Not macht erfinderisch

Krisen haben in der Menschheitsgeschichte schon oft Innovationen beschleunigt. Derzeit verhilft die erbebenbedingte Elektrizitätsnot in Japan mehr oder weniger innovativen Stromspartechniken endgültig zum Durchbruch.

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Von
  • Martin Kölling

Krisen haben in der Menschheitsgeschichte schon oft Innovationen beschleunigt. Derzeit verhilft die erbebenbedingte Elektrizitätsnot in Japan mehr oder weniger innovativen Stromspartechniken endgültig zum Durchbruch.

Das endgültige und vorübergehende Aus von zwei Dritteln der 54 kommerziellen japanischen Atomkraftwerke stellt Japan vor ein bisher unbekanntes Problem: Stromknappheit. 15 Prozent Strom sollen allein die Unternehmen und möglichst auch wir Privathaushalte in Tokio sparen, um im Sommer um Stromsperren herumzukommen. Das ist weniger als nach dem Erdbeben vom März befürchtet, aber dennoch eine ganze Menge. Dementsprechend nutzen die Menschen jede Menge Grips und Geld, um dieses Ziel zu erreichen.

Die ersten paar Prozente sind ja noch schnell eingespart und leicht zu verschmerzen: überflüssiges Licht, Fahrstühle und Rolltreppen aus. In vielen Bürohochhäusern und Supermärkten der Stadt werden schon jetzt in Fluren, Büros und Kühltruhen Neonröhren ausgeschaltet. Es wird schummrig – für Japaner wenigstens. Nach europäischen Maßstäben ist es immer noch hell genug, denn Japaner mögen's aus irgendeinem mir noch unbekannten Grund besonders grell hell, so dass der Verlust von ein paar Lumen nicht tragisch ist.

Ein bisschen nerviger, aber gesundheitsfördernd sind in Bahnstationen die vielfach abgeschalteten Rolltreppen. In Hochhäusern werden zudem einer oder mehrere der Fahrstühle abgeschaltet, was den Stromverbrauch senkt und die Wartezeiten verlängert. Firmen werden zudem eine bereits seit Jahren beliebte Stromsparregel verstärkt propagieren: das "One up, two down". Wer eine Etage nach oben oder zwei nach unten gehen möchte, nehme gefälligst die Treppe und nicht den Fahrstuhl.

Richtig störend kann das Stromsparen bei Klimaanlagen werden, die besonders im Sommer im Vergleich zum Winter den Stromverbrauch in Tokio um rund 50 Prozent in die Höhe treiben. Doch da wird das Sparen zu Innovationen führen, weil es menschliche Grenzen gibt. Tolerabel wird es vielleicht noch in Restaurants sein. McDonald's beispielsweise wird sie in seinen Filialen die Temperatur zwei Grad höher einstellen. Das bedeutet, dass man die Restaurants nicht mehr so gut zum Abkühlen benutzen kann, Straßenrestaurants werden wahrscheinlich aufblühen. Aber sonst wird es arg unangenehm, wie diese kleine Aufstellung zeigt.

  • Klimaanlage in Büros: Die Firmen müssen hier einen Spagat zwischen Stromsparen und Arbeitseffizienz vollziehen. Das wird schwierig, denn seit Jahren propagiert die Regierung für den Sommer schon die "Cool-Biz-Kampagne". Das winterliche Krawattengebot wird im Sommer durch ein Krawattenverbot ersetzt. Als Gegenleistung für legere Stimmung sollen die Klimaanlagen in Büros statt auf 26 auf 28 Grad Celsius eingestellt werden. Denn ohne Schlips soll sich die Temperatur 2 Grad niedriger als mit Binder anfühlen, sagt die Regierung. Die Räume noch weniger zu kühlen, wird hingegen kontraproduktiv, weil Konzentration und Arbeitsleistung der Mitarbeiter leiden.

  • Klimaanlagen in Zügen: Naheliegend ist auch ihr Ausschalten. Schon jetzt wird es praktiziert. Stattdessen werden in Zügen und U-Bahnen die Fenster geöffnet, falls möglich. Wie allerdings die Millionen Pendler im Sommer während der Hauptverkehrszeit in den vollgestopften Zügen ohne Klimaanlage überleben sollen, ist mir ein Rätsel. Bisher wurden die Züge arg gekühlt. Diesen Sommer dürfte auch die Bahnfahrt eine schweißtreibende Angelegenheit werden.

