Tokio vs. Seoul auf zwei Rädern

Japan und Korea stehen in knallhartem Wettbewerb. Seoul will Tokio nicht nur im Hightech-Bereich, sondern auch beim Lebensstil einholen. Das merkt man sogar beim Radfahren.

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Von
  • Martin Kölling

Japan und Korea stehen in knallhartem Wettbewerb. Seoul will Tokio nicht nur im Hightech-Bereich, sondern auch beim Lebensstil einholen. Das merkt man sogar beim Radfahren.

Ich bin ein begeisterter Stadtradler. Radfahren ist für mich der beste Kompromiss zwischen Langsamkeit und Reichweite, eine Stadt kennenzulernen. Besonders begeistern mich dabei zwei asiatische Millionenmetropolen, die sich eigentlich beide durch jahrzehntelange Hingabe an den Autoverkehr auszeichnen: Meine Wahlheimat Tokio und die kaum kleinere südkoreanische Hauptstadt Seoul. Beide zeichneten sich bis vor kurzem durch eine weitgehende Abwesenheit von Radwegen und Alltags-Mittel- und Langstreckenradlern aus. Dennoch sind sie meiner ErFAHRung nach durchaus zu den radfahrerfreundlichsten Städten der Welt zu zählen, auch wenn das mehr auf Zufall als auf Planung beruht. Das Radrennen zwischen beiden Städten ist inzwischen sehr eng.

Um meine Begeisterung zu verstehen, muss ich mich vorweg einem scheinbaren Widerspruch widmen: dem sicheren Radverkehr OHNE Radwege. Ich habe mich noch nie so sicher auf dem Rad gefühlt wie in Tokio (und eingeschränkt in Seoul), gerade weil es (in aller Regel) keine von der Straße abgetrennten Radwege gibt. Stattdessen habe ich als Radfahrer die Wahl zwischen der besten von zwei Welten. Entweder radle ich im Schritttempo ungestört vom Autoverkehr auf dem Fußweg mit. Die Geschwindigkeit ist dabei so gering, dass ich anders als in Deutschland nicht die Angst haben muss, dass mir ein Fußgänger in die Speichen gerät. Ich kann jederzeit bremsen. Oder wenn ich Tempo bolzen will, geht es ab auf die Straße, wo ich dann im Verkehr mitrollen kann.

Das Fahren auf der Straße hat mehrere Vorteile, einer ist universeller, einer Tokioter und Seouler Natur. In Hamburg hatte ich an einem Tag in der Regel mehr Beinahezusammenstöße als in einem halben Jahr in Tokio, obwohl – oder meines Erachtens gerade weil – ich auf dem Radweg fuhr. Denn die vermeintlichen Schutzzonen sind in der Regel durch parkende Autos, Büsche oder Bäume von der Straße abgetrennt. Abbiegende Autofahrer können die Radfahrer daher oft kaum heranrasen sehen. Zudem unterschätzen sie unser Tempo. In Tokio oder Seoul hingegen sehen sie mich vor dem Abbiegen, weil sie mich überholen müssen. Auch beim Einbiegen der Autofahrer bin ich sicherer, weil sie nicht erst über meinen Fahrtweg rollen müssen, bevor sie an die eigentliche Einmündung kommen, die sie in der Regel besser als Fuß- oder Radwege einsehen können. Die gefährlichsten Situationen hatte ich in Tokio bisher jeweils an Stellen, wo ich auf dem Radweg fuhr. Wenn ich mich recht erinnere, gibt es daher auch in Deutschland immer wieder Ansätze, Fahrradspuren auf der Straße anzulegen.

Da sind Japan und Seoul allerdings weiter – durch Zufall. Radfahrer haben oft die äußere Fahrspur für sich. Denn sie wird von Lastwagen oder Autos oft zum Kurzzeitparken genutzt. Daher fährt auf ihnen kaum ein Auto. Und da sich die Fahrradfreundlichkeit der zwei asiatischen Mega-Metropolen in der einheimischen Bevölkerung noch nicht herumgesprochen hat, kommen einem dort auch kaum andere Radler in die Quere. Zudem fahren die Japaner und eingeschränkt auch die Koreaner sehr bis vergleichsweise gesittet. Nur selten wird es eng. Und dann kann man ja immer noch auf den Gehweg ausweichen.

