Hyperlink-Prozess: Netzaktivist erneut freigesprochen

Die Staatsanwaltschaft kam vor dem OLG Stuttgart mit ihrer Revision gegen einen Freispruch der Vorinstanz für den Kommunikationsdesigner Alvar Freude nicht durch. Der Richter betonte aber, dies sei eine Entscheidung für diesen speziellen Fall.

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Von
  • Monika Ermert

Der 1. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts hat in seiner Verhandlung am heutigen Montag dem Kommunikationsdesigner Alvar Freude Recht gegeben und eine Bestrafung wegen Verlinkung zweier Nazi-Seiten und einer Tasteless-Seite abgelehnt. Damit verwarf der Senat die Revision der Staatsanwaltschaft, die bis zuletzt für eine Verurteilung wegen Beihilfe zur Zugänglichmachung und Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda und Symbole (StGB 86,1) und Gewaltverherrlichung auf der Website odem.org gefochten hatte. Allerdings sagte der Vorsitzende Richter des Strafsenats, Stefan Eckert: "Die erste Botschaft, die von diesem Urteil ausgeht, lautet, das Setzen von Links zu solchen Inhalten ist eindeutig strafbar; und erst die zweite lautet: In diesem ganz speziellen Ausnahmefall ist es das nicht." Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, "das darf man".

Freude war für seine Dokumentation des Streites um die vom Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow verhängten Sperrverfügungen gegen Internet-Provider zunächst im Oktober 2004 vom Amtsgericht Stuttgart wegen Beihilfe zur Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda verurteilt worden. Das Landgericht hatte Freude Mitte vergangenen Jahres dagegen vollständig freigesprochen. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

Freude kann laut Urteil in seinem speziellen Fall, nämlich der Dokumentation der Debatte zu den Sperrverfügungen, für sich die so genannte Sozialadäquatsklausel (StGB § 86,3) in Anspruch nehmen. Diese erlaubt die Zugänglichmachung oder Verbreitung der verbotenen Symbole und Propaganda ausdrücklich für den Fall, dass es sich um eine Dokumentation zu Ereignissen des Zeitgeschehens und um einen Beitrag zur politischen Willensbildung handele. "Der Angeklagte hat die Links nicht einfach so gesetzt, er hat sie in einen Kontext gestellt", erklärte der Richter in der ausführlichen mündlichen Urteilsbegründung, "und, das muss man sagen, in einen beeindruckenden Kontext."

Zugute kamen Freude auch distanzierende Bemerkungen zu den verlinkten Seiten und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, das ihm erlaube, über die Sperrverfügungsdebatte wahrheitsgemäß zu berichten. Das Landgericht habe in seinem Freispruch die Sozialadäquatsklausel in keiner Weise überdehnt, und daher sei an dessen Urteil nicht herumzumäkeln. Ganz klar widersprach das OLG übrigens auch dem in der ersten Instanz vorgebrachten Argument, dass sich jedermann auf die Sozialadäquatsklausel berufen könne. Der "beeindruckende Kontext" ist dabei laut dem Richter von entscheidender Bedeutung. Die subjektive Absicht von Freude, mit seiner Darstellung über die Gefahren von Sperrverfügungen aufzuklären, hätte nicht ausgereicht. Die aufklärerische Absicht und der Dokumentationszweck müssten auch objektiv aus den verbreitenen Inhalten erkennbar werden. Daher, erklärte Eckert, bleibe es auch in Zukunft Sache des einzelnen Tatrichters, die Strafbarkeit festzustellen.

In die Freude über das sofort rechtskräftige Urteil, gegen das die Staatsanwaltschaft keine weiteren Rechtsmittel einlegen kann, mischten sich bei Alvar Freude und seinem Anwalt Thomas Stadler leichte Besorgnis. Das Gericht war dem Anwalt in der Argumentation nicht gefolgt, dass man grundsätzlich zwischen referenzierenden Links und solchen unterscheiden muss, bei denen sich der Verlinkende die verlinkten Inhalte klar zu Eigen macht.

Auch bei der Frage, ob ein Verlinken grundsätzlich eine Zugänglichmachung und Verbreitung bedeutet, hat die Kammer überraschend klar geurteilt. "Der Linksetzer ist auch für die Inhalte der von seiner Dokumentation aus aufrufbaren Seiten strafrechtlich zunächst verantworltich", erklärte Eckert, "er ist ein Täter." Als Einzelperson könne er sich, anders als etwa Google, nicht auf eine abgestufte Verantwortlichkeit berufen, wie sie im Teledienstegesetz (TDG) für Internet- und Host-Provider geregelt sei. "Wir dürfen bei der Frage der Verantwortlichkeit auf die schriftliche Urteilsbegründung gespannt sein", meinte Stadler.

Gespannt auf diese ist auch Werner Doster, der Vertreter der Stuttgarter Generalstaatsanwaltschaft. Er sagte nach der Urteilsverkündung, es sei in der Tat nicht ganz auszuschließen, dass das Urteil auch auf den Stuttgarter "Hakenkreuzprozess" ausstrahlt. Im Fall des derzeit am OLG anhängigen Verfahrens gegen eine Firma aus Winnenden, die so genannte Antifa-Symbole, zum Beispiel durchgestrichene Hakenkreuze, vertreibt, gehe es allerdings um eine kommerzielle Tätigkeit. "Nach dem Urteil heute muss man sich vermutlich jedes der verschiedenen Symbole einzeln anschauen", meinte Doster. Fehlgeschlagen war im Fall Freude zuletzt noch der Versuch, eine Strafbarkeit nach Jugendschutzrecht zu konstruieren. Weder das zur "Tatzeit" geltende Gesetz noch der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag rechtfertigten eine Verurteilung, betonte Eckert, da jeweils eine schwere Jugendgefährdung vorausgesetzt würde. Angeschlossen hat sich das OLG schließlich auch der Landgerichtsentscheidung zu rotten.com, diese Seite erfülle nicht den Tatsbestand der Gewaltverherrlichung.

Zum Hyperlink-Prozess gegen Alvar Freude siehe auch:

(Monika Ermert) / (anw)