"Es würde zu großen Freisetzungen kommen"

Oda Becker, Atomexpertin und Physikerin an der FH Hannover, über Terrorgefahren für deutsche AKWs – und die Frage, wie die Betreiber damit umgehen.

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Oda Becker, Atomexpertin und Physikerin an der FH Hannover, über Terrorgefahren für deutsche AKWs – und die Frage, wie die Betreiber damit umgehen.

Die Physikerin Oda Becker arbeitet als wissenschaftliche Beraterin und hat unter anderem für Greenpeace mehrere Gutachten und Veröffentlichungen zur Atomsicherheit verfasst - zuletzt im Oktober 2010 eine Literaturstudie zur Gefahr durch Terrorangriffe mit panzerbrechenden Waffen auf AKWs.

Technology Review: Frau Becker, Sie haben an mehreren Studien mitgearbeitet, in denen die Gefahr durch Terroranschläge auf AKWs untersucht wird. Können Sie zunächst einmal eine kurze Zusammenfassung zu Ihren Erkenntnissen aus diesen Studien geben?

Oda Becker: Wie groß die Terrorbedrohung in Deutschland ist, dazu kann ich nichts sagen. Was ich aber sagen kann ist, dass die deutschen Kernkraftwerke terroristischen Anschlägen nicht standhalten würden und es zu großen Freisetzungen radioaktiver Stoffe kommen würde.

TR: Gilt das für alle deutschen AKW?

Becker: Das gilt insbesondere für die älteren deutschen Kernkraftwerke. Das sind zum Beispiel die Siedewasserreaktoren der Baulinie SWR 69, aber auch die Druckwasserreaktoren der zweiten Generation. Die sind nicht nur schlechter geschützt, sie haben auch wesentlich weniger Reserven für die Störfallbeherrschung – können also, falls es durch einen Terroranschlag zu einem Unfall kommt, diesen Unfall schlechter beherrschen.

TR: Konkreter, was würde beispielsweise passieren, wenn ein Flugzeug auf einen Siedewasserreaktor stürzen würde?

Becker: Es ist damit zu rechnen, dass bei einem gezielten Flugzeugabsturz – wie am 11. September 2001 in New York, das Ziel das Reaktorgebäude wäre. Das Reaktorgebäude würde bei einem solchen Absturz zerstört werden. Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass auch ein Schaden am Sicherheitsbehälter entsteht und zudem dort Leitungen beschädigt werden, so dass die Kühlung insgesamt versagt. Wenn das passiert, kommt es zum schlimmsten kerntechnischen Unfall, den es geben kann: Eine Kernschmelze bei offenem Containment.

TR: Die entsprechenden Untersuchungen werden doch aber von der Bundesregierung unter Verschluss gehalten. Wie kommt Greenpeace zu seinen Einschätzungen?

Becker: Die Zusammenfassung einer Untersuchung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit für das BMU ist 2002 bekannt geworden. Das BMU hatte übrigens damals, als es diese Untersuchung bekommen hatte, sofort gesagt, da müsse man unverzüglich handeln – es müsse also einen Schutz gegen die Folgen solcher Abstürze geben.

TR: Das hat aber keine Folgen gehabt, oder?

Becker: Gemündet ist das letztendlich in eine Vernebelung von Kernkraftwerken.

TR: Sind Informationen darüber öffentlich?

Becker: Jein. Die Behörden gehen offensichtlich davon aus, dass der beste Schutz die Geheimhaltung ist. Bekannt ist, dass es aus militärischen Systemen adaptierte Nebelwerfer beispielsweise rund um Grohnde gibt. Außerdem sind solche Systeme in Biblis und in Philippsburg installiert, die, falls sich ein Flugzeug nähert, eine Art Phosphornebel versprühen.

TR:Was ist mit den anderen AKWs? Ist da nichts?

Becker: Es gibt ja insgesamt 17 AKWs an zwölf Standorten. Drei Standorte sind mit Nebelwerfern ausgerüstet – das betrifft fünf Anlagen. An den anderen Standorten läuft die Antragsstellung noch.

TR: Das scheint ja ein recht langwieriges Verfahren zu sein.

Becker: Weil das sowieso eine relativ sinnlose Maßnahme ist, wird es weder von den Betreibern noch von den Aufsichtsbehörden besonders schnell bearbeitet. In Grohnde war es ein Pilotprojekt, und in Biblis liefen Klagen vom IPPNW und Greenpeace. Wir vermuten, dass die Vernebelungsanlagen mit diesen Klagen zu tun haben. Was Philippsburg angeht, so haben Studien ergeben, dass sich diese Anlage sehr gut anfliegen lässt. Ob die Vernebelung allerdings eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme ist, bleibt ja mal dahingestellt.

TR: Warum?

Becker: Dieses Vernebelungssystem ist ursprünglich für Schiffe entwickelt worden. Wenn das Schiff von Raketen angegriffen wird, wirft es Täuschkörper ab und das Schiff ändert im Schutz des Nebels seinen Kurs. Dieses Konzept kann meines Erachtens überhaupt nicht auf ein Kernkraftwerk und ein Flugzeug übertragen werden.

