Der Spirit von Rüschlikon

Das neue "Binnig and Rohrer Nanotechnology Center" bei Zürich hat sich neben Nanoelektronik auch Nanoanwendungen für Cleantech verschrieben. Das verstehen leider noch nicht alle.

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Von
  • Niels Boeing

Die Hügel um den Zürichsee sind eigentlich eine gutsituierte, beschauliche Landschaft. Gestern war es mit der Beschaulichkeit allerdings nicht weit her. Die Umgebung des IBM-Forschungszentrums in Rüschlikon hatte sich in den reinsten Hochsicherheitstrakt verwandelt. Grund: IBM und die ETH Zürich haben dort gestern nach zweijähriger Bauzeit das neue "Binnig and Rohrer Nanotechnology Center" eröffnet.

Die Straßensperren und zahlreichen Wachposten waren nicht etwa dem Erscheinen des Schweizer Bundesrats Didier Burkhalter geschuldet – Auslöser war ein Anschlagsversuch auf die Baustelle des Centers im vergangenen Jahr, wie ich von IBM erfuhr. Wie es scheint, löst die Vorstellung eines Nanotech-Laborkomplexes bei einigen Leuten inzwischen ähnliche Ängste hervor wie ein atomares Zwischenlager.

Ich kann das kaum glauben. Nanotechnik ist mitnichten eine "atom technology", wie es die ETC Group 2003 einmal formulierte (sie hat diesen Begriff längst, aus gutem Grund fallen gelassen). Im Gegenteil: Was in dem 90 Millionen Franken teuren Bau stattfinden soll, ist Forschung für eine "grüne Nanotechnik" im besten Sinne – und könnte ein wichtiger Beitrag zu weiteren Entwicklung der "Cleantech" werden.

Drei Nachwuchsprofessoren der ETH werden mit ihren Gruppen künftig an dem Ort arbeiten, an dem vor 30 Jahren Gerd Binnig und Heinrich Rohrer das Rastertunnelmikroskop entwickelten – eine epochale Leistung, die zurecht als Startschuss der Nanotechnik gilt.

Vanessa Wood untersucht den Ladungstransport in nanostrukturierten Materialien, um Dünnschichtsolarzellen, Batterien und LEDs zu verbessern. Andreas Stemmer widmet sich neben der Forschung an Molekularelektronik neuen, biologisch inspirierten Formen der Energiegewinnung, die zu neuen Energiequellen für medizinische Implantate führen sollen.

Hyung Gyu Park arbeitet unter anderem an Nanofiltern, die eines Tages eine weniger energieintensive Meerwasserentsalzung ermöglichen sollen. Im neuen Nanozentrum will Park eine Membran aus Bündeln von Kohlenstoffnanoröhren von einem vier Quadratzentimeter kleinen Prototypen hochskalieren. Park ist realistisch genug, dafür acht bis zehn Jahre zu veranschlagen - so lange hat die Entwicklung des Prototyps gedauert.

Die Arbeitsbedingungen, die die Forscher von IBM, ETH und dem Kooperationspartner EMPA (die wichtige Forschung zur Nanotoxikologie leistet) vorfinden, sind "state of the art". Eine komplette Reinraumetage von 950 Quadratmetern Fläche mit zehn Arbeitsräumen gibt es, dazu sechs "Noise-free Labs", in denen Präzisionsmessgeräte von Vibrationen, elektromagnetischen Feldern und Lärm abgeschirmt sind (die Isolierwerte für die verschiedenen Parameter sind bis zu 1000 Mal besser als im bisherigen Noise-free Lab von IBM im Forschungszentrum nebenan).

Paul Seidler von IBM und Dimos Poulikakos von der ETH, die beide Koordinatoren des Nanotech-Centers sind, haben bei der Eröffnung neben der Zusammenarbeit von Industrie- und akademischer Forschung "Offenheit" als Kernkonzept betont. Manche mögen das für eine Floskel halten. Im Falle von IBM und erst recht von dessen Forschungszentrums Zürich ist es ernst gemeint: Viele Hightech-Konzerne könnten sich von der Offenheit (die auch Open Source Software und Open Hardware betrifft) des einst geschmähten "Big Blue" ein paar Scheiben abschneiden.

Dass sich das Binnig and Rohrer Nanotechnology Center gerade auch Nanoforschung für Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, ist ein weiteres Signal, dass die Nanotechnik in der Gegenwart angekommen ist. Der Hype um futuristische Konzepte oder fiktive Billionenmärkte war gestern. Heute geht es um Lösungen für die Probleme einer Energie verschwendenden Zivilisation. Vielleicht trägt der Spirit des Ortes und der Namenspatrone dazu bei, dass in dem Nanotech-Center in Rüschlikon ein, zwei weitere Meilensteine gelingen. (nbo)