Kabinett beschließt Aus für Websperren

Nachdem die Koalitionäre dies schon vereinbart hatten, beschloss das Bundeskabinett nun Eckpunkte für ein Gesetz, mit dem das Zugangserschwerungsgesetz aufgehoben werden soll.

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Von
  • Jürgen Kuri

Die Bundesregierung will die umstrittenen Internet-Sperren gegen Kinderpornos kippen. Das Kabinett brachte am Mittwoch in Berlin laut dpa Eckpunkte für ein Gesetz auf den Weg, mit dem das bisherige Zungangserschwerungsgesetz aufgehoben werden soll. Künftig sollen Kinderpornos gelöscht werden. Zudem beschloss das Kabinett Eckpunkte für eine Visa-Warndatei, mit der künftig Visa-Missbrauch bekämpft werden soll. Auf beides hatten sich die Spitzen von Union und FDP in der vergangenen Woche bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel verständigt.

Internet-Nutzer waren gegen die Sperren Sturm gelaufen, weil sie den Aufbau einer staatlichen Zensur-Infrastruktur fürchteten. Auch die Wirksamkeit der Maßnahme wurde infrage gestellt. Christian Bahls, Vorsitzender des Vereins Missbrauchsopfer gegen Internetsperren (MOGiS), hatte sich schon über die Vereinbarung im Koalitionsausschuss erfreut gezeigt: Endlich habe auch die Union erkannt, "dass Sperren für die Bekämpfung der Verbreitung von Darstellungen sexuellen Missbrauchs im Internet untauglich sind". Jetzt müsse entschieden versucht werden, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen und den dafür nötigen Druck zur Verbesserung auch der internationalen Zusammenarbeit zu erhöhen.

Union und FDP setzten das Sperrgesetz der schwarz-roten Vorgängerregierung bereits 2009 aus – nun soll es ganz gekippt werden. Auf das Löschen von Kinderpornos hatte vor allem die FDP gepocht. Im Gegenzug trägt sie eine Visa-Warndatei mit. Dabei ist ein zweistufiges Verfahren geplant. In der Warndatei sollen alle Menschen erfasst werden, die im Zusammenhang mit Straftaten verurteilt wurden, die für eine Visa-Vergabe relevant sind. Darunter fallen zum Beispiel Menschenhandel und Schwarzarbeit. Dann soll ein Visum verweigert werden. Zudem sollen alle Menschen, die bei einem Visa-Antrag involviert sind – im Wesentlichen sind das Antragsteller und Einlader – bei einem konkreten Verdacht mit einer Anti-Terror-Datei abgeglichen werden, um mögliche Terroristen und Gewalttäter frühzeitig zu erkennen.

Nach dem Beschluss der Koalitionäre, das Zugangserschwerunggesetz aufzuheben, gab es allerdings noch heftigen Schlagabtausch zwischen Unions- und FDP-Politikern. Einzelne CDU-Abgeordnete forderten eine "Gegenleistung" dafür, dass sich die Union auf die FDP-Linie "Löschen statt Sperren" bei Kinderpornografie eingelassen habe. "Einen Verzicht auf Internet-Sperren gegen Kinderpornografie wird es nur geben, wenn gleichzeitig zahlreiche befristete Anti-Terror-Befugnisse der Geheimdienste entfristet werden", hatte etwa Fraktionsvize Günter Krings (CDU) betont. Davon war allerdings nun im Beschluss des Bundeskabinetts nicht die Rede. Die FDP hatte sich schon zuvor entschieden dagegen verwahrt und Unverständnis für das Geschacher der Union nach dem Websperren-Aus gezeigt.

[Update]:
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte zum Kabinettsbeschluss, die Vernunft habe sich durchgesetzt. "Die Entscheidung gegen Sperren und für ein konsequentes Löschen setzt auf das richtige und effektive Mittel gegen kinderpornographische Inhalte im Internet. Die intensivierte Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Beschwerde-Hotlines der Internetwirtschaft hat zu erfreulichen Ergebnissen beim Löschen von kinderpornographischen Darstellungen geführt. Diese Löscherfolge belegen, dass der von der Koalition eingeschlagene Weg richtig ist."

Gleichzeitig nahm Leutheusser-Schnarrenberger Bezug auf die anhaltende Diskussion auf EU-Ebene über die Einführung von Websperren gegen Kinderpornographie. Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatte im Frühjahr 2010 einen Entwurf zur Richtlinie für Kinderschutzvorgestellt, der auch die Blockade zu kinderpornografischen Webseiten vorsieht. Auch nachdem sich der Innenausschuss des Europaparlaments gegen verpflichtende Regelungen zu Websperren für EU-Mitgliedsstaaten ausgesprochen hatte, will Malmström das Projekt weiter verfolgen. Leutheusser-Schnarrenberger betonte dagegen, dass "die deutsche Entscheidung auch die Diskussion innerhalb der Europäischen Union" beeinflusse: "Ein informelles Meinungsbild im Justiz-Rat hat [am Dienstag] gezeigt, dass der deutsche Weg mit dem Modell Löschen statt Sperren auf wachsende Zustimmung stößt." (jk)