Infektionsherd im sozialen Netz

Aus der kombinierten Analyse genetischer und sozialer Daten können kanadische Forscher erstmals exakt die Ausbreitung eines Tuberkulose-Erregers rekonstruieren.

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Von
  • Emily Singer

Aus der kombinierten Analyse genetischer und sozialer Daten können kanadische Forscher erstmals exakt die Ausbreitung eines Tuberkulose-Erregers rekonstruieren.

Juli 2006: In der kanadischen Provinz British Columbia wird bei einem Kleinkind Tuberkulose (TB) diagnostiziert. Alarmiert untersuchen die Gesundheitsbehörden das Umfeld des Kindes nach weiteren TB-Fällen – und werden fündig: Bis Dezember 2008 hat sich die Zahl der nachgewiesenen Infektionen auf 41 erhöht. Das bedeutet eine Verzehnfachung der jährlichen TB-Fälle in der Region.

Da hat beim British Columbia Centre for Disease Control (BCCDC) längst die Suche nach dem Infektionsherd begonnen. Bohrende Fragen: Waren die TB auslösenden Bakterien mutiert, als sie sich ausbreiteten? Gab es irgendwelche Veränderungen im sozialen Umfeld der Menschen, die eine Infektion erleichterten?

Das Bild, das sich aus den herkömmlichen Untersuchungsverfahren der TB-Ausbreitung ergab, war verschwommen. Molekularanalysen der Erreger zeigten nur, dass sie alle mit demselben Bakterienstamm infiziert worden waren. „Auf Grundlage dieser Information konnten wir nicht herausfinden, wer den Erreger an wen weitergegeben hatte“, erinnert sich Patrick Tang , Mikrobiologe am BCCDC.

Er und seine Kollegen beschlossen deshalb, zwei weitere Verfahren zu probieren: die Genomsequenzierung aller in den infizierten Personen gefundenen Bakterien – und eine Soziale-Netzwerk-Analyse, eine Methode, die in der Epidemiologie zunehmend eingesetzt wird. DNA-Sequenzierungen erlauben eine viel präzisere Spurensuche als herkömmliche molekularbiologische Methoden, die sich auf einige wenige Stellen im Genom beschränken und so wichtige Hinweise übersehen können.

„Wir können zum ersten Mal ein sehr detailliertes Bild zeichnen, von den Beziehungen der Menschen in ihrer sozialen Gruppe und von den Beziehungen der Bakterien untereinander“, sagt Jennifer Gardy, Leiterin des Genomforschungslabors des BCCDC. „Wir können jetzt den Weg des Erregers durch die Bevölkerung rekonstruieren.“

Nach der Sequenzierung der Bakteriengenome verfolgten die BCCDC-Forscher den Weg des Erregers durch das soziale Netz und entdeckten dabei zwei voneinander unabhängige Infektionsherde.

(Bild: New England Journal of Medicine)

Die Forscher sequenzierten zunächst die Genome von 36 Bakterienproben. Mit speziellen Algorithmen verglichen sie dann die Mutationen, die beim Überspringen auf den nächsten Menschen aufgetreten waren. Die Analyse, die gestern im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, enthüllte, dass es zwei bakterielle Linien gegeben hatte – und damit zwei Infektionsherde, von denen sich die Mikroben unabhängig voneinander ausbreiteten. Die Forscher schlossen daraus, dass der Grund für den Ausbruch in einem Umweltfaktor zu suchen sein müsste und nicht in einem genetischen.

Sie befragten nun die Patienten, wann sie wieviel Zeit mit Familienmitgliedern, Verwandten und Arbeitskollegen verbrachten. Daraus erstellten sie ein Soziales-Netzwerk-Diagramm potenzieller Wechselwirkungen (siehe Bild). „Anstatt nur eine Liste von Namen zu haben, kann man die zugrunde liegende Sozialstruktur sehr genau nachzeichnen“, sagt Gardy. „Darin lassen sich dann Schlüsselpersonen erkennen, zentrale Orte und Verhaltensweisen, die zu einem Krankheitsausbruch beigetragen haben könnten.“ Sobald neue Informationen einliefen, könne eine Untersuchung sofort verfeinert werden.

Indem die Forscher die sozialen Beziehungen und die bakteriellen Beziehungen übereinander legten, hätten sie Personen identifizieren können, die besonders ansteckend waren, ergänzt Tang. Auf diese Weise gelang es den BCCDC-Forschern schließlich, den TB-Ausbruch mit einem ansteigenden Konsum von Crack in einer bestimmten sozialen Gruppe in Verbindung zu bringen. „Das war mit größter Wahrscheinlichkeit der Auslöser“, sagt Tang, „weil es latent vorhandene Erreger reaktivierte und die Ausbreitung erleichterte.“ Anhand des neuen, kombinierten Vorgehens könnten Gesundheitsbehörden nun schneller das Problem eingrenzen und TB-Risikopatienten identifizieren.

„Die Ergebnisse zeigen, dass es machbar ist, genetische mit sozialen Daten zu kombinieren und daraus eine Ansteckungskette zu ermitteln“, sagt Joel Miller, Epidemiologe an der Harvard School of Public Health. „Und man kann damit sogar zwei zeitgleiche, aber separate Ausbrüche einer Krankheit unterscheiden.“

Tang geht davon aus, dass das Verfahren in den kommenden Jahren weithin übernommen wird. „Jetzt, da die Kosten von Vollgenom-Sequenzierungen nur noch bei ein paar Hundert Dollar liegen, werden sich immer mehr Leute dafür interessieren“, erwartet er. Gerade bei komplexeren Problemen wie der weltweiten Ausbreitung einer Antibiotika-Resistenz seien Genomsequenzierungen unglaublich wichtig.

Die größte Hürde sind denn auch für Tang nicht mehr die Kosten, sondern die Analyse-Werkzeuge. „Wie zieht man sinnvolle Schlüsse aus all den Genom-Daten, die man erzeugt hat? Das ist nun die große Frage“, sagt Tang.

Das Paper:

Gardy, Jennifer et al.: „Whole-Genome Sequencing and Social-Network Analysis of a Tuberculosis Outbreak“, New England Journal of Medicine, Vol. 364, S. 730–739, 24.2.2011 (Abstract) (nbo)