt kaufen oder eine Anmeldung vollziehen, gemessen an der gesamten Nutzerzahl.

Was sich harmlos anhört, ist in Wirklichkeit ein potenzielles Minenfeld. Die Variante des semantischen Targeting bildet nur die harmloseste Form der zielgerichteten Schaltung von Werbung. Sie verzichtet darauf, Nutzerprofile anzulegen und konzentriert sich ganz auf die Inhalte der gerade besuchten Website.

Die oberflächlichere Erscheinungsform dieses Ansatzes ist das Content Targeting (die Platzierung von Werbung in einem redaktionell passenden Umfeld). Semantisches Targeting geht einen Schritt weiter und versucht, innerhalb der Inhaltsrubrik Unterschiede auszumachen. So soll die Smart-Werbung eben nicht dort auftauchen, wo der Leser sich mit Familien-Vans beschäftigt. Fortgeschrittene Formen des semantischen Targeting lernen sogar von der Entwicklung innerhalb der Seiten. Sie analysieren nicht nur den Artikel selbst auf Inhalte, sondern darüber hinaus Kommentare von Lesern.

Eher harmlose Formen des Targeting beschränken sich auf technische Daten. So kann das verwendete Betriebssystem oder der Browser Auskunft darüber liefern, wie affin ein Nutzer dem Thema Technik gegenübersteht. Die IP-Adresse, mit der sich der Browser zu erkennen gibt, weist oft auf einen geografischen Standort hin. Das lässt sich bei Bedarf in passende Werbung umwandeln.

Während die einmalige Erfassung des Nutzers und die passende Werbeauslieferung eher unproblematisch sind, kann dieselbe Technik herangezogen werden, einen früheren Besucher mehr oder weniger präzise wiederzuerkennen. Die Kombination verschiedener Merkmale bis hin zu installierten Schriften und Plug-ins ist jeweils eine einzigartige Mischung. Speichert man diese Rechner-Identifikation mit einer Beschreibung der Seiten, die ein Nutzer aufgerufen hat, so entsteht ein Verhaltensprofil. Die Auslieferung von Onlinewerbung basierend auf solch historisch beobachtetem Verhalten heißt Behavioral Targeting (BT).

Das Beobachten des technischen Fingerabdrucks ist freilich meistens gar nicht nötig. Es genügen Cookies, die anhand einer Identifikationsnummer der Webanalyse-Software präzise Auskunft über die Wege geben, die ein Browser auf einer Webseite beschritten hat – über mehrere Besuche hinweg. Die oben genannte Studie der von eMarketer referenzierten Network Advertising Initiative bezog sich auf den Vergleich von Streuverteilung und Behavioral Targeting.

Behavioral Targeting hört sich stark nach Big Brother an, ist es aber nur zum Teil. Bislang weiß der aufzeichnende Rechner noch nichts über den Menschen an der Tastatur. Das merkt, wer beispielsweise einen Familienrechner mit seinen Verwandten teilt. Schon bricht verhaltensbasiertes Vorschlagswesen in sich zusammen. Sollten sich iPads als Haushaltswerkzeug zum Couch-Surfing durchsetzen, dürfte das ein spannendes Thema werden. Zwar kennen iPads keine Benutzerkonten, aber wenn jeder eins hat…

Datenschützer ziehen die Konfliktlinie bei „personenbezogenen Daten“, die es ermöglichen, einen einzelnen Nutzer mit Namen und Adresse zu identifizieren. Die erwähnte IP-Adresse kann das, denn der Provider führt Listen darüber, wer wann mit welcher IP im Netz unterwegs ist. Aus diesem Grund sieht das Telemediengesetz (§ 15 Abs. 3 TMG) vor, dass Targeting-Unternehmen die IP-Adresse von hinten her verkürzen. Der Anbieter und dadurch die Ortskennung sind vorne in der IP-Adresse abzulesen und bleiben somit erhalten.

Die Möglichkeit des Opt-out auf der Herstellerseite des Targeting-Systems geht Datenschützern nicht weit genug (Abb. 1).