Der Stadtvergleich fällt da schon schwerer. Beginnen wir mit den Vorteilen Tokios. Tokios Straßen sind so gut wie schlaglochfrei und superglatt. Die Gehwege auch. In den vergangenen Jahren wurde sogar Flüsterasphalt ausgerollt und so der Autolärm stark gesenkt. Die Auto- und sogar die Taxifahrer zählen nach Jahrzehnten der Ermahungen und des wirtschaftlichen Fortschritts zu den zahmsten der Welt. Ich wurde jedenfalls bisher kaum angehupt. Außerdem ist der für eine Stadt dieser Größenordnung nicht sehr dicht, da die meisten Tokioter mit der Bahn zur Arbeit fahren und nicht mit dem Auto. In Seoul geht es gedrängter zu, da mehr Privatleute mit dem Auto fahren.

Als Radfahrer kommt man in Tokio fast immer gut durch. Meine persönliche Bestleistungen waren 14 Kilometer im Stadtverkehr in 45 Minuten (inklusive Ampelstopps). Das ist in etwa so schnell wie mit der Bahn (inklusive Fußwegen zum und vom Bahnhof). Im Sommer ist es dann allerdings ratsam, bei Geschäftstreffen ein Hemd zum Wechseln mitzunehmen und ein wenig Zeit zum Ausdampfen einzuplanen. Dazu kommen noch so Annehmlichkeiten für freizeitliche Ausfahrten wie asphaltierte, für Autos meist gesperrte Straßen vor den Deichen der Flüsse, die Tokio durchziehen. Über zig Kilometer kann man frei von Autoverkehr über sie entlang rollen.

In Seoul hingegen sind die Straßen und die Fahrer rougher. Aber das Fahrverhalten ist schon sehr viel zahmer als noch vor 10 bis 15 Jahren, versichern mir langjährige Anwohner. Mit ein bisschen Robustheit verschafft man sich auch als Radfahrer genügend Freiraum. Und die Straßen sind glatt genug, wenn auch noch nicht japanisch flüsterleise. Das kommt dann wohl erst in ein paar Jahren. Südkorea ist als Industrieland ja auch noch jünger als Japan. Hier genießt Tokio also durchaus Vorteile.

Wenn es allerdings um fahrradfreundliche Infrastruktur geht, hat Seoul die Nase vorn. Nicht nur versucht die Stadt seit ein paar Jahren zu einer der fahrradfreundlichsten Großstädte zu werden. Es werden Radwege angelegt, zum Beispiel auf der Straße. Vor allem werden am Han-Fluss, der durch die Stadt fließt, extra zweispurige Radrouten gebaut, glatt, hübsch mit Mittelstreifen getrennt und mit Tempolimit-Schildern versehen. Maximal 20 Stundenkilometer schnell soll ich nur fahren dürfen.

Der Clou ist allerdings der Mietfahrradservice in Seoul, den es in Tokio so nicht gibt. Überall in der Stadt stehen Stationen, an denen Seouler sich ein Fahrrad ausleihen können, wenn sie zuvor eine Chipkarte beantragt haben. Touristen können sich an Touristenbüros Fahrräder gegen Abgabe ihres Reisepasses leihen, Helm, Ellenbogen- und Knieschützer inklusive. Der Preis ist erfreulich gering: 1000 Won (60 Euro-Cent) für drei Stunden. Darüber hinaus sollte Fremden die Orientierung in Seoul leichter fallen, da die Straßen der Stadt recht rechtwinklig angeordnet sind. Tokio ist chaotischer. Ausländer, die der landestypischen Schriftsysteme nicht mächtig sind, hilft zudem, dass in beiden Städten die meisten Straßenschilder auch auf Englisch beschriftet sind.

Meine Fazit fällt geteilt aus. 1. Radfahrfreundlichkeit kann selbst dann entstehen, wenn die Stadtplaner kaum einen Gedanken auf Radfahrfreundlichkeit gelegt haben. 2. Der Radlerkomfort in Tokio ist besser als in Seoul, weil die Straßen glatter, weniger beautot und die Fahrer zahmer sind. 3. Wer allerdings als Tourist die Stadt erschließen will, hat es wegen des Fahrradverleihdienstes in Seoul leichter. 4. In beiden Metropolen der asiatischen Hightech-Nationen ist Lowtechradfahren die beste Methode, das Leben der Einwohner zu erfahren. Man muss sich nur trauen. (bsc)