Gewusst wo!

Das Internet bekommt eine neue Dimension: den Raum. Mit dem Smartphone als persönliches Radar finden wir uns in unserer Umgebung zurecht, gehen auf Entdeckungstour, vernetzen uns lokal mit unseren Freunden und zeichnen unser Leben auf. Zwei der mächtigsten Online-Konzerne sind unterdessen dabei, das Web und uns zu vermessen: Facebook und Google.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Achim Barczok
Inhaltsverzeichnis

Etwa 300 Bäcker gibt es in Hannover, und mein Smartphone kennt fast alle. Und es findet sie: Genau 427 Schritte liegen zwischen hier und dem nächsten. Wenn ich hingehe, bin ich seit heute früh genau 4,3 Kilometer unterwegs. 400 Meter sind es von hier zum Supermarkt, 398 238 Kilometer bis zum Mond. Mein Kollege sitzt seit zwei Minuten beim Italiener um die Ecke, die Antipasti sind da eher durchschnittlich, sagt mir mein Handy.

Es ist der 6. Januar 2011, 12:15, und ich stehe bei N52° 22’ 46.398“ E9° 48’ 30.197“. Diese Zahlen bedeuten, dass ich mich in Hannover befinde, Ecke Berckhusenstraße und Karl-Wiechert-Allee, und sie bedeuten auch, dass ich die Bahn noch bekommen hätte, wenn ich vor sechs Minuten losgelaufen wäre; auch das kann mir mein Handy mitteilen. Es weiß, wo ich bin und was um mich herum ist. Es weiß, wo andere sind, wenn sie ihren Standort für mich freigeben.

Google Maps bietet diverse Navigations- und Ortungsfunktionen, besonders viele davon nutzen Android-Handys.

Geodaten erweitern das Netz und unser virtuelles Miteinander um eine neue Dimension. Dabei werden Informationen im jeweiligen Kontext zu uns in Beziehung gesetzt, nach Relevanz sortiert, per Knopfdruck oder automatisch: Weil Smartphones (und natürlich auch Tablets) wissen, wo wir sind, können sie uns sagen, was wir dort wahrscheinlich suchen, wie das Wetter dort ist und was im Kino um die Ecke läuft.

Auf der anderen Seite können wir unseren Alltag vermessen. Wir speichern, wo wir hingehen und wo wir waren. Wir messen uns beim Sport oder schreiben ein virtuelles Tagebuch: Der Artikel auf Seite 86 beschreibt exemplarisch, wie man über den Google-Dienst Latitude sein Leben aufzeichnet und sich mit Freunden vernetzt.

Nicht jedem Dienst sollte man dabei unbedenklich seine Ortsdaten anvertrauen, denn im Regelfall stehen dahinter Interessen, die Daten weiterzuverwerten – wenn auch nicht unbedingt zum eigenen Nachteil. In den Datenschutzbestimmungen findet man im Kleingedruckten manch einen Passus, der einen zumindest an den guten Absichten zweifeln lässt, wie der Artikel auf Seite 90 zeigt. Es gibt aber auch viele pfiffige Dienste, die uns das Leben erleichtern, ohne dass wir dabei gleich aller Welt unseren Standort mitteilen müssen.

Den Startschuss für die flächendeckende Nutzung kommerzieller Ortungsdienste gab vor über zehn Jahren US-Präsident Bill Clinton: In der Nacht zum 1. Mai 2000 schaltete er die künstliche Verschlechterung des US-amerikanischen Navigationssatellitensystems GPS ab. Damit taugte das globale, ursprünglich militärische Erfassungssystem in einer Präzision von unter 20 Metern auch für den privaten Gebrauch, genau genug für Navigation, Ortung, Messungen und Tracking.

Viele Smartphones haben von Haus aus Karten, Navigation und Geodienste, zum Beispiel Nokia-Handys über Ovi Karten.

Seitdem boomt das Geschäft mit GPS-Empfängern, Navigationsgeräten und digitalem Kartenmaterial. Die explosionsartige Vermehrung von Diensten und Formen der Nutzung abseits der Straßenführung findet jetzt statt: Inzwischen kann fast jedes Mittelklasse-Smartphone mit Hilfe der US-Satelliten seine Position feststellen und diese Information nutzen. Die Smartphones gehen außerdem über GPS-Sensorik zur Erfassung des Orts hinaus: Viele bieten außer Mobilfunk auch WLAN, einen integrierten Kompass, Gyrosensoren und eine Kamera, mit deren Hilfe sie den Ort verlässlicher bestimmen, die Ausrichtung des Geräts abrufen und die Umgebung scannen können.

Eine Software-Grundausstattung für Ortung bringt ebenfalls fast jedes Handy von iPhone bis Android in Form von Googles, Microsofts oder Nokias vorinstallierten Kartenanwendungen mit. Über Schnittstellen können andere Anwendungen darauf zugreifen: So startet ein Klick auf eine Adresse im E-Mail-Client Google Maps und Anwendungen nutzen die Kartendienste bei der Standortbestimmung. Entwickler finden außerdem in Openstreetmap eine weitere Quelle, über die sie Dienste auf Referenzkarten implementieren können.

Mit den vorinstallierten Kartenanwendungen der Smartphones kommt man schon ziemlich weit. Google Maps beispielsweise lädt aus dem Netz Straßenkarten und Satellitenbilder vom aktuellen Ort und kann damit Routen für Autofahrten ebenso wie für Fußmärsche berechnen – sogar die Verkehrsdichte in einigen Städten blendet Maps ein. Die neueste Version 5 für Android zeigt Geländekarten, die jüngst in Deutschland freigeschalteten Street-View-Bilder und in vielen Städten 3D-Modelle der Gebäude. Dazu bietet die Android-App eine echte Fahrzeugnavigation.