„Es geht nicht darum, den Leser zu finden, sondern nur sein statistisches Modell“, erläutert Stephan Noller, der Gründer von Nugg.ad, einem Anbieter für Behavioral Targeting im deutschsprachigen Raum. Nugg.add – seit Kurzem eine Tochter der Deutschen Post – verzichtet vollständig auf die Registrierung von IP-Adressen. Die Hamburger können das Gütesiegel EuroPriSe [a] vorweisen, das die datenschutzkonforme Verwendung der Technik belegt.

Im Interview mit Zeit Online ließ Noller sich sogar zu der Aussage hinreißen, dass es keinen Werbekunden interessiere, welche Krankheiten ein Nutzer bei Google sucht. Doch eine einfache Google-Suche nach „Gallensteine“ ergibt beispielsweise Anzeigen vom Pharmariesen Stada.

Wissen wollen die Werber schon, welche Vorlieben ihre Nutzer haben. Nur hat individualisierte Werbung ein Reichweitenproblem. Man müsste den einzelnen Nutzer bald nach einer Erfassung seines Surfverhaltens wiederfinden, um ihm passende Werbung zu liefern. Das geht nur über Werbenetzwerke, die mehrere Websites im Portfolio haben. Nur hier sind die gesamten Abrufzahlen so hoch, dass statistisch gewährleistet ist, einen gewissen Prozentsatz der Nutzer mit Maßnahmen des Behavioral Targeting zu erreichen.

Um mehr Reichweite zu erzielen und genauere Datensätze zu erhalten, vermischen Marketingexperten die gemessenen Daten der Nutzer mit allgemeinen statistischen Daten. Dadurch entsteht eine gewisse Vorhersagbarkeit von Nutzermerkmalen und -verhalten. Die Rede ist vom Predective Behavioral Targeting. Es soll Nutzerinteressen antizipieren, damit man den Anwendern beim nächsten Kontakt passende Werbung einblenden kann. Dadurch, dass die Verhaltensmodelle umfassender sind, können die Vermarkter bei diesem Ansatz aus einem größeren Pool an Kampagnen und Werbemitteln schöpfen.

Weil selbst die größten Einzelvermarkter wie IP Deutschland, Tomorrow Focus oder Gruner&Jahr Media Sales häufig die von der Werbeindustrie gewünschte Reichweite verfehlen, schlossen sie sich dieses Jahr zu zwei Konsortien zusammen. Die vorgenannten gründeten gemeinsam mit SevenOne Intermedia gleich eine eigene Firma namens AdAudience. Axel Springer, OMS (regionale Tageszeitungen), mobile.de und iq digital media marketing (VZ-Netzwerke, Handelsblatt.com, Zeit.de) bilden eine formlose Allianz.

Die derzeit umstrittenste Werbemethode ist das Retargeting. Dienstleister wie Criteo, ValueClick, mediascale, comScore und andere versuchen, verloren gegangene Kunden im Netz zu finden und ihnen Produkte schmackhaft zu machen, die sich der Kunde vorher im Onlineshop angesehen hat. Retargeting-Kampagnen versuchen, über Wochen hinweg immer wieder die gleichen Produkte an den Mann zu bringen. Wer derlei testen will, schaue sich ein Paar Schuhe bei mirapodo an und bemerke in den Folgetagen, wie diese Schuhe systematisch rund um den Inhalt anderer Websites erscheinen. Unter Umständen sogar lange Zeit, nachdem ein Kauf – auf einer anderen Plattform – stattgefunden hat.

Zu hart eingestellt: Obwohl ein Kauf über eBay stattgefunden hat, blendet das Criteo-Banner immer noch passende Vorschläge ein (Abb. 2).

Retargeting ist letztlich nur eine Frage der Systemkonfiguration. Anbieter wie Criteo können Kappungsgrenzen einrichten, die vorsehen, dass der Nutzer maximal drei-, fünf- oder zehnmal Retargeting-Werbung zu sehen bekommt und danach nicht mehr. Kappungsgrenzen sind ein Verfahren, das in der Onlinemarkenwerbung gang und gäbe ist, weil Unternehmen fürchten, den Nutzer mit zu viel immer gleicher Werbung zu belästigen und somit dem eigenen Image zu schaden. Aber logischerweise reduziert die Kappungsgrenze die Zahl der Werbeeinblendungen einer Kampagne.

