"Den richtigen Zeitpunkt verpasst"

Der Internet-Rechtsexperte Lawrence Lessig glaubt nicht, dass das Prinzip der Netzneutralität noch lange Bestand haben wird. Schuld sind für ihn vor allem die Regulierungsbehörden.

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Von
  • Brian Bergstein

Der Internet-Rechtsexperte Lawrence Lessig glaubt nicht, dass das Prinzip der Netzneutralität noch lange Bestand haben wird. Schuld sind für ihn vor allem die Regulierungsbehörden.

Eines der Grundprinzipien des Internet ist die so genannte Netzneutralität: Jedes der beteiligten Netzwerke muss alle Datenpakete gleich behandeln. Ob es sich um Emails an Freunde oder ein Youtube-Video handelt – kein Internetbetreiber darf Datenpaketen bestimmter Inhaltsformate oder ausgewählter Anbieter den Vorrang geben und auf diese Weise die Konkurrenz schwächen. Die US-Telekommunikationsaufsicht FCC etwa bestätigte das Prinzip noch 2008, als sie den Netzbetreiber Comcast abstrafte, weil der bei seinen Kunden die Nutzung des Filesharing-Systems BitTorrent gedrosselt hatte.

Doch in diesem Jahr ist das Prinzip der Netzneutralität ins Wanken geraten. Ein amerikanisches Berufungsgericht folgte der Beschwerde von Comcast: Das Unternehmen hatte argumentiert, die FCC habe mit seiner Durchsetzung der Netzneutralität ihre Befugnisse überschritten. Zugleich rückte mit Google auch einer der größten Befürworter der Netzneutralität zumindest in Teilen von dem Prinzip ab. Der Datendienste-Konzern erklärte im Sommer, in drahtlosen Netzen sollte die Netzneutralität nicht unbedingt gelten, da sie ein effizientes Management des drahtlosen Datenverkehrs erschwere. Um die geringeren Bandbreiten besser nutzen zu können, wollen Mobilfunkbetreiber verschiedene Datenformate mit unterschiedlicher Priorität durchleiten.

Lawrence Lessig, einer der führenden Internet-Rechtsexperten und Verfechter der Netzneutralität, hält diese Entwicklung für problematisch. Technology Review sprach mit Lessig, der das Edmond J. Safra Center for Ethics an der Harvard University leitet, über den idealen Netzbetreiber, die Problematik von Infrastruktur-Monopolen und die Besonderheiten drahtloser Netzwerke.


Technology Review: Welchen Vorteil hat der normale Nutzer vom Prinzip der Netzneutralität?

Lawrence Lessig:
Um das zu verstehen, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass das Internet zufällig entstand. Ein Haufen von Geeks suchte damals nach einer Lösung, verschiedene Plattformen miteinander kommunizieren zu lassen. Mit Google oder Microsoft hatte ihre Idee nichts zu tun. Sie wollten eine neutrale Plattform schaffen. Kontrollieren konnten sie sie nicht: Die Plattform entwickelte sich so, wie die Nutzer es wollten.

Auch wenn ihnen das wohl kaum bewusst war, hatten sie damit die perfekte Umgebung für Innovation geschaffen. Denn jeder Innovator kann darauf vertrauen, dass er seine neue Anwendung über das Internet vertreiben kann und niemanden dafür um Erlaubnis fragen muss.

TR: Wie sollte die US-Regierung dieses Prinzip durchsetzen?

Lessig:
Man muss Regulierungen haben, die bestimmte Geschäftsmodelle blockieren. Einem idealen Internet-Infrastrukturbetreiber geht es nur darum, so viele Bits so schnell und so billig wie möglich zu übertragen. Nicht um die Frage: "Welchen Deal kann ich mit Hollywood machen, um aus meiner Marktmacht noch mehr Profit rauszuholen, zusätzlich zu dem, was mir die Bits bereits einbringen?"

