Flieg, Vogel, flieg!

Auf der Hannover Messe konnten auch in diesem Jahr wieder zahlreiche Neuentwicklungen besichtigt werden. Zu den Highlights zählte unter anderem ein künstlicher Vogel, der den Flug der Silbermöwe nahezu perfekt imitiert. Beherrschendes Thema der weltweit größten Industriemesse war aber die Energiewende.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter-Michael Ziegler

Rund 6500 Unternehmen und Verbände aus 65 Ländern präsentierten sich Anfang April auf der Hannover Messe 2011. Die Hallen waren meist gut besucht – insbesondere dort, wo es um regenerative Energieerzeugung und Energieeffizienz in industriellen Prozessen ging. Umlagert war aber auch der Stand des Spezialisten für Automatisierungstechnik Festo, der im Rahmen seines Bionic Learning Network viel Forschungsarbeit in die Adaption von (Fort-)Bewegungsabläufen anderer Lebewesen investiert.

Auch das Militär interessiert sich schon für den SmartBird von Festo – schließlich lässt sich der Robotervogel im Flug kaum von einer Silbermöwe unterscheiden.

Nach dem pneumatisch angetriebenen Fisch, der autonomen Qualle und einem Elefantenrüssel, der Festo dazu anregte, einen bionischen Greifarm zu entwickeln, wartete das Unternehmen in diesem Jahr mit einem künstlichen Vogel auf, der selbst starten, fliegen und landen kann. Der SmartBird kopiert den Flügelschlag der Silbermöwe dabei so gut, dass Festo es wagen konnte, das rund 450 Gramm schwere Modell mit einer Flügelspannweite von zwei Metern über den Köpfen der Besucher in Halle 15 kreisen zu lassen.

Zu den Besonderheiten des SmartBird gehört, dass seine zweiteiligen Flügel (Armflügel und Handflügel) mit aktiven Torsionsgelenken ausgestattet sind, die über Servomotoren und eine Kurbelmechanik angesteuert werden. Das Modell ist so in der Lage, nicht nur Auf-, sondern auch Vortrieb zu erzeugen. Die exakte Synchronisierung von Schlag- und Torsionsbewegung erfolgt über das Auslesen von Daten mehrerer Hall-Sensoren in den Servomotoren. Auch der bewegliche Schwanz des SmartBird trägt zum Auftrieb bei, hat aber vor allem Seitenruderfunktionen.

Laut Festo werden für den Vor- und Auftrieb rund 25 Watt Leistung benötigt, der elektromechanische Wirkungsgrad liegt bei bis zu 45 Prozent. Der Lithium-Ionen-Akku, der für eine Flugzeit von 10 bis 15 Minuten reicht, Motor und Getriebe, Kurbelmechanik sowie Steuer- und Regelelektronik sind im Rumpf untergebracht. Zwar könnte der SmartBird draußen theoretisch auch autonom fliegen – doch wo er dann landen würde, wäre derzeit noch vor allem von den Windbedingungen abhängig. Festo kontrolliert den Flug deshalb mit einer Graupner-Fernsteuerung.

Als Automatisierungsspezialist zielt der Festo-Konzern bei seinen Entwicklungen vor allem auf industrielle Anwendungen ab. Beispielsweise könnten gekoppelte Antriebe für Schlag- und Drehbewegungen in Generatoren zur Energiegewinnung (Hubflügelgeneratoren) oder in neuen Stellantrieben für die Prozessautomation genutzt werden. Nicht einnehmen lassen will sich der Konzern hingegen von militärischen Umsetzungen. Auch wenn sich Generäle sicherlich über ein neues UAV in echter Vogelflug-Manier freuen würden – der Konzern verfolgt hier eine klare Linie: „Wir machen keine Militärtechnik“, verdeutlichte Markus Fischer, Leiter Corporate Design bei Festo, im c’t-Gespräch.

Die Katastrophe in den japanischen Siedewasser-Atomreaktoren wenige Wochen vor Beginn der Hannover Messe hatte dazu geführt, dass das Thema Atomkraft im Ausstellerbereich (anders als in den Jahren zuvor) keine Rolle mehr spielte. Das Losungswort hier: Energiewende. Von dieser Entwicklung profitierte insbesondere die Windkraftbranche: Keine Halle war gefühlsmäßig stärker frequentiert als Halle 27, wo sich die Windkraftexperten versammelt hatten.

Windstromerzeugung war eines der Hauptthemen der Hannover Messe 2011. Im Hintergrund die Gondel einer 3-Megawatt-Anlage von Enercon.

Pünktlich zur Messe legten dann auch noch das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) und der Bundesverband Windenergie (BWE) eine neue Studie vor, der zufolge es in Deutschland genügend verfügbare und geeignete Flächen gibt, um pro Jahr rund 390 Terawattstunden Windstrom zu erzeugen. Dies würde nach derzeitigem Stand bis zu 65 Prozent des deutschen Strombedarfs decken.

Im Trend liegen noch aber vor allem Offshore-Windparks. Der Hamburger Windkraftanlagenbauer Nordex etwa präsentierte in Hannover die neue Turbine N150/6000, die das Unternehmen speziell für den Einsatz im offenen Meer entwickelt hat. Die Turbine hat einen Rotordurchmesser von 150 Metern, eine installierte Nennleistung von sechs Megawatt und arbeitet im Direktantrieb mit Permanentmagnet-Generator und Vollumrichter. Ab 2014 will das Unternehmen bis zu 70 Anlagen vom Typ N150/6000 in einem Offshore-Park in der deutschen Ostsee errichten.

Vorgestellt wurden in Hannover aber auch neue Nischenlösungen bei der Energieerzeugung wie die sogenannte Steam-Mission-Technologie der Aqua-Society-Group: Gewinnung von Strom aus Abdampf. So wird gerade ein mit Holzhackschnitzeln und Altholz betriebenes Biomasse-Kraftwerk im Schwarzwald umgebaut, um mittels zusätzlichem Niederdruckgenerator künftig allein über das bisherige Abfallprodukt Dampf eine elektrische Leistung von 65 Kilowatt zu erzeugen, die teilweise ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden kann. Unter Berücksichtigung der Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ergebe sich hier „eine wirtschaftlich attraktive Amortisationszeit“, heißt es bei den Beteiligten.

In großen Maßstäben denkt man hingegen beim Siemens-Konzern, der auf der Messe seinen neuen Geschäftssektor „Infrastructure and Cities“ einschließlich Spartenchef Roland Busch vorstellte. Der neue Sektor, in dem die Bereiche Energie und Industrie zusammengefasst wurden, soll das Aushängeschild des selbsternannten „grünen Infrastrukturpioniers“ werden. Ins Visier nimmt Busch, der zuletzt als Chefstratege des Konzerns fungierte, die „großen Städte dieser Welt“. Das Ziel: Großaufträge für Gebäudetechnik, Verkehrstechnik und Energieverteilung in Ballungsräumen zu bekommen. Das Marktvolumen in diesem Segment soll aktuell bei 300 Milliarden Euro liegen. (pmz)