USA ein Schurkenstaat im DNS?

Kurz vor dem Start einer Konferenz der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) in San Francisco gab es scharfe Vorwürfe zum Verhalten der US-Regierung bei der Beschlagnahme von Domains.

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Von
  • Monika Ermert

Harte Worte für die Domainpolitik der USA gab es unmittelbar vor dem Start des Treffens der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) in San Francisco. Bei einer Konferenz der in der ICANN organisierten nicht-kommerziellen Nutzer sagte Eric Goldman, Rechtswissenschaftler an der Universität von Santa Clara: "Unsere Regierung hat sich zu einem Schurken in diesem Bereich entwickelt“. Goldmann spielte dabei sowohl auf die unberechtigte Beschlagnahme von über 80.000 Domains durch eine Behörde des Heimatschutzministeriums wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen an, als auch auch eine Reihe neuer oder geplanter Bundes- und Landesgesetze, wie etwa das Verbot des Domain-Verkaufs an Terroristen.

Insbesondere der Combatting Online Infringement and Counterfeits Act (S.3804:COICA) stieß in San Francisco auf vehementen Widerspruch, nicht nur von Goldmann. COICA, das kürzlich in einer Senatsanhörung vom demokratischen Senator Patrick Leahey noch einmal als notwendig bezeichnet wurde, sieht Beschlagnahmen von Domains ohne vorheriges Gehör vor – auch für Domains von com- oder org-Inhabern außerhalb der USA. Sitzt die Domainregistry außerhalb der USA und ist die Übertragung der Domain an die Behörden nicht möglich, sollen ganz im Sinne des deutschen Zugangserschwerungsgesetzes die Provider filtern. Überdies könnten Suchmaschinen verpflichtet werden, die entsprechenden Seiten in ihren Indizes blocken und Finanzdienstleister hätten etwaige Zahlungsströme zu stoppen.

Peter Eckersley, IT-Experte der Electronic Frontier Foundation warnte, die Bestrebungen der USA Domains von Nutzern in aller Herren Länder zu blockieren, egal ob auf der bereits bestehenden gesetzlichen Grundlage oder über das noch weitreichendere COICA sei eine Bedrohung für das Domain Name System (DNS). Dessen Funktionieren basiere auf einem Konsens der Nutzer in allen Staaten und der sei aufkündbar, wenn ein Partner über die Stränge schlage. Kathy Kleiman vom org-Betreiber Public Interest Registry (PIR) warnte, COICA könne für eine Verlagerung des Domaingeschäft ins Ausland sorgen.

Aus Sicht von Goldmann ist der aggressive Markenrechtsschutz im Domain Name System kaum noch nachvollziehbar, im Bereich der Nutzung von Keywords gebe es keine vergleichbaren Maßnahmen. Bei der ICANN erstrittene Maßnahmen zum Online-Markenschutz – etwa offene Whois-Daten oder schnelle außergerichtliche Streitschlichtungen – seien sehr beliebt bei den Markeninhabern, die diese Errungenschaften gerne anderweitig einsetzen würden. In der Domain-Politik werde aktuell keinem anderen Grundrecht ähnlich viel Aufmerksamkeit geschenkt wie dem Recht auf Geistiges Eigentum, sagte Konstantinos Komaitis, Rechtswissenschaftler von der Universität von Strathclyde. Die Verfolgung von Kinderpornographie und die Durchsetzung der Meinungsfreiheit hätten dahinter zurückzustehen.

Die praktische Folgen der Markenrechtshysterie beobachtet das von der Princeton-Juristin Wendy Seltzer mit begründete Chilling Effect Clearinghouse. "Eine der ersten Fälle, die uns gemeldet wurde, waren Abmahnungen eines vermeintlichen Markeninhabers, der den Begriff 'puzzled' (erstaunt) in jeglicher Kombination in Domains verhindern wollte. Nicht jeder, der behauptet, dass er einen Anspruch hat, ist auch wirklich im Recht oder hat verstanden, was ihm zusteht“, so Seltzer. Bei der ICANN wird ab heute weiter heftig über den Markenrechtsschutz für neue Top Level Domains gestritten, auch dort fordern Markenrechtsinhaber mit Unterstützung von Regierungen mehr Abwehrmaßnahmen gegen echte und vermeintliche Cybersquatter. (mw)