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Was war. Was wird.

Menschen sind antiquiert. Sind sie das? Hal Faber wundert sich über Vorstellungen von idealen Welten, in denen Urban Legends zu absoluten Wahrheiten werden und das Bewusstsein zwar in der Cloud überlebt, aber der Realität abhanden kommt.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Uff. Überstanden. Phhhh. Der 1. April ist vorbei, die Scherzkekse sind schon vertrocknet. Ab sofort kann jeder Nachricht wieder vertraut werden wie der Mail über wundervolle Rolex-Replica, die aus schüchternen Männern strahlende Kommunikationsberater macht. Auch die Verleihung der Big Brother Awards liegt hinter uns. Ab sofort ist der Datenschutz auf Facebook so sicher, dass das gesamte Verbraucherministerium der BRD seinen Dienst dorthin verlagert. Auch die im Jahre 2009 entdeckte Facebook-Depression, die zum April-Start von deutschen Medien aufgewärmt wurde, ist dank rigiden Schutzzäunen um die Freundeslisten gebannt. Ein friedliches, sonniges Internet liegt vor uns. Nur ein paar Randgänger jammern darüber, dass sie sich eine Revolution anders vorgestellt haben und nun in der Traufe hocken. Sie haben als Journalisten und Blogger Probleme damit, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Ganz furchtbar furchtbar liest sich das:

"Denn es ist keine ideale Welt. Im Netz findet man nicht nur Informationen und Meinung, es ist eine gigantische Kommunikationsmaschine, bei der die Grenzen zu Mobbing, Desinformation uns Täuschung fließend sind. Und ständig besteht die Gefahr, dass ein Großer das Netz zu seinem ausschließlichen Vorteil monopolisiert. Oder gar die Freiheit der digitalen Welt beschneiden will."

*** Hier spricht die Revolution? Zappenduster ist es, wenn ein Großer kommt und was mit dieser nicht idealen Welt des Internet macht. Ja, wer wollte eigentlich diese Welt, die da über uns gekommen ist? Vor einer Woche starb Paul Baran, dessen Memoranden den Grundstock dieser gigantischen Kommunikationsmaschine beschrieben. Mitten im Kalten Krieg überlegte er, wie ein Kommunikationsnetz ausgestattet sein müsste, das einen thermonuklearen Erstschlag überstehen kann. Natürlich meldeten sich sofort Forums-Leser, die das nach Baran entwickelte ARPAnet eine ausgesprochen friedliche Forschungsplattform nannten und Anmerkungen über "false rumors" zitierten.
Nun denn, nebenan ist (als Scan) die Originalseite des Reports zu sehen, auf der Baran seine Überlegungen skizziert.

"We will soon be living in an era in which we cannot guarantee survivability of any single point. However, we can still design systems in which system destruction requires the enemy to pay the price of destroying n of n stations. If n is made sufficiently large, it can be shown that highly survivable systems structures can be built -- even in the thermonuclear era."

*** Diese Ära des thermonuklearen Fallout hat begonnen. Wenn die Berechnungen von Nuklearwissenschaftlern stimmen, müssen die Ruinen von Fukushima 50 bis 100 Jahre durchspült werden, ehe überhaupt erst damit begonnen werden kann, die abgekühlten Brennstäbe zu sichern. Das sollen deutsche Qualitäts-Roboter machen, aber auch Freiwillige, die in der ganzen Welt zu attraktiven Konditionen gesucht werden. Und wenn dieser kleinen Wochenschau ein gewisser Fefismus vorgeworfen wird, dann aber richtig: Tschernobyl, I long to hear you.

*** Ja, die radioaktive Apokalypse kann kommen – dem Internet ist es egal. Es ist an der Schwelle angelangt, an dem es für sich selber sorgen kann. Anders als Menschen müssen Computer keine Angst vor Kernkraftwerken haben, im Gegenteil: "Der Griff nach dem Atom" (Robert Jungk) sichert ihren Strom. Nun gibt es Menschen, die schwer empört sind über die digitale Traumwelt, in der wir leben. Wenn das Chatten im Internet und der Auftritt bei Facebook den Menschen wichtiger ist als die Katastrophe in Fukushima, dann sind sie längst auf der Traumreise, an deren Ende die Idee von Raymond Kurzweil steht: Das Gehirn oder das menschliche Bewusstsein wandert in die Cloud. Der marode, wenig strahlenfeste Körper kann abgeschafft werden.

