Radioaktive Zahnpasta

Wir wissen, dass wir nichts wissen, soll schon Sokrates gesagt haben. Die Wissenschaft und ihre kommerzielle Schwester, die industrielle Vermarktung ihrer Erkenntnisse, hat das noch nie gestört.

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Wir wissen, dass wir nichts wissen, soll schon Sokrates gesagt haben. Die Wissenschaft und ihre kommerzielle Schwester, die industrielle Vermarktung ihrer Erkenntnisse, hat das noch nie gestört.

Neulich bin ich bei einem meiner Surftrips durch Wissenschaftsseiten auf ein besonders skurriles Stückchen Produktgeschichte gestoßen. Die Firma Auergesellschaft aus dem Wedding in Berlin hatte zwischen 1940 und ca. 1945 ein wunderliches Produkt namens "Doramad" auf dem Markt, das "die Zellen mit neuer Lebensenergie" laden und "die Bakterien" in "ihrer zerstörenden Wirksamkeit" hemmen sollte. Sie werden nun schon aufgrund der Überschrift wissen, was das für eine Verkaufseinheit war: Ja, eine Zahncreme mit einem ganz besonderen Bestandteil.

Doch lesen wir noch ein wenig weiter in der Produktbeschreibung, die ein freundlicher amerikanischer Forscher der Online-Nachwelt erhalten hat: "Was leistet Doramad? Durch ihre radioaktive Strahlung steigert sie die Abwehrkräfte von Zahn und Zahnfleisch. (...) Daher die vorzügliche Vorbeugungs- und Heilwirkung bei Zahnfleischerkrankungen. Poliert den Schmelz aufs Schonendste weiß und glänzend. Hindert Zahnsteinansatz."

Aber es kommt noch besser: In der gleichen Werbung für das Wundermittel erklärte die Auergesellschaft, was der strahlende Inhaltsstoff so alles tut – und ich muss es mir verkneifen, ein dickes "(!)" dahinterzusetzen: "Ich bin die radioaktive Substanz. Meine Strahlen massieren das Zahnfleisch."

Und die deutsche Wikipedia schreibt, "Doramad radioaktiv" habe damals zu den Meilensteinen technischer Errungenschaften gezählt. Geradezu trockenhumorig heißt es weiter: "Folgeschäden durch radioaktive Strahlung waren damals so gut wie nicht bekannt. Erst durch den Atombombenabwurf auf Hiroshima erkannte man die möglichen Auswirkungen der Radioaktivität und machte damit die Zahncreme marktunfähig."

Der radioaktive Inhaltsstoff von Doramad war übrigens Thorium, das sich die Auergesellschaft offenbar aus Frankreich besorgt hatte, um ihre Geschäfte zu diversifizieren. Nochmal, weil es so schön war, Wikipedia Deutschland: "Thorium ist ein Alphastrahler und aufgrund dieser Strahlungsart gefährlich bei Inhalation und Ingestion. Metall-Stäube und vor allem Oxide sind aufgrund ihrer Lungengängigkeit radiotoxisch besonders gefährlich und können Krebs verursachen."

Die Radioaktivität von Thorium wurde übrigens von Marie Curie entdeckt, die sechs Jahre vor der "Doramad"-Markteinführung an den Folgen ihrer so bedeutsamen Strahlenexperimente starb. Der amerikanische Forscher, der die "Doramad radioaktiv"-Seite betreibt, konnte in einer Gamma-Spektroskopie einer Probe immerhin Spuren von Thorium nachweisen.

PS: Gerade habe ich gesehen, dass auch der Kollege Glaser im vergangenen Sommer auf das verrückte Produkt aufmerksam geworden ist. Zwei Köpfe wundern sich stärker als einer. (bsc)