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Was war. Was wird.

Wer erinnert sich noch an den Microchannel? Wer an OS/2? Ist alles, was von IBM-PCs in Erinnerung bleibt, das A20-Gate? Hal Faber aber trauert keineswegs und wird sich nach Chanukka von einem Holy Ghost über Weihnachten hinweghelfen lassen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die Dinge fliegen vorüber, und wir mit ihnen. Das Jahr geht megagrau dem Ende entgegen, die norddeutsche Tiefebene sieht keinen Sonnenstrahl mehr, die Welt ist CGA mit 4 Graustufen. Wie soll der 7-millionste Kommentar im Heiseforum gefeiert werden, wenn er sich nur um Kündigungen und Überstunden dreht? Wenn Deutschlands Vorzeigefirma SAP nur mit Nachrichten über Verlagerungspläne in die Ticker kommt? Vor kurzem noch wurde Habseligkeiten zum schönsten Wort der deutschen Sprache erklärt, weil es so schön die Loslösung von den weltlichen Sachen illustriert, nun ist Hartz IV das Wort des Jahres geworden. Habseligkeiten sind bestenfalls Einnahmen, von der fiktiven Sorte, die mit A2ll gut geschrieben werden, damit das Arbeitslosengeld-II noch weiter gesenkt werden kann. 613 Euro muss die Forumsteilnehmerin und AloHi-Bezieherin Twister nach dem neuen A2ll-Bescheid bezahlen, weil sie mit den beiden im Selbstverlag produzierten Büchern über Sabrina & Co einer offensichtlich unzulässigen Arbeit nachgegangen ist. Vielleicht sucht der eine oder andere Leser dieser bescheidenen Wochenschau noch ein zum Fest passendes Geschenk: "Denkt mal darüber nach!!1"

*** Nichts ist mit Feiern und der Katzenjammer ist groß, so groß wie das Heimweh des deutschen Einwanderers Rudolph Dirks, der nach dem Vorbild von Max und Moritz die Katzenjammer Kids Hans und Fritz zu zeichnen begann, gedacht als Comic für die deutsche Parallelgesellschaft in Amerika. Heute vor 107 Jahren erschien der erste Comic mit den Abenteuern der Kids, der erste, der Sprechblasen verwendete. Und der erste, bei dem es im Streit um das geistige Eigentum zu Lösungen kam, bei denen die Freunde des Digital Rights Management nach ihren Vorfahren im Prä-Bambianischen Zeitalter suchen können.

*** Ist also Vorbeugen besser als Bohren? Möglicherweise, ganz sicher aber, so die herrschende Meinung im Fall der Prävention terroristischer Attacken oder zukünftig möglicherweise oder auch nur vielleicht oder zumindest hypothetisch oder was auch immer aber dann doch drohender Angriffe von Schurkenstaaten, von denen es dann wieder keiner gewesen sein will, finden US-Richterberühmtheit Richard Posner und sein Kollege, der Rechtsprofessor Gary Becker. So entsteht dann eine ganz neue Sicht auf all dieser Vorbereitungskriege, die die beiden Herren in dem neuen Doppelschlag-Blog der Welt kundtun, ebenso nüchtern analytisch wie der Zahnarzt seine Karies-Diagnose. Posner immerhin ist der erste hohe US-Richter mit eigenem Blog. Allerdings zweifelten von den Blog-Lesern nicht nur einige an der erläuterten Sinnhaftigkeit des Präventivkriegs -- es stellte sich auch die Frage, ob die wenig schlauen Kommentare tatsächlich vom schlauen Posner kommen können. "Die erwarteten Kosten eines Angriffs belaufen sich auf 50 (100 x Wahrscheinlichkeit 0,5).., können aber auf 20 reduziert werden, sollte das Opfer zusätzliche Verteidigungsmaßnahmen von 15 einkalkulieren." Einfach brillianter Schwachsinn oder sind wir doch schon alle von den Schurken aus den Schurkenstaaten unterwandert?

*** Aber was ist schon Unterwandern gegen... Ach nee, der Spruch ging anders. Vor mir aber liegt ein kleines zerfleddertes Heftchen, kein Comic, sondern ein Traktat, das 1936 bei R.Schl. in Sindelfingen gedruckt wurde. Abgedruckt ist eine Rede, die IBM-Präsident Thomas Watson am 27. Januar 1936 zur Eröffnung der jährlichen Versammlung der weltbesten Verkäufer hielt, dem so genannten Hundred Percent Club. In jenen Januartagen hielt Watson die Rede "The Five Cs" und proklamierte ein neues Fünfpunkteprogramm, das den Fortschritt der IBM beschleunigen sollte. Die Rede war so wichtig, dass sie überall nachgedruckt wurde, jeder Verkäufer hatte ein Exemplar der Rede im Sakko, mein Exemplar überstand mit seinem Eigentümer sogar ein Konzentrationslager, als die Nationalsozialisten mit Hilfe von IBM-Geräten den Holocaust durchführten. Während das Siddur konfisziert wurde, gab es an einer das Deutsche Reich und Top-Manager wie Rottke und Heidinder lobenden Schrift eines Amerikaners offenbar nichts auszusetzen, der 1938 Deutschlands Recht auf Rohstoffe betont hatte und über den Krieg hinweg gute Geschäfte machen konnte. Die fünf C, auf die Watson seine Mannschaft einschwörte, waren Conception, Consistency, Cooperation, Courage und Confidence. IBMler sollten den Weitblick haben, strategische Geschäfte anzugehen, sollten konstant arbeiten, Widerstände zu überwinden, die Zusammenarbeit mit anderen nutzen, solange sie für das Geschäft nützlich sind und Vertrauen in eine strahlende Zukunft haben, in der von IBM immer wieder neue und bessere Maschinen kommen. Oder, in den Worten von Watson: "Confidence is character".