*** Menschen sind antiquiert. Dabei ist die Gleichung recht einfach aufgebaut: No tech – no risk. High tech – high risk. Das schrieb der aus Amerika zurükkehrende Philosoph Günther Anders nach den Atombomben von Hiroshima und Nagasaki. Smartphones, Facebook, Internet, all das kannte Anders nicht, als er über die Antiquiertheit des Menschen schrieb. "Wie verstörte Saurier lungern wir inmitten unserer Geräte herum." Nicht nur vom Grö-ßenverhältnis Mensch ./. Smartphone stimmt mittlerweile die Metapher. Groß war seinerzeit die Empörung über Anders, als dieser darüber philosophierte, ob Attentate auf Betreiber von Atomkraftwerken legitim sein können. Heute findet sich diese Gewaltfrage bei Wutbürgern wieder, die Morddrohungen über RWE-Chef Großmann ventilieren. So etwas nennt sich Druckausgleich.

*** Während der Ökostrom-Millionär Daniel Küblböck allenthalben gewürdigt wird, weilt der Software-Milliardär Bill Gates in Deutschland. Er will Krückenkanzlerin Angela Merkel davon überzeugen, dass die Regierung wieder die Zahlungen für den Global Funds wieder aufnimmt, die nach einem Korruptionsfall eingestellt wurden. Bill Gates hat Stil: Er will mit Merkel reden, schweigt über seinen Weggefährten Paul Allen, der an einer Biographie schreibt und meidet den gelben Schleifchenträger Niebel. Vielleicht ist er auch nur antiquiert. Denn modern geht anders, wie Merkel zeigt. Sie zeichnet die brasilianische Stadt Recife für das fortschrittlichste Internet-Beteiligungsprojekt aus. In Gütersloh. Die Reinhard-Mohn-Gedächtnis-Stadt Würzburg geht derweil leer aus. Daruf einen Küblböck, ähem Under-Berg, oder etwas Abba? The Winner takes, hust, hust "Dieses Video enthält politischen Content. Es ist in deinem Land nicht verfügbar. Das tut uns leid."

Was wird.

Baran gestorben, aber Wilfried de Beauclair lebt! Zum 99. Geburtstag muss für den großen deutschen Computerpionier ein Ständchen erklingen. Wikipedia ordnet ihn als "Mechaniker und Erfinder" ein, was angesichts der frühen Rechenwerke nicht so falsch ist. Doch ohne de Beauclair hätte Konrad Zuse womöglich niemals seine Z4 realisieren können, die wiederum mit ihrem Verkauf in die Schweiz den Grundstock der Computerfirma Zuse bildete. So hallt es nach um Zuse, obwohl de Beauclair eigenständig einer der Pioniere ist, die noch geehrt werden können. Congratulations!

Was bietet der Blick in die Woche noch sonst so neben der anders vorgestellten Revolution? Da wäre ein neuer Innenmister, der sich auf einem Kongress der Polizeitruppe zu jener Vorratsdatenspeicherung äußern möchte, die als Mindestspeicherdauer durch einen neuen Innenminister geadelt, gerade einen Sonderpreis in der Kategorie "Neusprech" bei den Big Brother Awards gewann. Da wäre ein Gesundheitsminister Rösler, der zur ConHIT eine Grundsatzrede zur hoppelnden elektronischen Gesundheitskarte angekündigt hat. Er wird aber auch als Parteivorsitzender der freien deutschen Gelbschleifchenpartei gehandelt wird, die sich damit endgültig vom politischen Liberalismus eines Karl Flachs oder Gerhart Baums verabschiedet. Inmitten dieser Rosstäuschereien taucht aufgeregt betwittert ein Was war, was wird am Berliner Horizont auf. Nur keine Aufregung! Das ist eine der vielen schamlosen Kopien, die diese gigantische Kommunikationsmaschine produziert. 10 Jahre? Die Party ist längst vorbei und wurde in einem wunderbaren WWWW anno 2009 bereits ausführlich gefeiert. Um es mit einer alten Volksweisheit zu sagen: Der Hund kackt, wenn er sich krümmt. (jk)