Wirst Du das twittern?

Forscher analysieren, wie sich Nachrichten im Netz verbreiten. Dabei kommt es vor allem auf die ersten 24 Stunden an.

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Von
  • Erica Naone

Forscher analysieren, wie sich Nachrichten im Netz verbreiten. Dabei kommt es vor allem auf die ersten 24 Stunden an.

Bislang lässt sich nur schwer vorhersagen, wie sich aktuelle Neuigkeiten im Social-Media-Bereich verbreiten. Manche Nachricht wird lange in Blogs, auf Twitter oder bei Facebook diskutiert, manche ist bereits nach wenigen Stunden passé.

Jure Leskovec, Juniorprofessor für Computerwissenschaften an der Stanford University, arbeitet derzeit an einer Methode, mit der bestimmt werden kann, welche Inhalte sich auf längere Sicht verbreiten. Dabei spielen diverse Faktoren eine Rolle, die zunächst logisch erscheinen: Besonders wichtig ist demnach die Nachricht selbst und die Beliebtheit des Angebots, auf dem das Originalmaterial erschien. Außerdem kommt es aber auch stark darauf an, welche Nutzergemeinschaft mit dem Inhalt angesprochen wird.

Aktuelle Paper, die von Leskovec und dem Stanford-Doktoranden Jaewon Yang stammen, legen Muster offen, wie sich Nachrichtengeschichten online verbreiten. Sie könnten ein erster Ansatz für Vorhersagemodelle sein, was populär wird und was nicht.

Solche Daten könnten Internet-Angeboten dann helfen, ihre Inhalte und Anzeigen besser zu platzieren, erklärt Leskovec. Auch der Einfluss bestimmter Autoren oder Blogger ist so besser nachvollziehbar. Kombiniert mit anderen Faktoren soll so ein detailliertes Bild entstehen, wie sich Informationen im Netz verbreiten.

Für ihre Studie analysierten die Forscher 170 Millionen Nachrichtenartikel und Blog-Postings über den Zeitraum eines Jahres sowie weitere 580 Millionen Twitter-Nachrichten innerhalb von acht Monaten. Dabei wurde die Aufmerksamkeit gemessen, die jeder dieser Inhalte im weiteren Web erhielt – gemessen an Erwähnungen in anderen Blog-Postings, Nachrichtenbeiträgen und Tweets.

Dabei wurden nicht wie üblich nur Links auf die betreffende Nachricht untersucht, sondern auch die Verbreitung markanter Begriffe und Sätze aus dem Original. Aus diesen Daten wurden verschiedene Graphen erstellt, die sechs ausgeprägte Muster offenlegten. Wenn sich eine Geschichte anfangs rasend schnell verbreitet und dann wieder aus der Öffentlichkeit verschwindet, ergab sich ein spitzer Anstieg der Kurve, aber auch ein schneller Abfall. Andere Storys hielten sich länger, ihre Kurven stiegen sanfter an und fielen sanfter ab.

"Wenn man sich ansieht, welche Medienarten beteiligt sind, kann man verschiedene Muster feststellen", sagt Leskovec. Wenn ein Blog Ausgangspunkt einer Nachricht ist, sieht der Graph oft anders aus als bei Geschichten aus den Mainstream-Medien. Denn: Der Punkt, an dem Blogs sich einer Story annehmen, ist ein wichtiger Faktor in der Bestimmung ihrer Langlebigkeit. Beispielsweise kann es sein, dass traditionelle Medien sich einem Thema nur kurz widmen, während die anschließende Blogdiskussion es länger in der Öffentlichkeit hält. Und: Die Anfangsreaktion auf einen neuen Inhalt erlaubte es den Forschern mit einer Genauigkeit von 75 Prozent, die Beliebtheit der Nachricht über einen längeren Zeitraum vorherzubestimmen.

Leskovec will seine Ergebnisse nun mit Werkzeugen kombinieren, die das Aufmerksamkeitsniveau einer Geschichte vorherbestimmen. Die neuen Erkenntnisse könnten Websites helfen, ihre Inhalte besser zu managen. Als Beispiel nennt Leskovec die Frage, wie lange eine Nachrichtenseite eine bestimmte Geschichte prominent auf ihrer Homepage platziert.

Ilya Grigorik, Technikchef des Analysedienstes PostRank, der sich auf das sogenannte Echtzeit-Web spezialisiert hat, hält die Leskovecs-Ergebnisse für akkurat. Sie stimmten mit den Erfahrungen überein, die seine Firma gesammelt habe. Dazu gehört die Tatsache, dass Neuigkeiten in den ersten 24 Stunden besonders stark diskutiert werden. 50 Prozent oder mehr Aufmerksamkeit, die eine Story erhält, ist innerhalb der ersten Stunde messbar, 80 Prozent innerhalb der ersten 24 Stunden. Grigorik zufolge habe sich das innerhalb der vergangenen drei Jahre kaum verändert.

Der Experte glaubt allerdings, dass noch etwas Feintuning nötig ist, bevor die Daten von Leskovec und seinen Kollegen in der Praxis nutzbar werden. Die Graphen, die die Forscher ermittelt haben, benötigten eine genauere Charakterisierung, so dass klarer werde, was es bedeutet, wenn eine Geschichte einer bestimmten Form folge.

"Nachrichtenaggregatoren könnten ein Werkzeug auf Basis der Forschungsarbeit aufbauen, um vorherzusagen, wie gut einzelne Geschichten ankommen", sagt Girgorik. Es müsse sich allerdings erst erweisen, ob dies viel effizienter sei als eine pure redaktionelle Auswahl.

Jon Kleinberg, Professor für Computerwissenschaften an der Cornell University, der mit Leskovec bereits zusammengearbeitet hat, hält viel von dessen Ansatz. Die Aufmerksamskurven seien spannend. "Besonders interessant ist das Auf und Ab von Nachrichtengeschichten auf der zeitlichen Achse statt allein anhand eines Themas." Spannend seien auch die sich ergänzenden Rollen von Blogs und Mainstream-Nachrichtenquellen.

Leskovec will die Verteilung von Informationen im Netz weiter erforschen. Eines der nächsten Projekte beschäftigt sich mit den Veränderungen, die Informationen erfahren, wenn sie durch das Netz wandern – von vertiefenden Details bis hin zu Verfälschungen. (bsc)