BKA-Chef: Terror in Madrid rechtfertigt Vorratsdatenspeicherung [Update]

Auf einem Politikforum des Bitkom kam es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen dem Bundesdatenschutzbeauftragten und dem BKA zur pauschalen Überwachung der Telekommunikationsnutzer.

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Sicherheitsbehörden, Datenschützer und die Wirtschaft scheinen auch nach einer mehrjährigen Fachdebatte über eine Verpflichtung zur Speicherung von Telekommunikationsdaten größtenteils aneinander vorbeizureden. Das zeigte sich während einer Diskussionsrunde auf dem kommunikations- und medienpolitischen Forum des Branchenverbands Bitkom am heutigen Dienstag in Berlin. Dort rechtfertigte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, das momentan über Brüssel vorangetriebene Vorhaben als unersetzlichen Baustein in der Terrorismusbekämpfung: "Ein Anschlag wie Madrid rechtfertigt die Verkehrsdatenspeicherung", erklärte der oberste Bundespolizist. Ihm sei es schleierhaft, dass die geplante Maßnahme "überhaupt zu Diskussionen in Deutschland führen kann". Man sei schließlich Teil des "weltweiten Gefahrenraums des Terrorismus", in dem bereits vier große Anschläge auch mit Hilfe der Telefonüberwachung verhindert worden seien.

Der BKA-Chef nannte neben der allgemeinen Bekämpfung von Kinderpornographie eine Reihe konkreter Fälle, in denen auf Vorrat gespeicherte Telekommunikationsdaten den Strafverfolgern sehr bei ihrer Aufklärungsarbeit entgegengekommen wären. So hätte beispielsweise das abgewendete Attentat auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt in seinen geplanten Ausmaßen noch besser erfasst werden können. Auch im Fall des Amoklaufs an einer Schule in Erfurt, bei einer Gewaltandrohung gegen ein Unternehmen sowie bei Erpressungsfällen im Internet hätte der Zugriff auf die vorhandenen Daten nicht gereicht. Ziercke beanstandete in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Provider bei Flatrates nicht ausreichend Informationen über das Verhalten ihrer Kunden im Netz vorhalten.

Gleichzeitig erklärte der BKA-Mann mehrfach, dass es den Strafverfolgern nur um die Abrechnungsdaten der Anbieter ginge. Laut Ziercke zielen die Wünsche der Strafverfolger damit auf Informationen ab, welche die Anbieter von sich aus speichern. Gerade die bei einer Flatrate-Nutzung erzeugten immensen Datenmassen brauchen die Provider allerdings nicht für die Geschäftsabwicklung. Die Liste der Begehrlichkeiten, über die in Brüssel verhandelt wird, ist zudem deutlich länger: Sie umfasst sämtliche Daten, die bei der Abwicklung von Diensten im Festnetz, Mobilfunk und Internet anfallen und laut aktuellen Entwürfen mindestens für ein Jahr gespeichert werden sollen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar musste angesichts der forcierten Forderungen etwas ausholen und eine Einführung in den Datenschutz und das informationelle Selbstbestimmungsrecht geben: "Ein Grundrechtseingriff findet schon dort statt, wo Daten gesammelt werden", erläuterte er. Mit den begehrten Daten würden immer auch nähere Umstände der Telekommunikation beschrieben; im Internet bei einer Suchmaschinenabfrage etwa auch die Dinge, für die sich ein Mensch interessiere. "Es ergeben sich viele Puzzlesteine für ein Persönlichkeitsprofil", erklärte Schaar. Ein Staat, der unter Zuhilfenahme Privater fordert, dass diese Profile vorgehalten werden, sei klar in einer Begründungspflicht. Letztlich gehe es um die Frage: "Wie gläsern soll der Bürger sein?" Den Ministern im EU-Rat legte der Bundesdatenschutzbeauftragte ans Herz: "Im Zeitalter der umfassenden Datenverarbeitung sollten pauschale Forderungen nach einer Vorratsdatenspeicherung zurückstehen."

Der BKA-Chef zeigte sich von den Ausführungen unbeeinflusst: "Das Argument, dass auch die Daten Unschuldiger gespeichert werden, interessiert mich nicht", stellte er angesichts der Größe der geschilderten Bedrohung klar. Auch für die Forderung der Wirtschaft nach einer Entschädigung für ihre teure Hilfssheriff-Tätigkeit hatte er kein Verständnis: "Ich kann nicht nachvollziehen, dass dadurch Kosten für den Staat entstehen sollen", betonte Ziercke. Die Provider "haben die Daten doch eh", begründete er seine Haltung. Auch der Einwand, dass Terroristen die Pauschalbeschnüffelung etwa durch den Gang an die Telefonzelle ins Leere laufen lassen könnten, überzeugte ihn nicht: Eine lückenlose Strafverfolgung gebe es nicht, aber die Täter würden ja doch zum Mobiltelefon greifen.

[Update]: Zu diesem Artikel erreichte uns folgende Erklärung der Pressestelle des BKA:

"In dem Artikel zitieren Sie den Präsidenten des Bundeskriminalamtes wie folgt:
'Das Argument, dass auch die Daten Unschuldiger gespeichert werden, interessiert mich nicht.' 1. Dieses Zitat ist von Herrn Ziercke in dieser Form nicht geäußert worden. Herr Ziercke hat gesagt, dass ein Anschlag wie in Madrid am 11.3.2004 es rechtfertigen würde, die bei den Providern vorhandenen Verbindungsdaten mit rechtlicher Verpflichtung für sechs Monate aufzubewahren. 2. Herr Ziercke hat in der Diskussion mehrere Beispiele benannt, bei denen Daten, die den Providern vorlagen, zur Aufklärung schwerster Straftaten genutzt werden konnten. Bei den in Rede stehenden Daten handelt es sich um solche, die die Provider -- und nicht die Polizei -- von ihren Kunden für Abrechnungszwecke erheben und auch speichern. Eine zusätzliche Datenerhebung -- etwa für die Polizei -- findet nicht statt. Insebsondere sollen diese Daten nicht bei der Polizei gespeichert werden."

(Stefan Krempl) / (jk)