Gagarins Erbe

Im April 1961 gelang es der damaligen Sowjetunion, erstmals einen Menschen in den Weltraum zu schicken. Fünf Jahrzehnte später ist die weitere Expansion des Menschen ins All vor allem eine politische Herausforderung – und in den erdnahen Orbit stoßen jetzt private Raumfahrt-Dienstleister vor.

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Von
  • Hans-Arthur Marsiske

Juri Gagarin, der erste Mensch im All, umrundete die Erde mehrmals. Einmal mit der Raumkapsel Wostok 1, danach mit konventionelleren Verkehrsmitteln, um den Menschen rund um den Globus von seinem Raumflug zu berichten. Bei diesen Gelegenheiten bekannte er sich zu einer großen Vision. „Ich möchte gern an einem Flug in einem Raumschiff teilnehmen, dessen Besatzung aus jungen Raumfahrern verschiedener Nationalitäten besteht, aus Russen, Indern, Amerikanern“, sagte er etwa bei einem Besuch in Österreich. „Aber Sie verstehen, dass dies vorerst nur ein Traum ist.“

Gagarins Traum ist Wirklichkeit geworden. Er selbst hat es allerdings nicht mehr miterlebt: Bei einem Übungsflug mit einer MiG-15 kam er im März 1968 ums Leben. Und danach dauerte es noch einmal zehn Jahre, bis zum ersten Mal ein Mensch ins All flog, der weder Sowjetbürger noch US-Amerikaner war. Zunächst öffneten sich die sowjetischen Sojus-Raumschiffe für ausländische Gäste, bald darauf nahmen auch die Amerikaner in ihren Space Shuttles Passagiere aus anderen Ländern mit.

Gegenwart: Ein von der Japan Aerospace Exploration Agency gebautes Transfer Vehicle verlässt im März 2011 die Internationale Raumstation.

(Bild: NASA)

Inzwischen aber ist die bemannte Raumfahrt eine wahrhaft internationale Angelegenheit geworden. Mehr als 500 Männer und Frauen aus knapp 40 Ländern waren bereits in einer Erdumlaufbahn, 27 Männer sind sogar bis zum Mond geflogen. Mit China, das im Jahr 2003 erstmals einen Menschen ins All schickte, hat ein weiteres Land die Technologie der bemannten Raumfahrt entwickelt. Europa und Japan unterhalten eigene Astronautencorps.

Noch mehr gefreut hätte sich Gagarin aber wahrscheinlich über die Internationale Raumstation (ISS), die seit 1998 von 15 Nationen gemeinsam im Erdorbit gebaut und betrieben wird. Kein anderes Raumfahrtprojekt hat je zuvor so sehr dem von ihm formulierten Traum entsprochen wie dieses. An einer Wand der ISS hängt denn auch ein Bild von ihm, gleich neben dem Porträt Konstantin Ziolkowskis, dem russischen Vater der Raumfahrt, der als erster die Raketengleichung formulierte und damit die Physik der Bewegung von Körpern veränderlicher Masse begründete.

Eine Aufgabe der ISS, die noch mindestens bis 2020 in Betrieb bleiben wird, ist es, den erneuten Aufbruch der Menschen über den erdnahen Orbit hinaus, zu Mond, Mars und anderen Himmelskörpern vorzubereiten. „Auf zum Mars!“ – mit diesen Worten hatten sich schon Anfang der 1930er-Jahre die Mitglieder der Moskauer „Gruppe zum Studium der Rückstoßbewegung“ begrüßt, die die Ideen Ziolkowskis in die Wirklichkeit umsetzen wollten. 80 Jahre später wird immer deutlicher, dass eine solche Mission nicht von einer Nation allein bewältigt werden kann. Das geht nur als multinationales Menschheitsprojekt im Gagarin’schen Sinne, insbesondere wenn die Errichtung einer nachhaltigen Infrastruktur angestrebt wird.

Die ISS ist daher nicht nur ein Hightech-Labor, in dem die physiologischen Auswirkungen von Langzeitaufenthalten im All untersucht und Lebenserhaltungssysteme erprobt werden können. Sie ist auch ein Übungsfeld für die internationale Kooperation, auf dem bereits wichtige Erfahrungen für die Gestaltung multilateraler Abkommen gesammelt wurden. Ein zentraler Bestandteil des ISS-Vertrages ist es etwa, dass auf Geldzahlungen zwischen den Partnern verzichtet wird. Stattdessen gibt es „Barter-Abkommen“, bei denen Nutzungsrechte an der Raumstation gegen Dienstleistungen, etwa das Bereitstellen von Modulen oder Versorgungsflügen, verrechnet werden. Wichtig ist auch, solche Abkommen offen für die Aufnahme neuer Mitglieder zu gestalten. Derzeit laufen Verhandlungen mit Indien und Südkorea, die Interesse an einer Beteiligung geäußert haben. Dabei wird sich zeigen, wie robust das ISS-Abkommen in dieser Hinsicht formuliert ist.

Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch die zunehmende Privatisierung der Raumfahrt. Die USA etwa setzen gezielt darauf, Flüge in den erdnahen Orbit nach der Space-Shuttle-Stilllegung von Privatfirmen zu kaufen. Dabei scheint die 2002 von PayPal-Gründer Elon Mask ins Leben gerufene kalifornische Firma SpaceX derzeit die Nase vorn zu haben: Im vergangenen Dezember gelang es SpaceX, das für bis zu sieben Passagiere ausgelegte Raumschiff „Dragon“ in eine Umlaufbahn und wieder sicher zurück auf die Erde zu bringen. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein solcher Raumflug vom Start bis zur Landung komplett von einem kommerziellen Betreiber durchgeführt wurde.

Zukunft: Für kommende Generationen werden Ausflüge in den Weltraum womöglich normal sein – etwa mit Virgin Galactic.

(Bild: Virgin Galactic)

Und die Firma Virgin Galactic nimmt bereits Buchungen für suborbitale Flüge entgegen, bei denen mit einer Höhe von 100 Kilometer die Grenze zum Weltraum erreicht wird und die Passagiere für etwa sechs Minuten Schwerelosigkeit erleben. Mehr als 400 Interessenten sollen schon für jeweils 20 000 US-Dollar Plätze reserviert haben. Die Flüge selbst, für die es derzeit noch keine verbindlichen Starttermine gibt, kosten 200 000 Dollar. Wer das Geld übrig hat, kann bald selbst den Anblick erleben, den Gagarin mit den Worten beschrieb: „Ich sehe die Erde! Ich sehe die Wolken, es ist bewundernswert, was für eine Schönheit!“

Mit dem weiteren Vordringen ins All mag sich daher nicht nur das Verhältnis der Nationen untereinander neu gestalten. Staatliche Institutionen könnten generell gegenüber privaten Organisationen an Bedeutung verlieren. Viele Science-Fiction-Autoren haben in ihren Werken genau diesen Prozess in den vergangenen Jahren beschrieben und tendenziell eher negativ bewertet. In den nächsten 50 Jahren dürfte sich zeigen, ob sie Recht behalten. (pmz)