Wer in der IT-Branche arbeitet, braucht keine Vergnügungssteuer zu zahlen

Seit Jahren stöhnt und jammert die Branche über den Fachkräftemangel. Mancher ruft den Staat zur Hilfe. Doch die Wurzel des Übels liegt in den Unternehmens selbst. Berichte über Arbeitsüberlastung, Stress, Burnout und fehlende Kollegialität schrecken potenzielle Kandidaten ab.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Computacenter-Chef Oliver Tuszik

(Bild: Computacenter)

Lieber Computacenter-Chef Oliver Tuszik,

haben Sie das auch gelesen? Die Chefsessel in den Unternehmen der IT-Branche sind besonders häufig Schleudersitze. Das hat die Strategieberatung Booz&Co. gerade herausgefunden. Im Gegensatz zur Wirtschaft allgemein interessanterweise. Während branchenübergreifend im vergangenen Jahr nur 8,7 Prozent der Vorstände und Geschäftsführer in der DACH-Region ihren Posten räumten (im Wirtschaftskrisenjahr 2009 waren es noch 21,3 Prozent), hat in der IT-Branche jeder fünfte Firmenchef entweder freiwillig oder unfreiwillig sein Büro geräumt. Allein im Gesundheitswesen gab es mehr Abgänge in den Chefetagen.

Dieser negative Befund passt ins Bild: Nicht nur aus Sicht des normalsterblichen Angestellten, sondern auch aus der Perspektive der Manager scheinen die IT-Unternehmen in Deutschland keine besonders attraktiven Heimstätten der beruflichen Erfüllung zu sein. Die Negativmeldungen über schlechte Arbeitsbedingungen und Stress in den Firmen der IT-Branche begleiten uns seit Jahren und reißen nicht ab. Immer wieder auftauchende Kernaussage: Wer in der IT-Branche arbeitet, muss dafür ganz sicher keine Vergnügungssteuer zahlen. Hier nur ein paar Beispiele:

  • Bereits vor drei Jahren brachte das Manager-Magazin einen Artikel mit der Überschrift "IT-Fachkräftemangel – Hausgemachtes Problem". Damals war es vor allem die Hire-and-Fire-Mentalität der IT-Unternehmen, die dafür gesorgt hat, dass viele potenzielle Mitarbeiter und Nachwuchskräfte von vornherein der IT-Branche den Rücken gekehrt haben.
  • "Erschöpfung und Burnout in der IT-Dienstleistungsbranche nehmen zu. Nur noch 37 Prozent der befragten IT-Spezialisten glauben, ihre Tätigkeit sei auf Dauer durchzuhalten." Das meldete vor einem Jahr das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg Essen.
  • Der Zusammenhalt in der Belegschaft und die gegenseitige Unterstützung im Kollegenkreis sind in Unternehmen der IT-Branche besonders schlecht. Das geht aus einer Studie der Beratungsgesellschaft Service Value GmbH in Köln hervor. Noch schlechter sieht es nur in der Energiewirtschaft, im Großhandel und in der Finanzbranche aus.
  • Die Wechselbereitschaft von Personen, die in Firmen der IT-Branche arbeiten, ist deutlich gestiegen und überdurchschnittlich hoch. Das hat die Managementberatung Kienbaum GmbH in Gummersbach herausgefunden. Danach können sich mehr als 80 Prozent der IT-Spezialisten vorstellen, ihren Arbeitgeber zu wechseln.

Lieber Herr Tuszik, die Branche klagt ja schon seit Jahren über den Personalmangel und darüber, wie schwierig es ist, junge Menschen für einen Job in der IT-Branche zu begeistern. Nach Angaben des Branchenverbands Bitkom gibt es 28.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte in der deutschen Wirtschaft.

Es ist zu befürchten, dass sich die Situation weiterhin nicht gravierend verbessern wird. Denn welcher junger Mensch, der seine Zukunft noch vor sich hat, will in einer Branche arbeiten, über die er immer wieder solche Horrormeldungen lesen muss, wie ich sie oben skizziert habe? Und nein, das ist kein PR-Problem der IT-Branche, das ist ein substanzielles Problem. Solange es den IT-Firmen nicht gelingt, die Arbeitsbedingungen und den Umgang untereinander zu verbessern (Stichwort: Unternehmenskultur), wird sie das Thema "Fachkräftemangel" ganz sicher auch die kommenden Jahre begleiten.

Lieber Herr Tuszik, Sie sind ja eine Ausnahme. Nicht nur weil Sie nun schon seit drei Jahren (!) im Amt sind, sondern weil Ihnen das Thema Attraktivität der Branche für Berufseinsteiger besonders am Herzen liegt. Sie haben sich ja auch hier bei heise resale bereits vor drei Jahren zu diesem Thema geäußert. Bei Computacenter tun Sie Einiges, um den Nachwuchs für das Unternehmen zu gewinnen. Das ist zumindest mein Eindruck. Im Karrierebereich auf Ihrer Homepage gibt es jede Menge Informationen, bunte Broschüren und auch animierende Videos, welche vor allem den jungen Leuten die spannende Welt von Computacenter nahebringen sollen. Trotzdem haben auch Sie in Ihrem Unternehmen 350 Stellen nicht besetzt, wodurch Ihnen monatliche Umsätze in Millionenhöhe entgehen. Das sagten Sie vor kurzem den Kollegen der Financial Times Deutschland.

Sehr interessant fand ich in diesem Zusammenhang Ihre Anregung, wie man mehr jungen Leuten eine Tätigkeit in der IT-Branche schmackhaft machen könnte: Eine Vorabendserie im Fernsehen, in welcher der Held ein Informatiker ist. Naja, warum nicht? Aber das allein wird´s nicht rausreißen. Parallel dazu muss in den Firmen selbst Einiges passieren.

Beste Grüße!

Damian Sicking

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