Studie: Wikipedianer überaltern

Die Mitmach-Enzyklopädie hat ein Nachwuchs-Problem: Laut einer neuen Studie findet Wikipedia zwar immer noch genug neue Mitstreiter, doch bleiben die nicht lange genug bei der Stange – abschreckend wirkt unter anderem das schlechte Betriebsklima.

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Von
  • Torsten Kleinz

Die Mitmach-Enzyklopädie Wikipedia hat ein Nachwuchs-Problem. Wie die neue Editor Trends Studie zeigt, finden sich zwar genügend neue Autoren für die Wikipedia, allerdings stellen die Ihre Mitarbeit zu schnell wieder ein. Die Wikimedia Foundation möchte sich nun um bessere Arbeitsbedingungen für Neulinge bemühen. Der Autorenschwund ist seit über zwei Jahren das Thema erbitterter Diskussion innerhalb der Wikipedia-Community. Während die Nutzerzahlen auf über 400 Millionen Leser jeden Monat gestiegen sind, schien die Zahl der Autoren zu stagnieren oder zu sinken. Verantwortlich gemacht werden unter anderem die erhöhten Qualitätsbarrieren und das teilweise schlechte Betriebsklima in der Community.

Da sich Autoren zur Mitarbeit nicht anmelden müssen, bildet die Untersuchung jedoch nur einen Teil der Realität ab. Nach der neuen Auswertung der Wikipedia-Statistiken schwankt die Zahl neuer Wikipedianer zwischen 15.000 und 20.000 in jedem Monat. Trotzdem nimmt die Gesamtzahl der Wikipedia-Autoren nicht zu. Die Zahl der aktiven Nutzer, die im Monat mindestens fünf Änderungen vornehmen, liegt demnach zwischen 80.000 und 90.000, darunter sind zirka 10.000 Nutzer, die wenigstens 100 Änderungen vornehmen und den stetig wachsenden Artikelbestand verwalten.

Die Autoren der neuen Studie haben untersucht, wie lange Autoren in der Wikipedia aktiv bleiben. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass das Durchhaltevermögen der freiwilligen Autoren zwischen 2005 und 2007 stark abgenommen hat. Blieben in der englischsprachigen Wikipedia 2004 knapp 40 Prozent der Autoren dem Projekt über ein Jahr lang treu, sind es bei den seit 2007 hinzugekommenen Autoren nur noch zirka 10 Prozent. Gleichzeitig sinkt seit 2007 auch die Zahl der aktiven Wikipedia-Autoren insgesamt. Der Trend ist in allen untersuchten Ausgaben gleich, wobei die deutschsprachige Wikipedia bereits seit 2004 mit dem niedrigsten Prozentsatz neuer Autoren auskommen muss.

"Unsere Communities altern", zieht die Geschäftsführerin der Wikimedia Foundation, Sue Gardner, eine kritische Zwischenbilanz. Diese Entwicklung sei problematisch. Eine Ursache sieht Gardner in dem Ewiger-September-Phänomen: "Eine bestehende Community ringt damit, Neulinge zu integrieren, während sie gleichzeitig bemüht ist, ihre Arbeit aufrechtzuerhalten." Ergebnis seien Verteidigungsmechanismen wie zum Beispiel skript-gestütztes Revertieren von Änderungen oder ein ausgefeiltes Regelwerk, das für Neulinge kaum zu durchschauen ist.

Sue Gardner will nun das Editieren der Wikipedia mit einem neuen Autoren-Tool einfacher gestalten – allerdings wartet die Community auf eine Umsetzung dieses Projekts schon mehrere Jahre, ebenso wie auf die Einführung eines neuen Forensystems, das die unübersichtlichen Diskussionsseiten ablösen soll. Gleichzeitig setzt Gardner auch Hoffnungen auf Mentoren-Programme wie das Schulprogramm von Wikimedia Deutschland und den Aufbau neuer Communities in bisher unterrepräsentierten Ländern wie Indien und Brasilien. Diese Pläne werden auch Thema der Chapter-Konferenz in dieser Woche, bei der sich Wikipedia-Aktivisten aus über 30 Ländern in Berlin versammeln. (vbr)