Kritik am Retargeting zielt vor allem darauf, dass es auf Daten aus aktuellen, nicht abgeschlossenen Kaufprozessen zurückgreift. Holt der Nutzer etwa nur eine Preisauskunft bei einem Anbieter ein, wird der betrachtete Artikel eventuell schon Teil einer Retargeting-Kampagne. Mitunter gehen einzelne Anbieter so weit, dass sie komplette Warenkörbe wiederherstellen, die ein Nutzer verworfen hat. Dabei könnte man den Kaufabbruch des Nutzers explizit als Statement gegen das Angebot oder den Anbieter verstehen. Und somit als Statement gegen diese Art von Werbung.

Behavioral und Retargeting sind aus Sicht der Datenschützer umstrittene Verfahren. Sie hätten am liebsten die Situation, dass Websites eine explizite Erlaubnis einholen müssen, bevor sie beginnen, das Verhalten der Nutzer aufzuzeichnen. Derzeit belassen es die meisten beim entsprechenden Hinweis in den AGB. Das EuroPriSe-Gutachten von nugg.add erwähnt, dass der Anbieter seine Kunden – die Websitebetreiber – darauf hinweist, den Einsatz das Targeting zu erklären. Ob die Site-Betreiber dass tatsächlich tun, liegt nicht mehr in der Hand von nugg.ad.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Speicherung der Daten im Ausland. Hier haben der deutsche Datenschutz und das Telemediengesetz eventuell keine Handhabe gegen Missbrauch. Die Diskussion entzündete sich vor drei Jahren an der massenhaften Einbindung des Webanalyse-Verfahrens Google Analytics. Der jeweilige Sitebetreiber übergibt die Verhaltensdaten seiner Nutzer an Google. Theoretisch könnte Google an anderer Kontaktstelle aufgrund dieser Daten personalisierte Werbung einblenden, etwa auf google.de oder in den E-Mails von Gmail.

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Selbstverpflichtung funktioniert

Die EU-Kommissarin für die Digital Agenda, Neelie Kroes, mahnte Anfang September die Vermarkter und Agenturen, einen eigenen Kodex für den Umgang mit Daten zu erstellen, die beim Targeting erhoben werden. Ein grundsätzliches Opt-out, bei dem jede Zustimmung zu Targeting explizit vom Werbetreibenden eingesammelt werden muss, lehnt die EU-Kommissarin ebenso ab wie ein allgemeines Opt-in. „Wir wollen Lösungen verhindern, die das Nutzererlebnis stören“, so Kroes. Die Lösung soll einfach funktionieren, vielleicht aufgrund einer Browsereinstellung aufseiten des Nutzers.

Für Kroes ist allerdings klar, dass dringend gehandelt werden muss: „Es reicht jedoch nicht aus, die Information tief in den Datenschutzbestimmungen einer Webseite zu verstecken.“

Die Leitlinien einer Branchen-Selbstregulierung, die sich Kroes für eine Branchen-Selbstregulierung vorstellt, lauten:

  • Transparenz, damit Anwender über Targeting informiert werden
  • Zustimmung des Anwenders zur Nutzung seiner Daten
  • nutzerfreundliche Lösung, vorzugsweise in den Browsereinstellungen
  • effektive Umsetzung

Der Bundesverband digitale Wirtschaft (BVDW), das hierzulande führende Gremium für Fragen der Onlinewerbung, begrüßt den Kompromissvorschlag. Erleichterung ist bei den Digitalwerbern zu spüren, denn noch im September hatten Deutschlands Datenschützer im Stralsunder Beschluss gefordert, dass jegliche Speicherung von IP-Adressen und technischen Merkmalen, die zur Identifikation des Nutzers herangezogen werden, einer expliziten Zustimmung bedürfe. Ein entsprechendes Gesetz würde nicht nur die Onlinewerber vor Probleme stellen. Auch die Analysesysteme der Site-Betreiber, mit denen sie die Bewegungsmuster der Nutzer verfolgen können, müssten bei jedem neuen Besucher einer Seite um Tracking-Erlaubnis bitten.