Dieser ideale Betreiber ähnelt einem Stromerzeuger, den nur interessiert, wie er sein Produkt am billigsten zum Kunden bekommt. Das Problem ist nur: Wenn Sie einem Netzeigentümer ein Quasi-Monopol erlauben, wird der irgendwann auf den Gedanken kommen: "Ich will nicht einfach nur ein Produkt verkaufen. Ich will mein Geschäft damit machen, dass ich eine künstliche Kontrolle oder Knappheit schaffe und so noch viel mehr Geld verdiene."

TR: Aber haben Netzbetreiber genügend Anreize, in ihre Netze zu investieren, wenn sie nur Dienstleister im Infrastruktur-Geschäft sind?

Lessig:
Es hat international eine explosive Zunahme an Netzbetreibern gegeben, die alle darum konkurrieren, eine Dienstleistung anzubieten. In den USA führte die "Open Access"-Regelung, nach der Netzbetreiber Konkurrenten ihre Leitungen vermieten müssen, zu einem Markt mit 6000 Providern. Wenn private Anreize jedoch nicht ausreichen, um eine öffentliche Infrastruktur bereitzustellen, müssen wir über neue Anreize nachdenken. Das könnten Subventionen sein, die seit jeher Infrastrukturen unterstützt haben. Autobahnen und digitale Netze sind in dieser Hinsicht dasselbe.

TR: Mein Internet-Provider darf aber mehr Geld von mir verlangen, wenn ich eine größere Bandbreite beanspruche?

Lessig:
Ja.

TR: Das passt zur Analogie der Stromerzeuger.

Lessig:
Genau. Ich habe aber ein Problem damit, wenn ein Netzbetreiber sagt: "OK, Youtube oder Blip.tv, ihr müsst draufzahlen, wenn ihr Zugang zu den Kunden in unserem Netz haben wollt." Auch das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Eine neue Technologie erschüttert den Markt, es folgt eine Phase enormer, produktiver Konkurrenz, dann konsolidiert sich der Markt und schließlich kommt es zu Übernahmen. Dieser Prozess wird häufig durch Absprachen mit der Regierung gefördert, die Monopolindustrien hervorbringen. Das beste Beispiel hierfür ist das Radio.

TR: Wäre es denn so schlimm, wenn etwa AT&T in stark frequentierten Gegenden gelegentlich die Übertragung von Videos auf iPhones verlangsamte, um so sicherzustellen, dass Kunden gewöhnliche Telefonate führen können?

Lessig:
Eingriffe, die unabhängig von Inhalten oder Unternehmen erfolgen, sind nicht das Problem. Sie sind zwar auch nicht ideal. Aber wenn jemand sagt: "Unsere Netzauslastung ist gerade an der Grenze, deshalb drosseln wir für eine Weile alle Anwendungen mit großer Bandbreite", ist das noch kein Grund zur Besorgnis. Denn eine solche Maßnahme hat nichts mit speziellen Deals mit irgendwelchen anderen Parteien zu tun.

Kapazitätsprobleme sollten jedoch nicht dazu führen, dass jemand sagt: "Wir machen uns einfach keine Gedanken darüber, was in dieser Hinsicht passiert." Die Realität sieht ja so aus, dass die Zukunft den drahtlosen Netzen gehört.

TR: Die US-Regulierer überdenken derzeit ihre Position zur Netzneutralität. Sind sie zuversichtlich, dass das Prinzip Bestand haben wird?

Lessig:
Nein. Die Regulierer haben eigentlich den richtigen Zeitpunkt verpasst. Indem sie das Thema vor sich her schoben, gaben sie den Netzbetreibern Zeit, politische Unterstützung zu sammeln, um eine Regulierung pro Netzneutralität zu blockieren. Und sie haben sowohl Demokraten als auch Republikaner daran erinnert, dass diese von ihnen Wahlkampfspenden bekommen haben. (bsc)