Das Wunder von Memphis

Im "SuperHub" des Paketdienstleisters FedEx kommen Warenströme aus der ganzen Welt zusammen - und er muss laufen wie ein Uhrwerk.

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Von
  • Jeffrey F. Rayport

Im "SuperHub" des Paketdienstleisters FedEx kommen Warenströme aus der ganzen Welt zusammen – und er muss laufen wie ein Uhrwerk.

Das Weihnachtsgeschäft, das am heutigen Heiligabend seinen Schlusspunkt erreicht, könnte ohne die globalen Logistikriesen nicht funktionieren. Daran erinnert auch der Slogan, der auf den Lieferfahrzeugen des Paketdienstleisters UPS prangt: "Synchronizing the World of Commerce" – der Welthandel, synchronisiert.

Beim Konkurrenten FedEx sieht man das ähnlich. Sein Gründer Fred Smith hat das Motto des großen Architekten Daniel Burnham verinnerlicht: "Mache keine kleinen Pläne. Sie haben nicht die Magie, das Blut der Menschen zum Kochen zu bringen."

Smiths Ideen für FedEx sind dementsprechend eher groß geraten. Eines der direkten Ergebnisse ist die Tatsache, dass die Firma mittlerweile die größte Luftfrachtfirma der Welt geworden ist. Sie beschäftigt 290.000 Menschen, unterhält eine Flotte aus 75.000 Lkws und besitzt und operiert 684 Jets. Das Unternehmen hat mehr Wide-Body-Flugzeuge als jede Fluglinie auf der Welt – inklusive Boeings 777, die nonstop zwischen Shanghai und Memphis fliegen kann.

Der in Memphis gelegene "SuperHub" ist das Herz des FedEx-Imperiums. Er erstreckt sich über ein Gebiet von knapp 6,5 Quadratkilometern, 30.000 Menschen arbeiten dort. Dagegen ist der "große Bruder" des Frachtflughafens, der Memphis International Airport, geradezu klein – jedenfalls in vielen Bereichen.

Der SuperHub ist eine Welt für sich: Er hat ein eigenes Krankenhaus, eine Feuerwehr, eine meteorologische Abteilung und einen eigenen Sicherheitsdienst. Auf dem Gelände sind Abteilungen des amerikanischen Zolls und des Heimatschutzministeriums untergebracht, genauso wie eine Anti-Terror-Einheit, über die niemand sprechen will. 20 Stromgeneratoren stehen jederzeit bereit, den Betrieb aufrecht zu erhalten.

In den Nächten jedes Werktages starten und landen hier 150 bis 200 Jets – alle 90 Sekunden einer. Selbst der Superjumbo 777 ist in einer halben Stunde entladen. Das alles erfolgt zwischen 23 Uhr und 4 Uhr nachts, Central Standard Time. Der SuperHub fertigt in dieser Zeit zwischen 1,2 Millionen und 1,6 Millionen Paketen ab. Zwischen dem amerikanischen Thanksgiving-Fest und Weihnachten waren das weltweit insgesamt fast 223 Millionen Sendungen. Erst kürzlich kam es zum geschäftigsten Montag der Firmengeschichte: 16 Millionen Pakete wurden da in der Nacht von FedEx auf der ganzen Erde bewegt.

Wenn man durch den SuperHub schreitet, erkennt man die Notwendigkeit einer hohen Arbeitsgeschwindigkeit. Flugzeuge landen andauernd und spucken übergroße Aluminium-Container aus. Pakete jeder Form und Größe werden in die Verarbeitungszentren geschickt – über ein Förderbandsystem, das seines Gleichen sucht. Nicht weniger als 2000 Fahrer mit Kleinlastern, Staplern und anderen kompakten Industriefahrzeugen schwärmen durch die Anlage. Um das alles zu kontrollieren, ist alles mit einem UPC-Strichcode markiert – jeder Mensch und jeder Gegenstand lässt sich durch den SuperHub verfolgen.

In der Sortierstation für Kleinpakete wird das besonders deutlich. Eine riesige, von FedEx selbst entwickelte Maschine bevölkert ein ganzes Industriegebäude. Sie kostete 175 Millionen Dollar und sortiert pro Nacht im Schnitt 1,2 Millionen Pakete. Dazu wird zunächst der Strichcode auf jeder Sendung mindestens 30 Mal gescannt. Jede Verzögerung im Prozess lässt sich so in wenigen Minuten aufdecken. Das System ist derart gut, dass sich mittlerweile selbst die staatliche US-Post in einzelnen Märkten an FedEx wendet, um die Sortierung auf der "letzten Meile" zu übernehmen – auch für Standardpost.

FedEx gilt in der Wirtschaft als diszipliniert und verlässlich, weswegen mittlerweile auch Sonderwaren mit dem Konzern verschickt werden – Krebsmedikamente, Transplantationsorgane, künstliche Gelenke, Kontaktlinsen, Chirurgenskalpelle, Spenderblut oder medizinische Geräte. Daneben sorgt das Unternehmen für die Logistik so unterschiedlicher Produkte wie Autoteile, Elektronikplatinen, japanische Kirschen, Parfüm, Lobster oder seltene antiquarische Bücher. Wenn es sein muss, erledigt FedEx auch den Transport arabischer Rennpferde oder antiker Oldtimer.

Bei alledem steht eine funktionierende Informationstechnik im Mittelpunkt. IT steigerte die Nachfrage nach FedEx-Diensten – beispielsweise durch den "Just in Time"-Computerhersteller Dell. Sie sorgte aber auch dafür, dass die Abläufe besser funktionieren. Firmengründer Smith erkannte, dass die Möglichkeit, den Paketlauf zu tracken, fast so wichtig ist wie der Inhalt der Fracht. Heute nutzt FedEx allerlei neue Techniken wie QR-Codes oder RFID. Damit lässt sich auf Wunsch sogar die Temperatur und Feuchtigkeit eines Pakets ermitteln, während es um die Welt reist.

Es gibt Beobachter, die halten den FedEx-SuperHub für eines der sieben industriellen Weltwunder – neben Toyotas Autofabriken oder Googles Rechenzentren. So falsch liegen sie wohl nicht. (bsc)