  • Klimaanlagen daheim: Kühler aus, Fenster und Türen auf, Ventilatoren an. Das ist der Tip. Das spart 50 Prozent des Sommerverbrauchs eines Privathaushalts ein. Aber die Maßnahme hat ihrenPreis: In meiner Wohnung reicht der Durchzug zur leidlichen Kühlung des Körpers aus. Aber vielerorts wird es dennoch ungesund heiß. Das böse Omen: Schon in der Rekord-Hitzewelle des vorigen Jahres starben nach dem Abschlussbericht der Behörde für Feuer- und Desastermanagement (pdf) in drei Monaten 167 Menschen an Hitzeschlag, 10 Mal mehr als in gewöhnlichen Jahren. 54.000 Ausgedörrte wurden in Krankenhäuser eingeliefert, 46 Prozent waren älter als 65 Jahre alt.

Die teilweise innovativen Lösungen sehen wohl so aus (und da geht es am ehesten um Innovationen der Unternehmenskulturen): versetzte Arbeitszeiten, um den Berufsverkehr zu entspannen, mehr Telearbeit von daheim, (wie jetzt auch schon) pünktlicherer Arbeitsschluss, weniger Überstunden. Viele Firmen überlegen überdies, einen Tag in der Woche die Büros und Fabriken zu schließen. Oder sie zwingen ihre Mitarbeiter, im August Urlaub zu nehmen.

Darüber hinaus verhilft die Stromnot neuen Techniken endgültig zum Durchbruch. Da sind vor allem LED-Lampen zu nennen. Viele Geschäfte ersetzen ihre Leuchtstoffröhren durch die leuchtenden Halbleiter, um den Stromverbrauch zu drosseln. Bereits kurz nach der Krise waren fast 30 Prozent aller verkauften Lampen LEDs, ihr Anteil am Lampenumsatz betrugt sogar rund zwei Drittel. Ihre Stromspareffizienz wird oft noch durch Lichtsensoren erhöht, die es dem System erlauben, die Helligkeit der Lampen am Umgebungslicht auszurichten. Bewegungssensoren schalten das Licht sogar in einigen Deckenleuchten für Endkonsumenten automatisch aus, wenn niemand im Raum ist.

Der nächste Schritt ist ein weiterer Ausbau der "intelligenter" Systeme, sprich zentral gesteuerte, durch Sensoren mit Informationen gefütterte Energiemanagementanlagen. Panasonic will allein durch das gezielte Vermeiden von unnötigem Energieverbrauch den Strombedarf seiner Fabriken im Nordosten um 15 Prozent senken. Im Privatkundengeschäft macht der Konzern dies bereits durch seine Kühlschränke vor, die den Lebensrhythmus einer Familie selbstständig erlernen und dann die Kühlleistung dementsprechend optimieren. Das System soll künftig in allen Fabriken eingesetzt werden, um Strom und damit Kosten zu sparen. In drei Jahren zahlt sich die Investition betriebswirtschaftlich aus, glaubt der Konzern.

Überdies sollen neue Produkte uns Menschen helfen, tagsüber den Stromverbrauch zu senken. So ziehen die neuesten Notebooks von Fujitsu tagsüber ihren Saft möglichst lange aus den Batterien und laden sich erst nachts wieder auf. Und der Mobilnetzbetreiber KDDI wird ein Werbeprogramm zum Stromsparen auflegen. Haushalten, denen es gelingt, von Juli bis September 15 Prozent weniger Strom als im Vorjahr zu verbrauchen, sollen Gutscheine erhalten. Dazu werden "smarte" Stromzähler angebracht, die den Verbrauch schnurlos an KDDI übermitteln.

Neben Hightech wie LED-Lampen wird uns außerdem zum Beispiel im Baumarkt um die Ecke der Rückgriff auf alte Lebensgewohnheiten angepriesen. Das Laken kann beispielsweise durch eine Matte aus Bambusplättchen, das Kopfkissen durch eine traditionelle Nackenrolle aus Bambusgeflecht ersetzt werden, um die Kühlung des Körpers in der Nacht zu verbessern. Das Abhängen von Fenstern mit Bambusmatten verhindert zudem die Aufheizung der Innenräume am Tage. Ansonsten hilft kurzfristig nur Schwitzen und langfristig, auf den kommenden Innovationsschub bei erneuerbaren Energietechniken hoffen. Der könnte in ein paar Jahren aus Japan über die Welt schwappen, denn der Staat und die Wirtschaft werden "grüne Energien" in den kommenden Jahren verstärkt fördern. Atomenergie hat durch den multiplen GAU in Fukushima doch recht stark an Attraktivität und Zustimmung eingebüßt. (bsc)