Wo sind die Roboter?

"Robots Take Dangerous Jobs" – aber warum ist in dem havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima nichts von ihnen zu sehen?

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Von
  • Peter Glaser

"Robots Take Dangerous Jobs" – aber warum ist in dem havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima nichts von ihnen zu sehen?

Es sieht so aus, als wären sie überall. In fast allen Bereichen menschlicher – und animalischer – Fähigkeiten sind inzwischen robotische Spezialleistungen verfügbar. Robotersonden erkunden das Sonnensystem. Im Bremer Standort für Robotik des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) krabbelt ein "SpaceClimber" über zerklüftete Hänge. Am 24. Februar 2011 startete an Bord eines Space Shuttle der nach Angaben der NASA erste humanoide Roboter im Weltraum, "Robonaut 2", der darauf trainiert werden soll, der menschlichen Besatzung zur Hand zu gehen. Im Mai 2010 hatte die japanische Regierung bekanntgegeben, man plane eine Mondbasis, die dauerhaft bewohnt werden solle, und zwar von Robotern. 2015 sollte der erste Roboter zum Mond fliegen.

Am Narita Airport in Tokio machen zwei Roboter mit niedlichen Gesichtern, Narita-kun and Epo-chan, den Boden sauber. Weltweit arbeiten Forscherteams an fliegenden Mini-Robotern. Wissenschaftler vom Grasp Lab der Universität von Pennsylvania haben autonome Flugroboter dazu gebracht, Gerüste aus Fertigteilen aufzubauen. Tiefseeroboter helfen Ozeanforschern.

Zur Bekämpfung der Ölpest im Golf von Mexiko hatte die Firma BP auf Unterwasserroboter gesetzt – aber hier kam die Hoffnung auf Maschinen, die sich mit selbstverständlicher Todesverachtung in 1500 Metern Tiefe gegen widrige Umstände durchsetzen, mit der merkwürdigen Realität von Katastrophen in Kontakt. Die Steuerung der Tauchroboter war so schwierig, dass zwei Personen, umgeben von Monitoren, jeweils einen Roboter zu kontrollieren versuchten – einer navigierte das Vehikel, der andere versuchte, dessen Arme so zu bewegen wie die eines Menschen. Der Versuch, damit die Absperreinrichtungen des Bohrlochs zu aktivieren, schlug fehl.

Überall sind also Roboter zugange. Biorobotiker an Carnegie Mellon University haben einen Schlangenroboter gebaut, der einen Baum hochkriechen kann. Mike Chung von der University of Washington hat einen Roboter namens Mitra entwickelt, der durch Gedankenkraft gesteuert wird. In einem TR-Interview spricht der deutsche Robotik-Forscher Klaus Schilling sogar von einer "rasanten Entwicklung hin zu selbstständig agierenden Robotern" und der Notwendigkeit, juristische und ethische Grundlagen zu schaffen, um bei der zunehmenden Entscheidungsfähigkeit von Maschinen deren Schuldfähigkeit festzustellen.

Aber zuvor vielleicht noch eine Frage: Wo sind die Roboter in Fukushima?

Wo sind – in einer geradezu roboterverrückten Hightech-Nation wie Japan –, die Flugroboter, die in den offenliegenden Reaktorgebäuden nach der inneren Sicherheitshülle um den Reaktorkern sehen, nach den plutoniumhaltigen Brennstäben in den Abklingbecken? Die Messungen durchführen, ohne dass Menschen in Gefahr geraten? Eine amerikanische "Global Hawk"-Flugdrohne soll die desolaten Reaktorblocks in Fukushima nun überfliegen. Wo sind Roboter, die für Mondlandschaften prädestiniert sind und sich im Gebäudeschutt der Reaktorblöcke bewähren können? Raupengeräte, Kletterroboter, fernsteuerbares schweres Gerät? Das kann doch nicht wahr sein, dass die ganze Roboterverheißung nur für Wettbewerbe und Präsentationen da ist.

