"Müll entfernen, Zellen ersetzen"

Der Biogerontologe Aubrey de Grey ist überzeugt, dass Altern aufzuhalten und sogar umzukehren ist. Sämtliche Zellschäden, die dafür verantwortlich sind, würden in Zukunft reparierbar werden.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Der Biogerontologe Aubrey de Grey ist überzeugt, dass Altern aufzuhalten und sogar umzukehren ist. Sämtliche Zellschäden, die dafür verantwortlich sind, würden in Zukunft reparierbar werden.

Der britische Informatiker Aubrey de Grey wurde 1963 in London geboren. Bis 2006 war er als Computertechniker an der University of Cambridge beschäftigt. Seither arbeitet er für die von ihm gegründete SENS-Stiftung (Strategies for Engineered Negligible Senescence), die Strategien für die Bekämpfung des Alterns entwickelt, Konferenzen organisiert und Spendengelder zur Förderung ihrer Forschungsprojekte einwirbt. De Grey ist überzeugt, dass sich das Altern – ihm zufolge das Ergebnis von sich ansammelnden molekularen Zellschäden, dauerhaft aufhalten lässt. Auf diese Weise sei die natürliche Lebensspanne um Jahrzehnte verlängerbar. Er postuliert sieben Schadenskategorien und hat theoretische Ansätze für Therapien gegen sie entwickelt. Der 2005 von der US-Redaktion von Technology Review ausgerufene Wettbewerb zur Widerlegung seiner Thesen löste heftige Diskussionen aus; das Preisgeld in Höhe von 20.000 Dollar wurde bis heute nicht vergeben.

Technology Review: Doktor de Grey, Sie sagen, Altern resultiere aus der Anhäufung von verschiedenen Zellschäden.

Aubrey De Grey: Ja, ich habe sieben Schadenstypen identifiziert. In fünf Fällen können wir die Schäden meiner Meinung nach reparieren, indem wir irreversibel geschädigte Zellen durch Stammzellen ersetzen. Oder wenn sich Müll ansammelt, entfernen wir den Müll eben. In zwei Fällen müssen wir gentherapeutisch eingreifen, zum Beispiel um durch neue DNA Mutationen in den Mitochondrien entgegenzuwirken.

TR: Das klingt aber alles noch sehr abenteuerlich. Können Sie uns Beispiele für konkrete Forschungsansätze geben, die Ihren Ansatz untermauern?

De Grey: Es gibt eine ganze Menge Indizienbeweise dafür, dass die Ansammlung von Mutationen in den Mitochondrien mitverantwortlich für das Altern ist. Einige Forscher untersuchen daher die Möglichkeit, neue, heile Mitochondrien-Gene einzufügen, um die fehlerhafte DNA zu ersetzen.

TR: Ihre Vorschläge bedeuten ziemlich gravierende Eingriffe in den Stoffwechsel. Wie soll das gehen?

De Grey: Wir sollten so wenig wie möglich in die Stoffwechselwege selbst eingreifen. Das ist zu kompliziert, wir wissen noch nicht genug darüber. Ich bevorzuge den regenerativen Ansatz, das Reparieren und Instandhalten. Es geht also bewusst darum, die Schäden zu reparieren, nachdem sie aufgetreten sind. Auf diese Weise müssen wir nicht alle molekularen Details verstehen und wie sie zustande kommen. Aber wir müssen eingreifen, bevor die Probleme außer Kontrolle geraten.

TR: Erklären Sie uns doch bitte an einem Schadensbeispiel, wie Sie sich das vorstellen.

De Grey: Ein einfaches Beispiel ist die Versteifung der extrazellulären Matrix – das ist das faserige Stützgerüst zwischen den Zellen. Die Versteifung tritt auf, weil sich bestimmte Moleküle untereinander vernetzen. Es gibt einen Hauptverantwortlichen, ein Molekül namens Glucosepan, das den größten Anteil an der Vernetzung und Versteifung hat. Wir müssten einen Weg finden, etwa zwei Drittel davon wieder aufzubrechen. Wenn wir solche Versteifungen aufbrechen, würde das etwa die Hälfte der Schäden beheben.

TR: Sie schlagen aber auch vor, von außen fremde Enzyme in die Zellen einzubringen, um problematische Müllmoleküle abzubauen, mit denen der Körper nicht fertig wird. Ist das kein Eingriff in den Stoffwechsel? Die Enzyme könnten ja auch gesunde Moleküle abbauen.

De Grey: Es ist heute schon möglich, Enzyme sehr genau zu designen und zu modifizieren, damit sie nur das gewünschte Substrat abbauen. Und wenn sie alles abgebaut haben, werden die Enzyme selber abgebaut.

TR: Was noch zu beweisen wäre. Aber Sie machen ja noch viel abenteuerlichere oder – wie Sie es in Ihren Vorträgen nennen – "unerhörte" Vorhersagen: Wenn alle diese Therapien funktionieren, sei die menschliche Lebensspanne deutlich verlängerbar.

De Grey: Ich denke, dass die Wahrscheinlichkeit bei etwa 50 Prozent liegt, dass all diese Therapien in 25 Jahren tatsächlich die gewünschten Ergebnisse zeigen. Die mittlere Lebensverlängerung dürfte dann etwa 30 Jahre betragen.

TR: Ein ziemlich präziser Zeitraum für so eine gewagte Spekulation.

De Grey: Wir könnten in einigen medizinischen Bereichen schon bei einer einzigen behobenen Schadensart geringfügige Verbesserungen sehen, vielleicht ein paar Jahre mehr. Ich habe aber nie gesagt, dass wir bei nur einer oder zwei therapeutischen Maßnahmen eine nennenswerte Verlängerung erreichen.

TR: Vor sechs Jahren haben Sie der US-Ausgabe von Technology Review gesagt, in etwa zehn Jahren – von heute aus gerechnet also in vier Jahren – dürften die vorgeschlagenen Methoden in Mäusen bereits funktionieren.

De Grey: Nein, ich habe gesagt, sie könnten in zehn Jahren funktionieren, wenn wir genügend Geld für ihre Entwicklung ausgeben. Das macht einen Riesenunterschied. Viele Teile meines Sieben-Punkte-Plans schreiten zu langsam voran, einfach weil es keine adäquate Förderung dafür gibt. Wir haben in den letzten sechs Jahren nur etwa zwei Jahre Fortschritte gemacht.

TR: Man kann aber doch nicht wissenschaftliche Erfolge wie einen festen Fünf-Jahres-Plan aufstellen.

De Grey: Sehr richtig. Deshalb mache ich nur Wahrscheinlichkeitsaussagen. Wir haben eine 50-prozentige Chance, die Methoden in 25 Jahren beim Menschen einsetzen zu können. Bei Mäusen schätze ich, dass wir – ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent – in acht Jahren so weit sein werden. (vsz)