Atomare Starthilfe für Japans Roboter

Nippons IT-Industrie ist beschämt: In den Krisenreaktoren von Fukushima müssen die Retter ausländische Rettungsroboter beschäftigen, weil Japan selbst keine hat – aus politischen Gründen

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Von
  • Martin Kölling

Nippons IT-Industrie ist beschämt: In den Krisenreaktoren von Fukushima müssen die Retter ausländische Gerätschaften beschäftigen, weil die Roboternation selbst keine Rettungsroboter hat. Aus politischen Gründen.

Die Jubelmeldung kam einem Armutzeugnis gleich: Japan schickt einen selbstentwickelten Aufklärungsroboter in die Trümmer der Reaktoren im havarierten Kraftwerkskomplex Fukushima Eins. Entwickelt wurde der Roboter, der sich auf Ketten und nicht wie japanische Roboter gerne auf zwei Beinen fortbewegt, von der Technischen Hochschule Chiba. Er soll es nun den ausländischen Robotern nachtun, die bereits in den Meilern auf Erkundungsfahrt gehen.

Das Motiv der Übung ist eher psychologisch als wirklich hilfreich. Die Japaner wollen sich beweisen: Wir können es auch. Denn die Atomkatastrophe hat nicht nur den Mythos von absolut sicheren japanischen Kernkraftwerken erschüttert. Auch Japans Selbstbild als führende Roboternation der Welt hat tiefe Risse erhalten, weil die Nation sich nukleare Rettungsautomaten von Frankreich und den USA aufdrängen lassen musste. Japans Notfallroboter selbst haben es nie über den Prototypenstatus hinaus geschafft.

Der Grund für diese Fahrlässigkeit ist – wenn wir Shigeo Hirose, Robotik-Professor an der Technischen Hochschule Tokio vertrauen können – haarsträubend politisch. Nach dem Atomunfall von Tokaimura 1999 mussten die Japaner erschrocken feststellen, dass die USA über Rettungsroboter verfügten, nicht aber sie selbst. Als PR-Maßnahme spendierte der Staat ein Entwicklungsprogramm, das allerdings bereits nach einem Jahr wieder eingestellt wurde. "Uns wurde gesagt, dass Desaster, die nukleare Rettungsroboter erfordern würden, in Japan niemals passieren könnten", erinnert sich Professor Hirose. Seine Vermutung: Die Behörden hätten gedacht, dass die Entwicklung von maschinellen Krisenhelfern den amtlich gehegten Mythos von der absoluten Sicherheit japanischer Meiler beschädigen könnte. Die Menschen würden vielleicht auf die Idee kommen, dass die Behörden mit schweren Unfällen rechnen.

Das Schlimme an der verqueren Vermutung ist, dass sie stimmen könnte. Japaner sind Weltmeister im Verdrängen von Risiken – oder Tatsachen, die sie aus welchen Gründen auch immer nicht wahrnehmen wollen. Besonders in Behörden ist das Denken ausgeprägt, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Skandal über die Verwicklung der Yakuza-Mafia ins traditionelle Sumo-Ringen ist ein Beispiel. Die Verschuldung ein anderes: So häufen die Regierungen mit tätiger Mithilfe der Wähler seit Jahrzehnten Schulden in Höhe von 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf. Und alle tun bei allem Unwohlsein weiter so, als ob das kein Problem wäre. Der mangelhafte Tsunami-Schutz der Atommeiler von Fukushima ist ein anderes Exempel.

Ein Freund in der Chemieindustrie gab mir kürzlich einen Hinweis, woran das liegen könnte: Im Gegensatz zu westlichen Firmen würden japanische Unternehmen weit weniger strikt Ernstfallanalysen erstellen. Denn die seien teuer. Und der Druck, sie erstellen zu müssen, ist gering, weil es keine wirklich unabhängigen Kontrollorgane gibt. Denn in Japans politischem System ist nicht Kontrolle, sondern Kollusion strukturell verankert.

Das Paradebeispiel ist die Atomindustrie. Die Stromindustrie unterliegt offiziell der Kontrolle der Atomaufsichtsbehörde Nisa. Die wiederum ist nicht autonom, sondern ein Anhängsel des mächtigen Ministeriums für Wirtschaft, Handel und Industrie, das sich seinerseits massiv der Förderung der Atomindustrie verschrieben hat. Wie symbiotisch die Beziehung ist, zeigt das Amakudari, das Vom-Himmel-herab-Steigen. Darunter versteht man die Praxis, dass hochrangige Bürokraten nach dem Ausscheiden aus dem Ministerium (normalerweise im Alter von 55, um die oberen Stufen auf der Karriereleiter frei zu machen) einen gut besoldeten Ruhestandsposten in der Industrie erhalten, die sie vorher überwacht haben sollten. 68 Spitzenbeamte sollen laut der Zeitung "Mainichi" in den vergangenen 50 Jahren so belohnt worden sein.

Dummerweise kontrolliert niemand die Kontrolleure. Die Justiz greift diese Praxis so gut wie nie auf. Und die Medien, nun ja, sie sind in Japan im Zweifel eher ein Mittel der Volkserziehung, denn ein Kontrollorgan. Und in Fragen der Atomkraft sind sie fast durch den stromindustriellen Komplex gleichgeschaltet. Die riesigen Geldzahlungen an Kommunen schmieren das System zusätzlich. Kritische Berichterstattung, kritisches Denken so wie der Aufbau einer offenen Opposition wurden unterdrückt. Eine kritische Öffentlichkeit, die im Westen dem natürlichen Hang zur Verbrüderung zwischen Großkonzernen und ihren Aufsehern entgegenwirkt, gibt es nicht wirklich.

Erschwerend kam hinzu, dass die Entwicklung solch nutzwertiger Roboter außerhalb der Fabriken unter der Würde von Japans Forschern war. Sie jagten lieber dem Traum von humanoiden Robotern nach, ohne bis heute wirklich nützliche Helfer auf den Markt gebracht zu haben. Die Industrie hat diesen Entwicklungspfad bereits als Sackgasse der Evolution erkannt und bewegt sich aus ihr heraus – allerdings noch mit gletscherhafter Geschwindigkeit. Die Kernschmelze in Fukushima könnte die Umkehr nun beschleunigen. (bsc)