"Wheelmap" zeigt Rollstuhlfahrern den Weg

Rotes, gelbes oder grünes Fähnchen? Mit ihrem Projekt "Wheelmap" bahnen die Berliner "Sozialhelden" Rollstuhlfahrern den Weg durch den Stufen-Dschungel der Stadt.

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Von
  • Anna Schürmann
  • dpa

Eine hohe Stufe vor einem Café, kein Aufzug im Bürohaus oder eine fehlende Rampe an der S-Bahnstation – für Rollstuhlfahrer sind dies oft unüberwindbare Hindernisse. Abhilfe will die Web-Plattform "Wheelmap" schaffen. Sie informiert Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte oder Familien mit Kinderwagen, an welchen Orten sie mit Behinderungen rechnen müssen. Raúl Krauthausen vom Berliner Verein "Sozialhelden" hatte die Idee zu der Website, auf der inzwischen mehr als 30.000 Orte weltweit aufgelistet sind.

Ein rotes Fähnchen auf dem virtuellen Stadtplan bedeutet "nicht rollstuhlgerecht", bei grün können Rollstuhlfahrer den Ort uneingeschränkt nutzen. Den Anstoß zu der Idee lieferte Krauthausen vor zwei Jahren der Satz eines Freundes. "Raúl, ich habe keine Lust, mich mit dir immer in dem gleichen Café zu treffen", lautete der Seitenhieb in Richtung des 30-Jährigen, der die Glasknochen-Krankheit hat und sein Leben im Rollstuhl verbringt. Aber woher sollten sie wissen, ob ein anderer Treffpunkt auch rollstuhlgerecht ist? Die Lösung: Eine Karte im Internet, die allen 1,6 Millionen Rollstuhlfahrern in Deutschland helfen könnte.

"Wir wollten es so einfach wie möglich gestalten und den Menschen die Möglichkeit geben, selbst Orte einzutragen", beschreibt Krauthausen den Anspruch des Projekts und traf damit einen Nerv: Pro Tag kommen mehrere hundert Orte in der "Wheelmap" hinzu. "Betroffene können mitwirken und persönliche Erfahrungen einbringen", lobt der Berliner Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung, Jürgen Schneider, das Angebot. Er stellte auch den Kontakt zu den Machern einer Berliner Mobilitätsdatenbank her, beide Initiativen tauschen inzwischen ihre Informationen aus.

"Die Nutzer stellen eher die eigene Nachbarschaft ins Netz, Cafés, Bars, Kinos, Ärzte, Apotheken, alle möglichen öffentlichen Einrichtungen", so Krauthausen. Auf der Homepage sehen sie, wann ein Ort als barrierefrei gilt. Sind zum Beispiel alle Räume stufenlos erreichbar, winkt ein grünes Fähnchen für "rollstuhlgerecht". Falsche Angaben sollen die Nutzer nach dem Wiki-Prinzip selbst korrigieren.

Die Datenbank zeigt auch, welche Sehenswürdigkeiten für Rollstuhlfahrer nicht zugänglich sind. "Der Klassiker in Berlin ist der Fernsehturm, der nicht rollstuhlgerecht ist, obwohl er einen Aufzug hat." Der Grund: Im Falle eines Brandes müssen die Besucher auf eine andere Plattform ausweichen – diese ist aber nur über Stufen erreichbar. Auch alte Gebäude mit vielen Stufen seien schwer zugänglich. "Was bei "Wheelmap" erfasst wird, zeigt sowohl den positiven, als auch den negativen Bestand in Berlin. Ich bin dankbar, dass so ein Abbild der Situation geschaffen wird", sagt Jürgen Schneider, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung.

Seit September 2010 ist "Wheelmap" online. Das Angebot wird permanent weiterentwickelt, auch für das Ausland. Auf Japanisch, Englisch, Französisch und Italienisch gibt es die Website schon, an der portugiesischen und spanischen Version wird gerade gefeilt. Je nach Umfang arbeiten drei bis fünf "Sozialhelden" an "Wheelmap", die meisten ehrenamtlich. 2004 gründete Krauthausen zusammen mit seinem Cousin den gemeinnützigen Verein.

Einen Schub bekam "Wheelmap" durch die eigene kostenlose App für das iPhone. Seitdem hat sich die Zahl der eingetragenen Orte verdoppelt. 10.000 Downloads wurden für die App schon registriert. Eines der nächsten Ziele der "Sozialhelden" ist es, das Programm auch für andere Handys nutzbar zu machen.

Ein weiteres Ziel ist es, mehr Unternehmen zu beraten, wie man Orte rollstuhlgerecht oder barrierefrei umbauen könnte. "Viel passiert auch deshalb nicht, weil Leute nicht wissen, was sie jetzt tun müssen. Da setzen wir an. Im Sinne von ‘Was kann ich machen, wenn mein Café zwei Stufen am Eingang hat?‘ "

Seit Anfang des Jahres arbeitet der 30-Jährige hauptberuflich für die "Sozialhelden". Seine Stelle als Online-Programm-Manager beim RBB-Sender "Fritz" hat Krauthausen aufgegeben, um sich die kommenden drei Jahre ganz dem inzwischen mehrmals ausgezeichneten Projekt zu widmen. Für den Mann mit der Schirmmütze eine "Leidenschaft, die zum Beruf wurde". (anw)