Das Apple-Paradoxon

Was runde Ecken, das Untragbare an tragbaren Rechnern und handgemachte Klingelschilder miteinander verbindet.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Glaser

Ich hab mich wieder dabei erwischt. Vor mir auf dem Tisch steht eine Festplatte, Hubraum ein Terabyte, die Platte ist kaum größer als ein Buch. Mein Rechner, ein MacBook Pro, ist etwa so groß wie ein Schulatlas und leistungsfähiger als ein Rechenzentrum in den achtziger Jahren. Und ich, was mache ich? Ich notiere mir eine Idee, indem ich einen leeren Ordner auf dem Desktop anlege und die als Minibildunterschrift erscheinende Ordnerbezeichnung als Notizzettel benutze. Die notierte Idee ist klein und einfach. Dafür eigens ein Dokument in einem meiner Schreibprogramme zu öffnen und zu benennen, erscheint mir unangemessen und übertrieben. Der Verwaltungs-Overhead ist angesichts einer solchen kleinen Idee überdimensioniert. Mit den Bildschirmnotizzetteln, die aussehen wie Post-its, wäre es nicht anders. Tut mir leid, alles nicht einfach genug – auch wenn Steve Jobs den Macintosh seinerzeit zum Schweizer Messer unter den Computern erklärt hat.

Manchmal fehlt mir ein Grad an Kleinheit und Feinheit am Mac, der mir in einer fernen Zeit, als ich noch auf einer sogenannten Schreibmaschine geschrieben habe – Eure Eltern können euch sowas mal auf dem Flohmarkt zeigen, sieht aus wie eine souffléartig aufgequollene Tastatur – jedenfalls in einer weit zurückliegenden Zeit schon mal verfügbar war. In Momenten wie dem mit der kleinen Idee, die notiert werden möchte, sehe ich nicht, wo der Fortschritt liegt in der ganzen sonst so wunderbaren digitalen Weltneugestaltung durch die Maschinen der Firma Apple. Ich vermisse etwas. Ich sitze vor meinem vor Rechenleistung schimmernden, tragbaren Gerät und finde etwas an ihm untragbar. Eine fehlende Bereitschaft, auf bestimmte Kleinigkeiten einzugehen.

Wer schon mal mit Computerhilfe ein neues Klingelschild beschriften wollte, weiß vielleicht, was ich meine. Früher hat man ein passendes Streifchen Pappe aus dem Deckel einer Zigarettenschachtel geschnitten, es in die Schreibmaschine eingespannt, den Namen getippt, fertig. Heute kann ich dafür zwar aus einem Konvolut von Fonts wählen, aber ich muss ein ganzes A4-Blatt vergeuden, um mein gedrucktes Klingelschild ausschneiden zu können. Ein so kleines Streifchen Papier lässt sich in keinen Printer einspannen. Ich bin ein Papierbenutzungsfetischist. Bei mir wandert ein Blatt erst in den Mülleimer, wenn es auf beiden Seiten beschrieben ist. Nur wegen eines kleinen Streifchens ein ganzes Blatt zu vergeuden, widerstrebt mir zutiefst, vor allem, wenn mich mein Computer-Equipment dazu zwingt.

Es wird einem wieder deutlich, woher Computer ursprünglich kommen, nämlich aus dem Büro – aus Kryptographie- und Ingenieurbüros, aus den Buchhaltungen großer Unternehmen, jedenfalls aus dem Bedarf nach schneller Abarbeitung großer Datenmengen. Die kleine, persönliche Klingelschild-Datenmenge fällt dabei durch den Rost, nach wie vor, obwohl man uns seit fast drei Jahrzehnten etwas vom persönlichen Computer erzählt.

Bill Atkinson, Erfinder von QuickDraw und runden Ecken

Es ist paradox, denn gerade bei Apple gibt es so einzigartige Winzigkeiten wie die runde Ecke. Sie ist ein Statement, ein ästhetischer Luxus, für den man ohne zu zögern bereit ist, ein paar Pixel Bildschirmfläche zu opfern. Am PC sind Ecken eckig, das kann jeder. Die ausschließlich eckige Ecke ist Ausdruck bornierter Exaktheit. Ich spreche von der runden Ecke in Softwareform, wie sie sich am klassischen OS-Desktop ebenso zeigte wie heute an den iPhone-Icons oder der Fenster-Kopfleiste in OS X. Im Mai 1981 war die elegante Winzigkeit von Bill Atkinson programmiert worden, dem der spätere Macintosh seine Grafikbibliothek verdankte – QuickDraw. Steve Jobs hatte Atkinson bedrängt und darauf hingewiesen, dass man praktisch überall auf Vierecke mit runden Ecken stieß, an Tischen und Flipcharts ebenso wie an Verkehrsinseln... – Jobs schleppte Atkinson nach draußen, und nach zwei Runden (Ecken) um den Block gab der seinen Widerstand auf und schrieb eine erstklassige Routine, die zur Grundlage dieses winzigen, stilprägenden Gestaltungselements wurde, das manche als Inbild der speziellen Apple-Eleganz ansehen.

Runde Ecken in Snow Leopard

Auch die runde Ecke ist vom Fortschritt bedroht. Seit OS X Leopard ist dieses unverkennbare Merkmal aus den Winkeln des Desktops verschwunden, hat sich allerdings stattdessen – nach dem Prinzip der kommunizierenden Gefäße – in den Unterkanten der Pulldown-Menüs eingeschlichen. Wer gern wieder mehr runde Ecken haben möchte, kann dazu ein Tool wie Displaperture verwenden.

Ich schaute auf den hellblauen Ordner mit der Unterzeile, in die ich meine Idee geschrieben hatte. Es gibt Dinge, die man jahrelang jeden Tag vor Augen hat und die man gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Ich schaute genau hin und sah die runden Ecken an dem Ordner. (se)