Modell für Deutschland

„Intelligente“ Stromnetze sollen die Versorgung effizienter machen und helfen, zunehmende Mengen an erneuerbaren Energien in den Strommix zu integrieren. Sechs deutsche Modellregionen wollen zeigen, wie das funktionieren könnte.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Gerhard Samulat

„Intelligente“ Stromnetze sollen die Versorgung effizienter machen und helfen, zunehmende Mengen an erneuerbaren Energien in den Strommix zu integrieren. Sechs deutsche Modellregionen wollen zeigen, wie das funktionieren könnte.

Wenn die Ampel auf Rot springt, eilen die Bewohner des Pavillons 02.18 an der Wolfgang-Gaede-Straße in Karlsruhe zum Touchscreen an der Wand. Das Gebäude, das gleich hinter dem Physikhochhaus auf dem Campus der Universität steht, ist ein sogenanntes Smart Home: Ein intelligentes Haus, bei dem alle elektrischen Geräte ihren Betrieb aufeinander abstimmen und ferngesteuert werden können. In der Wohnküche des schlicht eingerichteten Flachbau-Containers ist ein riesiger LCD-Fernseher an die Wand gedübelt. Darunter steht auf einem niedrigen Regal ein Farbdisplay: die Stromampel. Sie leuchtet grün, gelb oder rot, je nachdem, ob Strom gerade günstig zu haben oder teuer ist.

Der Pavillon 02.18 gehört zum Projekt MeRegio, Abkürzung für Minimum Emission Region. Diesen Namen hat sich Karlsruhe für sein ehrgeiziges Projekt gegeben, seinen Energieverbrauch und so auch die CO2-Emission mit technischen Mitteln zu senken. Damit ist die Stadt eine von sechs Modellregionen, die aus einem Wettbewerb des Bundeswirtschaftsministeriums als Sieger hervorgingen, zusammen mit Mannheim, Cuxhaven, Aachen, der Region Harz sowie dem Rhein-Ruhr-Gebiet. In diesen Gebieten entwickeln und erproben Ingenieure und Wissenschaftler nun im Rahmen des Verbundprojekts E-Energy seit über zwei Jahren Kernelemente eines intelligenten Stromnetzes, eines Smart Grid, in dem sich Energie – ähnlich wie Daten im Internet – beliebig hin oder her schieben lassen soll.

E-Energy, das auf vier Jahre Laufzeit ausgelegte „Leuchtturmprojekt“ der Bundesregierung, geht 2012 zu Ende. Bis dahin sollten die Modellregionen (siehe Kasten S. 59) Erkenntnisse darüber sammeln, wie eine IT-gestützte Netzleittechnik Stromproduktion und -verbrauch harmonisieren könnte. Doch auch drei Jahre nach Beginn haben die Modellregionen noch mit einem klassischen Henne-Ei-Problem zu kämpfen. Ohne nachweisbare Vorteile für die Verbraucher hat kein Stromkunde Interesse an der neuen Technik. Und ohne die neue Technik in den Haushalten – bekannt als Smart Metering – lässt sich das intelligente Netz nicht realisieren.

„Ein Hauptziel von MeRegio ist zu testen, wie Kunden auf dynamische Preissignale reagieren“, erklärt Hellmuth Frey von der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, die als Stromlieferant der Hauptpartner für MeRegio ist. Wenn das Verhältnis von Stromangebot und -nachfrage direkt den Strompreis für die Haushalte steuert, werden die teuren Verbrauchsspitzen gekappt, so die Idee. Doch gibt es bislang keinerlei Erfahrung, wie sich der Verbrauch entwickelt, wenn Kunden flächendeckend gleichzeitig auf das grüne Signal der Ampel reagieren: Ob es dann zu Preissprüngen kommt wie bei einem Börsenboom, oder ob sich die Preise auf ein planbares Niveau einpendeln, wie es sich die Stromversorger wünschen. Und wären die Preisunterschiede im zweiten Fall überhaupt attraktiv genug, um das Verbraucherverhalten wirksam zu beeinflussen? Warum sollte jemand es auf sich nehmen, nur nachts Wäsche zu waschen, wenn er dabei im Monat nur 1,50 Euro spart?

„Die ersten Bewohner unseres Pavillons waren Studenten“, erzählt Birger Becker vom Institut für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren AIFB am Karlsruher Institut für Technologie KIT. „Die haben alle Geräte ausgiebig miteinander verglichen.“ Die Waschmaschine mit dem Geschirrspüler und den Fernseher mit dem Kaffeeautomaten. „Der verbraucht beispielsweise deutlich mehr Strom, wenn er seinen Wasserspeicher ständig auf einer gewissen Temperatur hält, als der große Fernseher an der Wand“, rechnet Becker vor.

Doch längst nicht alle potenziellen Nutzer dieser Technologie werden so bereitwillig mitarbeiten wie die Karlsruher Studenten. Was fehlt, ist ein echter Anreiz um Energiesparen. „Das mögliche Geschäftsmodell hat noch keinen in Euphorie versetzt“, gibt MeRegio-Projektpartner Frey offen zu. „Weder den Kunden noch den Energieversorger.“ Einer aktuellen Forsa-Studie zufolge sind nur etwa vier Prozent von über 1000 Personen bereit, für einen digitalen Zähler – der die unverzichtbare Basis einer intelligenten Netzsteuerung wäre – Geld auszugeben. .. (nti)