TR: Von Seiten der AKW-Befürworter wird immer wieder betont, dass die neuste Generation der deutschen AKWs, die so genannte Konvoi-Baureihe, nun aber wirklich sicher sei. Stimmt das?

Becker: Tatsächlich sind diese Reaktoren gegen Einwirkungen von Außen besser geschützt. Sie haben ja immerhin eine Betonkuppel von 2 Meter Dicke. Aber es gibt auch hier leider Szenarien, die auch zu erheblichen Freisetzungen führen. Das sind insbesondere Innentäter-Szenarien bei denen beispielsweise Angestellte Sprengstoff einschmuggeln. Denn bisher ist es so, dass Einlasskontrollen nur stichpunktartig gemacht werden.

TR: Ich dachte immer, die müssten alle durch eine Sicherheitsschleuse.

Becker: Ja, aber die untersucht ja nicht auf Sprengstoff. Außerdem befinden sich in Revisionszeiten bis zu 1000 Menschen auf dem Kraftwerksgelände. Auf das Gelände kann jeder erschreckend leicht gelangen – wie man sich leicht selbst überzeugen kann. Auch Greenpeace hat entsprechende Erfahrungen gemacht. Im AKW Unterweser wurde ihnen zum Beispiel die Schranke geöffnet, damit sie mit ihrem Bus mit 50 Leuten auf das Gelände fahren konnten. Die Kraftwerksbetreiber haben dann gesagt, sie hätten ja gesehen, dass der Bus von Greenpeace sei. Dass ein Terrorkommando sich nur als Greenpeace-Aktionsgruppe zu verkleiden braucht, hätte ich allerdings auch nicht gedacht.

TR: 2010 haben Sie für Greenpeace auch ein Gutachten über mögliche Angriffe mit panzerbrechenden Waffen auf AKWs geschrieben. Wie groß ist die Gefahr durch solche Anschläge?

Becker: In anderen Ländern wird diese Gefahr durchaus als real eingeschätzt. Mir lagen Untersuchungen aus Russland vor, bei denen ein russisches AKW als Modell nachgebaut und mit einem von Terrorexperten für realistisch gehaltenen Szenario angegriffen wurde. Das habe ich auf ein deutsches Kernkraftwerk übertragen. Dabei musste ich leider zu dem Ergebnis kommen, dass es in einem solchen Fall vermutlich sogar zu einem Kernschmelz-Unfall kommen würde.

Das passiert nicht bei einem Schuss, und nicht mit jeder panzerbrechenden Waffe, sondern nur mit russischen Waffen mit sogenannten thermobarischen Gefechtsköpfen. Die arbeiten mit einem Benzin-Luft-Gemisch, das einen Feuerball erzeugt. Die Geschosse dieser Waffen haben zwar zunächst nur eine punktuelle Einwirkung, aber dieser Feuerball kann sich im Innenraum des Reaktors ausbreiten und bei den älteren Anlagen, wo die Sicherheitssysteme nicht sehr stark räumlich getrennt sind, gleich mehrere Sicherheitssysteme lahm legen.

TR: Wie wir im Zusammenhang mit Fukushima gelernt haben, geht ja nicht nur von den Reaktoren eine Gefahr aus, sondern auch von den Abklingbecken. Gibt es dazu auch Erkenntnisse?

Becker: Vor den Abklingbecken ist ja, gerade was die SWR 69 angeht, seit Jahren immer wieder gewarnt worden, weil die sich außerhalb des Sicherheitsbehälters befinden. Wenn es da zu einer Schmelze des Kernbrennstoffs kommt, gelangen die radioaktiven Stoffe sofort an die Umwelt. Das ist ein hohes Risiko. Schon ein einfacher Sprengstoffanschlag kann erhebliche Freisetzungen verursachen. In Amerika gab es dazu Untersuchungen, nach denen in einem solchen Fall knapp zehn Prozent des Cäsium-Inventars freigesetzt würden. Konkret für das AKW Unterweser wären das bis zu 1,3 1017 Becquerel – das ist etwa die in Tschernobyl freigesetzte Menge.

TR: Wie ist vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse die Prüfempfehlung der Reaktorsicherheitskommission zu bewerten?

Becker: Eine realistische Liste der erforderlichen Nachrüstungen ist von einer Arbeitsgruppe des Umweltministeriums schon herausgegeben worden. Aber die hat die RSK ja vom Tisch gewischt. Dennoch ist die Liste jetzt schon besser als nichts. Aber es bleibt immer viel Beurteilungsspielraum. Wer den wie nutzt, ist eine politische Frage. Bis jetzt haben den immer die Betreiber genutzt. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich das ändert. Also, der erste Schritt ist richtig. Entscheidend ist aber, welche Maßnahmen daraus folgen. (wst)