Science-Fiction-Träume werden wahr

Microsofts Gestensteuerung Kinect hat eine Welle der Innovation ausgelöst: Hacker, Firmen und sogar Microsoft selbst entwickeln immer mehr frei zugängliche Softwerkzeuge für kreative Kinect-Anwendungen.

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Von
  • Erica Naone

Microsofts Gestensteuerung Kinect hat eine Welle der Innovation ausgelöst: Hacker, Firmen und sogar Microsoft selbst entwickeln immer mehr frei zugängliche Softwerkzeuge für kreative Kinect-Anwendungen.

Die Gestensteuerung Kinect hat sich zum Renner entwickelt: Seit November 2010 hat Microsoft rund acht Millionen der kleinen Geräte verkauft. Vor allem aber hat die Kinect, die ursprünglich als Ergänzung der Spielkonsole Xbox gedacht war, eine Welle der Innovation ausgelöst: Immer mehr Werkzeuge ermöglichen, die Gestensteuerung auf ganz neue Anwendungen zuzuschneiden.

Der Boom hat mehrere Gründe: Mit 150 Dollar ist die Kinect günstig zu haben und kann über eine USB-Schnittstelle im Prinzip an beliebige Rechner angeschlossen werden. Und im Unterschied zur Wii Remote, der Konsolensteuerung von Nintendo, erfordert sie keine Fernbedienung. Die Kinect „sieht“ mittels Sensor, was der User macht und setzt die Bewegungen im Raum in einen synchronisierten Strom von Farb-, Tiefen-, und Audiodaten um. Ähnlich wie vor einigen Jahren bei der Wii-Fernbedienung dauerte es nicht lange, bis Nutzer Wege fanden, den Sensor an PCs anzuschließen und diese Daten für andere Zwecke als Computerspiele zu nutzen.

Um mit der Kinect kreativ arbeiten zu können, müssen Hacker an die Daten in dem Gerät herankommen – zum Beispiel die Tiefenkarte, in der festgehalten wird, was in einem Raum vor sich geht. Dann müssen die aufgezeichneten Gesten zugeordnet und interpretiert werden. Waren die ersten Hacks bereits wenige Tage nach dem Verkaufsstart aufgetaucht, haben inzwischen auch Microsoft und seine Partnerfirmen erkannt, welches Potenzial im Innovationsbedürfnis der Nutzer steckt.

Microsoft will demnächst eine nichtkommerzielle Entwicklungsumgebung zur Verfügung stellen, um Wissenschaftlern die Anpassung der Kinect zu erleichtern. Das Paket umfasst Software-Werkzeuge, mit denen sich das Audiosystem, die Ansteuerung des Hauptsensors und andere Systemfunktionen umprogrammieren lassen. Eine kommerzielle Version des Software-Kits hat Microsoft ebenfalls angekündigt.

Auch PrimeSense, das wesentliche Teile der Kinect-Technologie entwickelt und an Microsoft lizenziert hat, unterstützt inzwischen die Hackergemeinde. Das Unternehmen aus Tel Aviv vertreibt das PrimeSensor Reference Design, ein der Kinect sehr ähnliches Gerät, und bietet dafür Open-Source-Treibersoftware an.

Die Brüsseler Firma SoftKinetic wiederum, spezialisiert in der 3D-Gestenerkennung, will ab Mitte März eine Software zur Verfügung stellen, die räumliche Tiefeninformationen der Kinect verarbeitet. Mit ihr können Bastler programmieren, wie das Gerät auf bestimmte Gesten reagieren soll.

Die Gemeinde der Kinect-Hacker hat derweil eigenes Knowhow gesammelt, auf dem andere aufbauen können. „Ich habe die Kinect eigentlich gar nicht selbst gehackt“, sagt etwa Jim Spadacinni, Inhaber und Kreativdirektor der Firma Ideum, die interaktive Ausstellungsstücke für Museen produziert. Für das Projekt Open Exhibits – das Open-Source-Lösungen für interaktive Ausstellungen entwickelt – hat Spadacinni die Kinect genauer untersucht.

Erstes Ergebnis: ein frei zugängliches Modul, um gestengesteuerte Flash-Anwendungen zu programmieren. Dies wäre ohne den von Hector Martin veröffentlichten Open Kinect-Treiber nicht möglich gewesen, betont Spadacinni. Die Software wird mittlerweile von vielen Kinect-Hackern genutzt, um Daten des Geräts nutzen zu können.

Der Treiber sei der Wendepunkt gewesen, weil er eine einfache Programmierung des 3D-Dateninputs ermögliche, sagt Sean Kean von der New York City OpenKinect Meetup Group . „Wir werden eine Revolution erleben“, ist sich Kean sicher. Die Weiterentwicklungen der Kinect hätten die Hürden von Robotikprojekten und anspruchsvollen Anwendungen gerade für Einzelpersonen deutlich gesenkt.

Denn mit Hilfe der Kinect-Technologie ließen sich nicht nur Gesten erkennen, sondern räumliche Daten aller Art erkennen und verarbeiten. Die Erfindungen reichen inzwischen von einem Roboter, der eine Person erkennt und ihr wie ein Hund folgt, über eine Gestensteuerung für das Lesen von Online-Nachrichten bis hin zu einem Dateninput für 3D-Displays.

All das sei zwar im Prinzip schon vorher möglich gewesen, aber nicht für so wenig Geld, sagt Garratt Gallagher. Der KI-Forscher hat am MIT selbst verschiedene Kinect-Hacks entwickelt. „Wir sind damit all unseren Science-Fiction-Fantasien einen Riesenschritt näher gekommen“, schwärmt Gallagher. (nbo)