Feindliche Übernahme

Mit schätzungsweise 140 000 Fachbesuchern war die CES 2011 so erfolgreich wie seit Jahren nicht mehr – allerdings auch völlig untypisch: So stritten unzählige Entwicklungen im Tablet-PC-Bereich mit Neuerungen bei 3D und Internet am Fernseher um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Nico Jurran
Inhaltsverzeichnis

Die CES versteht unter Consumer Electronics schon längst nicht mehr nur die klassische Unterhaltungselektronik. Microsoft gibt schon fast traditionell mit einer Eröffnungsansprache den offiziellen Startschuss und auch Intel nutzt die Messe als Plattform, um neue CPU-Generationen zu veröffentlichen. Zwar konnten sich die Anfang der 2000er präsentierten Konzepte des Heimkino-PC nicht durchsetzen. In den vergangenen Jahren demonstrierten vor allem die TV-Hersteller, wie sich dank neuer Multimedia-Chips, HD-Bildschirmauflösungen und DSL-Internetzugängen Online-Dienste sinnvoll auf dem Fernseher nutzen lassen.

Nach dem Erfolg von Apples iPad war zwar vorhersehbar, dass Tablets auch in Las Vegas eine Rolle spielen würden. Tatsächlich rollte eine wahre Tablet-Welle über die CES 2011 – und begrub praktisch jedes andere Thema unter sich. Bei den unzähligen Präsentationen im Las Vegas Convention Center und in Hotels rund um den Las Vegas Boulevard lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wie viele Tablets – mit und ohne Stift oder Tastatur – letztlich zu sehen waren. Schätzungen, dass in den wenigen Messetagen über 80 Modelle präsentiert wurden, sind aber keinesfalls übertrieben. Die wichtigsten Modelle stellen wir ab Seite 20 vor.

Dass diese Menge erreicht wurde, liegt nicht zuletzt daran, dass auch Unternehmen auf den Zug aufsprangen, die man im Vorfeld nicht unbedingt auf der Rechnung hatte – darunter Sharp mit zwei „Galapagos E-Media Tablet“ genannten Geräten. Gerade bei diesen LCD-Touchscreen-Modellen im 16:9-Format mit 5,5- und 10,8-Zoll-Diagonale zeigte sich jedoch, wie halbgar manche Ankündigungen waren: Gezeigt wurden offensichtliche Mockups. Fragen nach CPU, Preisen und Betriebssytem konnte Sharp nicht beantworten, obwohl die Geräte angeblich in Kürze in Japan auf den Markt kommen.

Bei vielen gezeigten Geräten blieb unklar, warum sich Kunden ausgerechnet dafür entscheiden sollten. Den Herstellern schien es hauptsächlich darum zu gehen, auch ein Tablet vorweisen zu können.

Microsoft präsentierte Windows für ARM auf Plattformen von Qualcomm, Texas Instruments und Nvidia.

Doch um mit dem iPad konkurrieren zu können, muss nicht nur die Ausstattung der Geräte stimmen. Zumindest ebenso wichtig ist eine passgenaue Bedienoberfläche und eine Alternative zu Apples iTunes-Universum aus Apps und Medien. Google arbeitet daher mit Hochdruck an Android 3.0 („Honeycomb“), das als erstes Mobilbetriebssystem des Unternehmens speziell für Tablets entwickelt wurde. Auf Seite 20 beschreiben wir, was auf der CES bereits vom neuen OS zu sehen war.

Dass Microsoft nach seinem späten (Neu-)Start mit Windows Phone 7 im Smartphone-Bereich nun beim Thema Tablet nicht noch weiter zurückfallen will, war vorhersehbar. Doch die Redmonder wollen sich nicht damit zufriedengeben, mit Windows 7 auf Modellen mit Intel-CPU vertreten zu sein – auch wenn es kurzfristig dazu keine Alternative gibt. Vielmehr präsentierten sie in Las Vegas sogar eine kommende Windows-Version für ARM-Plattformen. Darüber dürften AMD und Intel ebenso wenig erfreut sein wie über NVidias Ankündigung, unter dem Codenamen „Denver“ an einer High-End-CPU auf ARM-Basis zu arbeiten (siehe S. 46).

Freilich spielte auch das iPad – trotz Apples obligatorischer Abwesenheit – eine Rolle auf der CES. Zubehöranbieter präsentierten unzählige interessante Neuentwicklungen – darunter iConnect MIDI für rund 200 US-Dollar, mit dem sich künftig via USB und gewöhnlichen MIDI-Buchsen bis zu 14 Instrumente an Apples Tablet anschließen lassen. Zudem zeigten Präsentationen an praktisch jeder Ecke, dass das App-Store-Angebot in den kommenden Monaten geradezu explodieren dürfte.

