Suchmaschine für den menschlichen Körper

Microsoft hat eine Software entwickelt, die Organe und andere Gewebestrukturen in Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren identifizieren kann.

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Von
  • Tom Simonite

Microsoft hat eine Software entwickelt, die Organe und andere Gewebestrukturen in Aufnahmen aus bildgebenden Verfahren identifizieren kann.

Forscher bei Microsoft Research im britischen Cambridge haben eine neuartige Bildsuchmaschine entwickelt, die medizinische Aufnahmen des menschlichen Körpers erschließen soll. Das System kann auf Bildern aus dem Computertomographen (CT) Organe und andere Gewebestrukturen auffindbar machen. Ziel ist es, Ärzten die Arbeit mit der Datenflut zu erleichtern, die die immer besser werdenden bildgebenden Verfahren mittlerweile erzeugen.

CT-Geräte nutzen Röntgenstrahlen, um zahlreiche Schnittbilder des Körpers zu erfassen, die sich dann im Rechner zu einer 3D-Repräsentation zusammensetzen lassen. In der Diagnose ist das seit Jahren ein sehr wertvolles Werkzeug. "Allerdings sind die Bilder nie sehr einfach zu navigieren", sagt Antonio Criminisi, Leiter der Forschungsgruppe. "Es ist selbst für gut ausgebildete Fachkräfte manchmal schwer, den Bereich im Körper zu finden, der untersucht werden muss, um an den Ausgangspunkt eines medizinischen Problems zu gelangen."

Nachdem die CT-Bilder in die Software der Microsoft-Forscher eingespeist wurden, wird zunächst mit Hilfe eigens entwickelter Algorithmen ein Datenindex erstellt und am Bildschirmrand eine Liste der Organe angelegt, die gefunden wurden. Eine Tabelle mit Hyperlinks führt den Bediener dann zum gewünschten Körperbereich. Ein Nutzer kann beispielsweise auf das Wort "Herz" klicken und bekommt eine klare Sicht auf das Organ geliefert, ohne sich durch Einzelbilder kämpfen zu müssen.

Sobald eine Körperstruktur gefunden ist, die den Arzt interessiert, kann sich dieser neben der zweidimensionalen Ansicht auch ein erweitertes 3D-Bild anzeigen lassen. Per Touchscreen navigiert er dann durch die umgebenden Strukturen. Ein neuer CT-Scan lässt sich jederzeit präzise neben bereits gespeicherten Aufnahmen platzieren, um zu vergleichen, ob sich der Zustand eines Patienten verbessert oder verschlechtert hat.

Die Microsoft-Research-Software nutzt vor allem die Helligkeitsunterschiede in den CT-Scans, um bestimmte Strukturen auszusieben. Bei der Entwicklung verwendeten Criminisi und sein Team Techniken aus dem Bereich des maschinellen Lernens: Sie speisten zunächst Hunderte von Scans in das System, bei denen die wichtigsten Organe und Gewebestrukturen bereits vormarkiert waren. Nun dauere es nur noch einige Sekunden, bis ein neues Bild im Index sei, sagen die Forscher, die das Projekt in Zusammenarbeit mit Ärzten des Addenbrookes Hospital Cambridge durchführen.

Das Microsoft-Research-Team untersucht zudem auch derzeit fortschrittliche Bedienmethoden, darunter Gesten- und Sprachsteuerungssysteme. Denkbar sei beispielsweise, sagt Criminisi, den 3D-Sensor Kinect aus Microsofts Xbox einzusetzen. Damit wäre es möglich, dass ein Chirurg während einer Operation nur auf einen Bereich deuten müsste, den er näher betrachten will. Die sterilen Handschuhe müssten dann nicht mit dem Griff zur Maus kontaminiert werden.

Kenji Suzuki, Juniorprofessor an der University of Chicago, der an ähnlichen Systemen arbeitet, glaubt, dass das Microsoft-Research-System die Patientenbetreuung deutlich verbessern könnte, sollten die CT-Scancs damit wirklich leichter zu navigieren sein. "Mit dem zunehmenden Fortschritt bei bildgebenden Verfahren werden mittlerweile so viele Aufnahmen angefertigt, dass es zu einer Art "Information Overload" kommen kann", sagt er. Die Arbeitsbelastung der Fachleute sei stark gestiegen.

Suzuki hat allerdings auch Verbesserungsvorschläge für Criminisi und sein Team: Er glaubt, dass es sinnvoller wäre, die Bilder nach Krankheitsanzeichen zu sortieren, nicht nur nach Organen und gesunden Strukturen. Der University-of-Chicago-Forscher hat bereits eine Software entwickelt, die Anzeichen von Lungentumoren erkennen kann. In Tests erreichte sie eine halb so hohe Fehlerquote wie ein menschlicher Experte.

Criminisi will zunächst bei den Organen als eine Art Navigationssystem bleiben, gibt aber gleichzeitig an, dass die Forscher bereits an der Erkennung von Krankheitsherden arbeiten. Verschiedene Abstufungen von Gehirntumoren stünden hier etwa auf der Liste.

Die Microsoft-Research-Gruppe will das Werkzeug wenn möglich auch in der Verwaltung von Krankenhäusern einsetzen. So könnte es eine Sammlung von 3D-Scans und anderen Bildern in einen Suchindex aufnehmen, um Ärzten einen besseren Überblick über Patientendaten zu geben. Heute existieren zumeist nur Textbeschreibungen. Durchsucht man diese nach einem Begriff wie "Herz", ist zunächst nicht klar, ob es sich um CT-Aufnahmen oder medizinische Dokumente in einem anderen Kontext handelt. Würde ein Krankenhaussystem neue Scans automatisch erfassen, könnte die Microsoft-Software gleich mit ablegen, was darauf zu sehen. (bsc)