"Affront gegen den Bundestag, das EU-Parlament und die Bürger"

Heute soll das EU-Parlament die Einführung zusätzlicher biometrischer Merkmale in die Ausweise von EU-Bürgern absegnen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt befürchtet, dass der gläserne Bürger damit wohl endgültig Realität wird.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Heute soll das EU-Parlament die Einführung zusätzlicher biometrischer Merkmale in die Ausweise von EU-Bürgern absegnen. In einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau bezeichnet die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt dies als "einen Affront gegen den Bundestag, das EU-Parlament und die Bürger". Experten seien sich weitgehend einig, dass die Terroranschläge von New York, Washington oder Madrid auf diese Weise kaum zu verhindern gewesen seien. "Denn wenn überhaupt können biometrische Systeme nur jene Terroristen entlarven, die falsche Identitäten benutzen -- nicht aber terroristische Schläfer oder Attentäter, die unauffällig leben und unter richtigem Namen einreisen", argumentiert Burchardt. Die Sozialdemokratin ist Mitglied im Partei- und Fraktionsvorstand ihrer Partei,

Den EU-Innenministern gehe es mit ihrem jüngsten Beschluss nicht etwa um ägyptische oder saudiarabische Pässe, sondern um die Pässe von 450 Millionen EU-Bürgern. Mit dieser Art von Terrorismusbekämpfung hätten die Bürger aber nichts zu tun. Tatsächlich dürften die Fälle, in denen maschinenlesbare Ausweise oder Pässe gefälscht worden sind, stark gegen Null tendieren, so Burchardt. Deutsche Ausweisdokumente zählten schon heute zu den fälschungssichersten der Welt.

"Brisant" nennt Burchardt das Thema Datenschutz: Noch immer fehle ein zuverlässiger Sicherheitsstandard für die biometrischen Daten im Pass. Ohne Datensicherheit bestehe aber die Gefahr, dass die biometrischen Merkmale im Pass unbemerkt gelesen und kopiert werden können. Auch gebe es technisch mittlerweile unbegrenzte Möglichkeiten, Datenbestände zu vernetzen, abzugleichen und zur direkten Identifizierung einzusetzen. Solchen Optionen habe der Deutsche Bundestag mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz von 2001 eine unmissverständliche Absage erteilt. Gleiches gelte für eine Speicherung der biometrischen Daten in einem zentralen Register.

Für Burchardt ist auch unklar, ob die EU-Innenminister die Ausgabe von Biometrie-Pässen nicht dazu nutzen werden, verbindliche Grenzen, die durch den nationalen Gesetzgeber gezogen wurden, über europäische Umwege wieder einzureißen. So habe die EU-Kommission bereits Überlegungen angestellt, ein europäisches Zentralregister der ausgestellten Pässe einzurichten. Der gläserne Bürger wäre dann endgültig Realität. Sowohl die Europäische Union wie auch das Bundesinnenministerium hüllten sich in Schweigen, wenn es um die Kosten von biometrischen Ausweisdokumenten geht. Das aus einem nachvollziehbaren Grund: Experten rechneten mit einmaligen Kosten in Höhe von bis zu 669 Millionen Euro. An laufenden Kosten seien pro Jahr über 600 Millionen Euro zu erwarten. Wer das bezahlen solle sei unklar: "Der Bürger direkt oder doch der Bundesfinanzminister mit seiner chronisch leeren Staatskasse?", fragt die Abgeordnete.

Die Einführung von biometrischen Merkmalen in Ausweisdokumenten erfordert nach Burchardts Dafürhalten eine gesetzliche Grundlage des Deutschen Bundestages. So auch nachzulesen im Personalausweisgesetz und im Passgesetz, wo dafür ein besonderes Bundesgesetz verlangt werde. Bei alldem werde das EU-Parlament nur konsultiert, seine mannigfachen Änderungs- und Kritikpunkte am Verordnungsentwurf der Kommission könne es gegenüber den EU-Innenministern nicht durchsetzen. Die dann ohne Mitentscheidung des Europäischen Parlaments zu Stande gekommene EU-Verordnung werde in der Bundesrepublik unmittelbar gelten und absoluten Vorrang vor nationalem Recht haben.

"Das Grundgesetz geht vom Schutz des Bürgers vor dem Staat aus, nicht vom Schutz des Staates vor seinen Bürgern. Und deren Freiheitsinteressen dürfen nicht auf dem Altar vorgeblicher Terrorismusbekämpfung geopfert werden", lautet Burchardts Schluss. Das Thema Biometrie müsse schleunigst raus aus den exklusiven Zirkeln von Regierungen, Industrie und Bürokratie und rein ins Parlament und in die breite Öffentlichkeit. (pmz)