In der Welle der Tablets gingen die in Las Vegas vorgestellten TV-Neuheiten fast unter. Dabei sind die Entwicklungen in diesem Bereich überaus interessant: So hat mittlerweile beispielsweise jeder Hersteller 3D-tauglicher Fernsehgeräte die Abneigung der meisten Konsumenten gegen die vergleichsweise teuren, oft etwas klobigen und stets zwischen den verschiedenen TV-Herstellern inkompatiblen Shutter-Brillen erkannt.

Sony-CEO Howard Stringer ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sein Unternehmen weiterhin voll auf 3D setzt – und betrat mit den Darstellern des 3D-Streifens „The Green Hornet“ die Bühne.

Doch wie wird man diese so schnell wie möglich los, damit sich 3D im Wohnzimmer endlich in der Breite durchsetzt? LG wagt hier einen mutigen Schritt und will in diesem Jahr weltweit 3D-Fernseher mit Polarisationstechnik auf den Markt bringen – trotz der etwas geringeren Bildqualität. Andere Hersteller wie Sony und Toshiba arbeiten derweil mit Hochdruck an autostereoskopischen Displays, bei denen man komplett ohne Brille auskommt. Daneben schossen Drittanbieter, die zumindest bessere Shutter-Brillen versprechen, wie Pilze aus dem Boden. Auf die neuen Lösungsansätze gehen wir ab Seite 26 ausführlich ein.

Erfolgskritisch für stereoskopisches 3D sind weiterhin passende Inhalte. Doch der Ausstoß der Hollywoodstudios in den kommenden Jahren dürfte alleine nicht ausreichen, um den 3D-Hunger der Heimcineasten zu befriedigen. Sony setzt daher auch darauf, dass die Anwender stereoskopische Inhalte kurzerhand selbst produzieren. Folglich haben Sony und andere 3D-Camcorder und -Digicams für Einsteiger und Semiprofis im Portfolio. Details zu diesen Geräten finden Sie auf Seite 36.

JVC präsentierte den Prototypen seines Videochips „FalconBird“, mit dem Camcorder in einigen Jahren 3D-Videos mit einer Auflösung von 4K x 2K aufnehmen können sollen.

Auch die Entwicklung der eingangs angesprochenen Connected TVs macht weiter große Fortschritte: So sah man in Las Vegas praktisch von jedem TV-Hersteller überarbeitete Portale mit zahlreichen neuen Diensten und Bedienkonzepten. Panasonic will seine Fernseher künftig sogar in Spielkonsolen verwandeln. Doch mit dem Trend zu komplexeren Angeboten tauchen auch die ersten Ansätze am Horizont auf, künftig TV-Apps kostenpflichtig anzubieten. Was man bei der neuen TV-Generation konkret zu erwarten hat, erklären wir ab Seite 26.

TVs mit Skype gibt es bereits, jetzt ziehen Panasonic und Sony mit Blu-ray-Playern nach. Panasonics Modell nimmt Gespräche auch im Standby an – und zeichnet sie auf seiner Mailbox auf.

Eigentlich war in Las Vegas auch der breite Marktstart von Google TV geplant. Da jedoch der Erfolg der ersten Geräte von Sony und Logitech hinter den Erwartungen zurückblieb, will Google nun nachbessern. Die neue Version steht wohl nicht vor Ende Februar bereit und frisst wohl unerwartet viele Ressourcen. In der Folge hat Toshiba den Launch von Google TV kurzfristig abgeblasen und selbst Samsung gab sich entgegen den Vorhersagen in der US-Presse bei dem Thema recht unterkühlt: Die Koreaner zeigten keine Fernseher mit Google TV, sondern lediglich einen Blu-ray-Player und eine Settop-Box als Nachrüstlösungen – zu denen das Unternehmen weder Erscheinungstermine noch Preise bekanntgeben wollte. Besser sah es da für die Web-TV-Plattform Boxee aus, die künftig beispielsweise auch auf Geräten von Iomega zu finden ist (siehe S. 36).

Auf dem Fernseher von morgen sollen TV-Wiedergabe und eine Text-Chat-Funktion parallel laufen.

Panasonic bewies schließlich, dass sich Tablets und Online-Dienste am Fernseher künftig wieder zu einem Thema zusammenführen lassen: Die drei vom Hersteller präsentierten Android-Tablets gestatten nicht nur das mobile Surfen im Internet und das Senden und Empfangen von E-Mails, sondern dienen als integraler Bestandteil für das kommende TV-Internet-Portal des Unternehmens namens „Viera Connect“, dem Nachfolger des in aktuellen Fernsehern und Blu-ray-Playern des Herstellers zu findenden „Viera Cast“ (siehe S. 26). Mit einem Fingerstreich auf dem Touchscreen lassen sich hier Videos vom Tablet auf den Fernseher „schubsen“ – Apples AirPlay lässt grüßen. Sollte diese Verbindung gelingen, findet die CES 2012 vielleicht wieder zurück auf die gewohnte Spur. (nij)