Eine fast identische Diskussion trifft derzeit Facebook. Wer auf einer Website einen Share- oder Like-Button anklickt, übermittelt diese Information nicht nur an seine Freunde, die im Facebook-Profil registriert sind, sondern darüber hinaus an Facebook selbst. Ähnlich wie Google verrät der Website-Betreiber Facebook, welches die beliebtesten Seiten in seinem Angebot sind. Weil Facebook mit den eingegebenen Profildaten in Kombination mit den unterschiedlichen aktuellen Vorlieben des Nutzers, die er über Like oder Share mitteilt, ein umfassendes Wissen über einzelne Nutzer aufbauen kann, ist der Datenschutz zu Recht alarmiert und fordert einerseits die explizite Einwilligung zur Datenspeicherung und andererseits die Option, einer Datenerhebung zu widersprechen.

Facebook ist mit 176 Mrd. Einblendungen (im ersten Quartal 2010) die größte Einzelwerbeplattform der Welt. Unter dem Begriff Zielgruppenoptionen bietet der Dienst Targeting-Optionen unter anderem basierend auf den Like- und Share-Präferenzen, was einem Behavioral Targeting recht nahekommt. Schon tauchen die ersten Social-Media-Vermarkter auf. Unternehmen wie RadiumOne versprechen, mit den Daten aus Social Networks die Werbeschaltung noch weiter präzisieren zu können.

Gut gemachtes Targeting wirkt. Die Werbeschaltungen lassen sich mit den neuen Techniken relevanter an Nutzerinteressen anpassen und erzielen höhere Klickraten. Die Nutzer stimmen mit diesen Klickraten ab, ob eine Werbung auf ihr Interesse stößt – oder nicht. Wenn die Onlinewerbeindustrie tatsächlich vor Selbstbewusstsein strotzt, was die Leistungsfähigkeit dieser Technik angeht, so sollte man die Gelegenheit nutzen und beim ersten Kontakt mit einer BT- oder RT-Kampagne beim Nutzer für die Vorzüge zielgerichtet gesteuerter Kampagnen werben. Gleichzeitig muss ein Statement klären, was mit den erhobenen Daten geschieht, um Misstrauen auszuräumen.

Wie wichtig das Thema Datenschutz werden kann, mag die aktuelle Entwicklung beim Hamburger Targeting-Spezialisten Wunderloop illustrieren. Das im Frühjahr in die Insolvenz geschlitterte Unternehmen wurde im August vom US-Wettbewerber AudienceScience übernommen. Bei der Übernahme stand nicht nur die Technik, sondern auch der datenschutzkonforme Umgang mit den Nutzerdaten im Vordergrund. Geschäftsführer Thorsten Ahlers sieht einen wachsenden Markt: „Die Datenschutzdiskussion beim Targeting ist ja jetzt auch in den USA angekommen“.

Versäumen die Werber und technischen Dienstleister diese Gelegenheit und sammeln weiter im Verborgenen, wird es zu Missbrauchsfällen kommen, die das öffentliche Ansehen des Onlinemarketing und der einzelnen Werber schwer beschädigen. Das musste vor Jahren schon Sony Music erleben, die mit heimlich von CD installierter Software versuchten, Raubkopierern auf die Schliche zu kommen. Das musste Google beim Mitschneiden von WLAN-Daten während Street-View-Rundfahrten erleben, und das erfuhr in kleinem Maße Facebook ebenfalls. Der 31. Mai war der – allerdings nicht gerade erfolgreiche – Quit-Facebook-Day.

arbeitet seit 16 Jahren als Berater, Autor und Journalist im Onlinemarketing. Er wohnt mit seiner Familie in Hamburg.

Alle Links: www.ix.de/ix1101076

(hb)