*** Diese lange Vorrede muss in diesen grauen Tagen darum geschrieben werden, weil der IBM-Trick, mit der Deutschen Hollerith Maschinen Gesellschaft (Dehomag) über den Krieg hinweg Geschäfte zu machen, sonst gar zu einfach mit dem Abkommen verglichen wird, das IBM in der letzten Woche mit Lenovo getroffen hat. Es wird in die Wirtschaftsgeschichte als glänzendes Arrangement mit einem undemokratischen Staat eingehen, da bin ich mir sicher. Festzuhalten ist nüchtern, dass es bisher kein Konzern geschafft hat, so in einem chinesischen Unternehmen Fuß zu fassen, wie das IBM jetzt macht. Mit anderen Kommentatoren kann ich nur zustimmen, dass IBM der ganz, ganz große Coup gelungen ist, das China-Syndrom der IT-Branche zu produzieren. Möchte jemand in der Runde die 1,8 Milliarden Dollar mit den 25 Millarden vergleichen, die Hewlett-Packard für Compaq bezahlt hat? Was den Rest anbelangt: All die Abgesänge auf den PC und IBM sind einfach nur verlogen. Im PC-Sektor hat IBM nichts, aber auch gar nichts zum Wahren, Guten, Schönen geführt: Das A20-Gate, der Microchannel und OS/2 schmoren längst in der Hölle.

*** Apropos IBM: Es wäre wirklich schade um die tollen Thinkpads. Unter anderem auch auf einer dieser schnuckeligen Maschinen entsteht seit langer Zeit das WWWW, schwarz und heiß, vor allem mit dem Doppelakku, der es richtig schmoren lässt. Genau wie meine Interviews vom schwarzen und manchmal sehr, sehr heißen ultrakosheren iRiver in der Hose zu MP3 verhackstückt werden. Damit, liebe Leser und Leserinnen, oute ich mich als Anhänger der in der Schweiz so gerne praktizierten, aus Indien importierten Dr. Martha Vögeli-Methode des Eierkochens. Zu meiner großen Freude haben sich seriöse Wissenschaftler des heißen Themas angenommen, das alte Knacker wie mich nur noch am Rande trifft. Aber es hört hier nicht auf! Es ist viel, viel schlimmer, wenn nämlich diese richtig heißen Eierkocher ans Internet angeschlossen werden. Dann kommen nämlich die paar noch funktionsfähigen Spermatozoen in Gefahr, durch die Erdstrahlen im Internet zur vorzeitigen Ejakulation getrieben zu werden! Dann verendet unser alle Zukunft am geilen roten G-Punkt der Thinkpads! Müssen wir dann zu den geheimen Maschinen von Bletchley Park greifen? Oder rettet uns Chanukka? An dieser Stelle schweift der Blick zu unseren Nachbarn, nicht nur zur großen Martha Vögeli, sondern auch zu den Erdstrahlenbesessenen, mit diesen vertrackt jüdisch/protestantischen Elternhäusern kämpfenden Ösis vom Schlage der Elfriede Jelinek: Außerhalb sind wir verwundbar, für alles, obwohl, hach, endlich, NetBSD 2.0 da ist.

Was wird.

Natürlich fließen mir solche Aberrationen nicht von ungefähr heute über die Tastatur. Schließlich ist morgen der 800. Todestag von Moses ben Maimon, eines großen Gelehrten, mit dem die Rationalität in das westliche Denken einströmen konnte. Er schmiss den ganzen Schrott des Aberglaubens aus dem System und dockte an Aristoteles an, leider erfolglos, wie wir Heutgeborenen spätestens seit Madonna wissen. Bleiben wir also beim Positiven.

Doch Weh, oh Weh, fast WWWW tönt das Klagen, wenn wir uns einer Stütze des deutschen Protestantismus zuwenden. Verkehrsminister Manfred Stolpe hat sich zum Start der LKW-Maut geäußert, der die kommende Woche beherrschen wird. Statt Fakten, Fakten, Fakten erzählte Stolpe dem Magazin Focus schlicht Unsinn. Denn die variable Einbeziehung einer Bundesstraßen-Maut für Abweichler ist erst mit der nächsten Version der Maut möglich, die in den Werkstätten händisch eingespielt werden muss und im Jahr 2006 aktiviert werden soll. Über den von Stolpe beobachteten Stimmungsumschwung in den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Tschechien, Frankreich und Großbritannien lachen derzeit die Niederlande, Dänemark, Schweden, Tschechien, Frankreich und Großbritannien: Eine Maut, bei der selbst die offiziellen Mauttabellen fehlerhaft sind, ist ein Export-Totschlager. Psychotrainer mit Gewerbeschein und Nahkampferfahrung, bitte hierher.

Aber Leute! Nehmt die Laptops vom Schoß! Und, für die WWWW-Leserinnen, die latürnich der Tiger-Theorie aller Evolution anhängen. Freuen wir uns alle nicht bannig auf Weihnachten? Aber warum gleich in Trübsal verfallen: "Trane war der Vater. Pharoah war der Sohn. Ich war der heilige Geist." Ja, mit solch Holy Ghost, da kann man dann auch ganz außerhalb der Feiertagsreihe Weihnachten im grauen Deutschland aushalten. (Hal Faber) / (jk)