Kaufda Navigator HD zeigt zu Läden in der Umgebung digitalisierte Werbeprospekte.

Mit dieser Feature-Fülle kann derzeit allenfalls Nokia mit Ovi Karten für aktuelle Symbian-Smartphones mithalten: Umfassendes Kartenmaterial, Straßennavigation und Infos zur Umgebung gehören auch hier zur Grundausstattung. Obendrauf hat Nokia noch eine Vielzahl weiterer Dienste gepackt: Reiseführer für Städte und einen standortbezogenen Event-Kalender zum Beispiel. Die Daten kommen größtenteils von Navteq, einem Kartendienstleister, der beim Erfassen seiner digitalen Karten inzwischen sogar Schilder der Straße und von Geschäften ausliest, um verlässlichere Informationen über Orte zu bekommen.

Google setzt beim Aufnehmen von interessanten Orten (POIs) stattdessen auf die Hilfe der Geschäfte selbst und nutzt dafür seine Marktmacht im Suchmaschinengeschäft. An seinem vor einem halben Jahr in Google Places umbenannten Branchendienst kommt eigentlich keiner vorbei, weil gut gepflegte Profile für die Unternehmen als Aushängeschild dienen, wenn sie über die Suchmaschine gefunden werden. Die dort eingetragenen Daten wie Position, Adresse, Telefonnummer, Öffnungszeiten und Link zur Homepage verknüpft Google mit Bewertungen und Bildern aus anderen Quellen wie den Bewertungsportalen Google Hotpot und Qype, der Ärzte-Webseite Jameda oder Googles Bilderdienst Panoramio.

Aus Wikipedia-Einträgen generiert Wikihood ein standortbezogenes Wissensportal fürs iPad.

Der hinterlegten Datenfülle wird man auf den meisten Smartphones erst gewahr, wenn man in Google Maps statt einer Adresse einen Suchbegriff eingibt: „Zahnarzt“ findet Dentisten in der Nähe, „Pizza“ fördert Restaurants und Bringdienste zu Tage. Auf seiner eigenen Handy-Plattform Android hat Google eine Oberfläche aufgesetzt, mit der man per Klick nach typischen POI-Kategorien suchen kann. Auf dem iPhone erledigen diese Kategorisierung Apps wie das kostenpflichtige Wohin?, das weit feinere Kategorien als Google Maps selbst bietet und mit dem man auch Favoriten anlegt oder sich von Zufallstreffern inspirieren lassen kann. Auch klassische Branchenverzeichnisse wie Das Örtliche übersetzen ihren gepflegten Datenbestand inzwischen in eigene Smartphone-Anwendungen.

Auch der Werbeprospekt-Anbieter Kaufda nutzt in seiner iPhone- und iPad-App Google Maps als Grundlage, um Shops und vor allem Rabatte in der Umgebung zu finden. Dazu kooperiert der Dienst mit Ladenketten und blendet digitalisierte Werbeprospekte ein und weist auf Sonderangebote hin. Das ist sinnvoller als gedruckte Angebotsheftchen, die meist sofort in den Papierkorb wandern: Der Nutzer kann direkt vor Ort schauen, welcher Laden in der Nähe die besten Schnäppchen bietet.

Um die großen POI-Dienste herum gibt es viel Platz für Spezial-Communities: Beim amerikanischen Start-up Foodspotting zum Beispiel geht es nur ums Essen: Wer etwas Leckeres auf dem Tisch hat, fotografiert es mit seinem iPhone, kommentiert es und verknüpft es mit dem Restaurant. Andere können dann schauen, welches Schnitzel in der Umgebung am leckersten aussieht.

Foodspotting zeigt Fotos für Gerichte in Restaurants.

Nicht nur Shops, Zahnärzte und Schnitzel lassen sich über das Smartphone orten, sondern jegliche für die Umgebung relevanten Informationen. Weil beispielsweise viele ihre Fotos automatisch oder manuell mit Geotags versehen [1] und auf Webdienste wie Google Panoramio oder Yahoo Flickr hochladen, bekommt man von Orten einen guten Überblick, selbst wenn sie nicht für Google-Street-View-Fahrzeuge zugänglich sind.

Der Wikipedia-Client Wikihood (iPhone, iPad) generiert aus georeferenzierten Wikipedia-Einträge aus dem Online-Nachschlagewerk einen Ortsführer. Material dafür gibt es genug: Von den etwa 1,2 Millionen deutschsprachigen Wikis sind immerhin fast 90 000 mit Ortsdaten verknüpft, sie reichen von Landmarken über Gebäude bis hin zu Veranstaltungsorten und Stadtteilen. Über Querverweise bindet Wikihood weitere Wiki-Einträge ein: Dann tauchen zu einer Stadt auch Infos zu ansässigen Unternehmen auf.

Die zu Amazon gehörende Filmdatenbank IMDB verknüpft Filme mit ihren Drehorten; dank IMDB-API kann man mit der Android- und iPhone-App Location Scout seine Umgebung danach abgrasen lassen. Booksaround für iPhone widmet sich dagegen den Schauplätzen von Büchern und Geburtsorten von Autoren – bisher vornehmlich in Berlin; die App der Bertelsmann-Gruppe können aber auch Nutzer mit Infos füttern.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 3/2011.

Mehr Infos

Ihr persönliches Radar

Artikel zum Thema "Ihr persönliches Radar" finden Sie in c't 3/2011:

  • Umgebung erkunden, Freunde orten, Alltag aufzeichnen - Seite 80
  • Googles Geodienst Latitude - Seite 86
  • Standortbezogene Dienste und Datenschutz - Seite 90

(acb)