Warum schickt man in Fukushima Menschen in die Todeszone – wieder? In der "Süddeutschen Zeitung" berichtete der Fotograf Igor Kostin über seine Erlebnisse in Tschernobyl: "Die meisten radioaktiven Trümmer waren auf dem Dach des dritten Blocks gelandet. Da Roboter nicht funktionierten, wurden Menschen dorthin geschickt. Sie haben den radioaktiven Müll nur mit Schaufeln weggeräumt. ... Wegen der extremen Strahlenbelastung dauerte eine Schicht 20 bis 40 Sekunden. Pro Person gab es nur einen einzigen Einsatz. Dreieinhalbtausend Soldaten waren da auf dem Dach, einer Fläche von vielleicht 50 mal 50 Metern."

"Robots Take Dangerous Jobs" – bereits 2003 waren auf der Fachmesse Robodex 2003 in Tokio verschiedene Roboter vorgestellt worden, die unter Extrembedingungen arbeiten sollten, vom Minenräumen bis zum "nuclear cleanup". So wurden etwa an der Universität Ciba verschiedene Minenräumgeräte entwickelt, darunter der eine Tonne schwere Comet III, der sich wie eine Spinne auf sechs Beinen bewegt. Der Prototyp HRP-2 einer anderen Forschungseinrichtung war explizit für Arbeiten an Orten vorgesehen, "die für Menschen gefährlich sind".

Shin Furukawa, Planungsdirektor bei dem Roboterhersteller Tmsuk, hob die Wichtigkeit von Robotern für diese Art von Einsätzen hervor. Im September 1999 stand er mit der Betreiberfirma JCO der Uranwiederaufarbeitungsanlage in Tokaimura 120 Kilometer nordöstlich von Tokio in Kontakt, als sich der bis dahin schwerste Atomunfall in Japan ereignete. Zwei Menschen kamen ums Leben, hunderte wurden kontaminiert. "Ich habe mit einem der Verantwortlichen gesprochen, er hatte eine Liste mit Namen vor sich, mit Alter und Familienstand. Hätten wir Roboter gehabt, wir hätten sie stattdessen schicken können."

Wo sind also die Roboter in Fukushima? Der japanische Industrieminister Banri Kaieda soll Feuerwehrleuten Sanktionen angedroht haben, wenn sie nicht in den lebensgefährlichen Einsatz in das Atomkraftwerk Fukushima I ziehen (zuvor hatte es immer geheißen, der Einsatz sei freiwillig). Dem Gouverneur von Tokio, Shintaro Ishihara zufolge habe ein Minister den Männern befohlen, "sofort an die Arbeit zu gehen, sonst würden sie bestraft".

Warum werden Menschen ins Verderben geschickt, wenn längst Maschinenhilfe zur Verfügung stehen sollte? Sind Robotiker nur für PR-Stunts wie den NASA-Robonauten gut, der den Sympathieschwund für das Milliardengrab der bemannten Raumfahrt aufhalten soll? Am Sonntag wurden von Paris aus Geräte der Groupe Intra (Intervention robotique sur accident), die auf Unfälle in Atomkraftwerken spezialisiert ist, Richtung Japan in Marsch gesetzt. Intra gehört dem größten französischen Stromkonzern Électricité de France SA (EDF), der 13 Prozent des in französischen Kernkraftwerken anfallenden radioaktiven Abfalls über Le Havre nach Russland verschifft.

Es ist im übrigen nicht naturgegebenes Nerdtum, das die Japaner Roboter über Roboter – vom Blechspielzeug in den fünfziger Jahren über AIBO und Konsorten bis hin zu pneumatisch-digitalen Marilyn Monroe-Substituten bauen lassen. Die spezielle Hinneigung zu menschenähnlichen Maschinen hat eher damit zu tun, dass die japanische Höflichkeit den Umgang mit realen Menschen manchmal so kompliziert macht, dass man ein maschinelles Gegenüber schlichtweg als entspannende Alternative ansieht, zumal der Shintoismus als verbreitete japanische Glaubensform auch Dingen, also auch Robotern, einen beseelten oder göttlichen Charakter zuspricht.

So baut man in Japan Roboter, die Klavier und Geige spielen, Marathons laufen und Hochzeitszeremonien abhalten – aber keine, die bei der Risikowahrnehmung und der Eindämmung der Lebensgefahren helfen, die von den Reaktorblöcken in Fukushima und der Kernenergie ausgeht. (bsc)