Die richtigen Fragen - wie Patienten gute von schlechten Therapien unterscheiden können

Gerd Gigerenzer, Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, beschäftigt sich mit den Entscheidungsgrundlagen im Gesundheitssystem. Er beschreibt die statistischen Tricks, mit denen die Wirksamkeit von Diagnose- oder Heilmitteln oft untermauert werden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nike Heinen

Gerd Gigerenzer, Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, beschäftigt sich mit den Entscheidungsgrundlagen im Gesundheitssystem. Er beschreibt die statistischen Tricks, mit denen die Wirksamkeit von Diagnose- oder Heilmitteln oft untermauert werden. Und er empfiehlt einfache Fragen, mit denen Patienten viele dieser Tricks entlarven können. Drei Beispiele:

  • Trick 1: Irreführende Überlebensraten

Um den Nutzen des PSA-Tests für Prostatakrebs darzustellen, werden oft die Fünf-Jahres-Überlebensraten angeführt, etwa 82 Prozent in den USA (wo viele Männer den Test machen), aber nur 44 Prozent in Großbritannien (wo es relativ wenige sind). Tatsächlich ist die Sterblichkeitsrate bei Prostatakrebs in beiden Ländern etwa gleich groß. Mit Fünf-Jahres-Überlebensraten werden Patienten also in die Irre geführt: Sie erfahren nur Jahre früher von ihrer Erkrankung, wodurch sich die Zeit zwischen Diagnose und Tod verlängert. Über den Nutzen des PSA-Tests sagt die Fünf-Jahres-Überlebensrate deshalb nichts aus.

Tipp: Fragen Sie immer nach der Sterblichkeitsrate, nicht nach Fünf-Jahres-Überlebensraten, wenn Sie den Nutzen von Früherkennung verstehen wollen. Vorsicht: Die meisten der von Gigerenzer befragten Ärzte verstehen den Unterschied selbst nicht. Fragen Sie auch immer genau nach, auf welchen Zeitraum sich eine Wahrscheinlichkeitsangabe bezieht. Eine Angabe wie „ein Zeitraum von 10 Jahren“ ist informativer als „lebenslang“, da sich Risiken mit dem Alter ändern können.

  • Trick 2: Relative statt absolute Risiken

Bei Mammografie und PSA-Test heißt es immer wieder, diese Tests senken die Sterblichkeitsrate für Brustkrebs oder Prostatakrebs um 20 Prozent. Das klingt gut, führt aber tatsächlich in die Irre, ohne dass die Aussage falsch ist. Zieht man nämlich die nackten Zahlen der zugrunde liegenden Studien zu Rate, dann sieht die Effektivität der Tests ganz anders aus: Mammografie reduziert die Brustkrebssterblichkeit nach zehn Jahren von etwa fünf auf vier Patienten pro 1000. Das ist eine absolute Risikoreduktion von 1 pro 1000 Patienten, was aber als relative Reduktion von 20 Prozent dargestellt wird. Bei der europäischen Prostatakrebsstudie reduzierte sich die Sterblichkeit von 3,7 auf 3,0 von 1000. Diese „20-Prozent-Reduktion“ bedeutet also im Klartext, dass von je 1000 Männern 0,7 weniger an Prostatakrebs starben.

Tipp: Fragen Sie immer nach absoluten Zahlen, um Nutzen und Risiken zu verstehen. Vorsicht vor Prozentangaben: Mit ihnen kann man hervorragend die Wirkung hoch- und die Nebenwirkungen herunterspielen.

  • Trick 3: Die „richtigen“ Probanden

Es gibt Medikamente, die bei gesunden Menschen hervorragend wirken, bei anderen mit bestimmten Vorerkrankungen aber noch nie getestet wurden. Manche Substanzen wirken bei Frauen besser als bei Männern, andere sind nur dann risikoarm, wenn der Patient die passenden Gene für ihre Verarbeitung besitzt. Durch das richtige „Design“ der Testgrup-pen können die Ergebnisse von Studien manipuliert werden.

Tipp: Fragen Sie nach, ob Sie tatsächlich zur Risikogruppe gehören, für die diese Behandlung sinnvoll ist und ob Sie als Patient bezüglich Alter, Geschlecht und anderen gesundheitsrelevanten Merkmalen zu den Probanden passen, an denen das Medikament getestet wurde.

Mehr dazu, wie man medizinische Behandlungen einschätzen lernt, unter www.harding-center.de und in Gerd Gigerenzers Buch „Das Einmaleins der Skepsis“ (Berlin Taschenbuch Verlag). (wst)