Prothese für das Gehirn

Ein neuartiges Implantat kann das Kurzzeitgedächtnis von Ratten verbessern. Die Technik steht allerdings noch ganz am Anfang.

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Von
  • Lauren Gravitz

Ein neuartiges Implantat kann das Kurzzeitgedächtnis von Ratten verbessern. Die Technik steht allerdings noch ganz am Anfang.

Forscher an der Wake Forest University in North Carolina haben ein neuartiges neuronales Implantat entwickelt: Als eine Art Gehirnprothese stellt es im Tierversuch bei Ratten verlorene Hirnfunktionen wieder her und verbessert ihr Kurzzeitgedächtnis. Die winzige Komponente ist der Beweis, dass es durchaus möglich ist, komplexe Gehirnsignale korrekt zu interpretieren und gegebenenfalls nachzuahmen. Die Technik steht allerdings noch ganz am Anfang: So sind Studien am Menschen erst in vielen Jahren denkbar.

Die Gehirnprothese besteht aus einem kleinen Chip mit insgesamt 32 Elektroden und ist das Ergebnis einer Verbindung von Mathematik und Neurowissenschaften: Kern des Systems ist ein Algorithmus, der den neuronalen Code, der von einer Schicht des Gehirns an eine andere gesendet wird, entschlüsseln und replizieren kann.

Die Nützlichkeit der Technik hält sich derzeit aber noch in Grenzen: So war es möglich, dass sich Versuchstiere daran erinnerten, welchen von zwei Hebeln sie zuvor gedrückt hatten. Das Forscherteam glaubt aber, dass es mit auf diesem Prinzip basierenden Implantaten eines Tages möglich sein wird, das Gedächtnis von Menschen zu unterstützen, die an Schlaganfällen, Demenz und anderen Hirnschädigungen leiden.

Samuel Deadwyler, Leiter des Wake-Forest-Teams, trainierte die Ratten zunächst darin, zwei verschiedene Hebel in einer bestimmten Reihenfolge zu drücken. Während die Ratten diese Aufgabe erledigten, zeichneten zwei winzige Elektrodensätze die Aktivitäten einzelner Nervenzellen auf der linken und rechten Seite des Hippokampus auf, einem Bereich des Gehirns, der für die Festigung des Kurzzeitgedächtnisses zuständig ist.

Die Aufzeichnung erfolgte dabei während der Verarbeitung der Informationen, die durch mehrere Schichten abläuft. Ein Satz von 16 Elektroden – acht auf der rechten, acht auf der linken Seite – überwachte die Signale, die zwischen den Nervenzellen in der Hippokampus-Schicht CA3 und der Schicht CA1 flossen. In Schicht CA1 befanden sich wiederum 16 Elektroden zur Überwachung des ankommenden Signals.

Zusammen mit Theodore Berger, einem Biomedizintechniker und Neurowissenschaftler an der University of Southern California, erfasste Deadwyler das Muster der Nervenaktivität, das mit einem erfolgreichen Ablegen der Information im Kurzzeitgedächtnis in Verbindung stand.

Anschließend stimulierten die Forscher die Nerven mit dem gleichen Muster und testeten die Ratten. Dieses Mal machten die Tiere insgesamt weniger Fehler und trafen den richtigen Hebel sogar nach längeren Pausen. In einem nächsten Schritt gingen die Forscher noch etwas weiter und unterdrückten die Gedächtnisbildung mit einem Wirkstoff, der Nerven blockieren kann. Die "Erinnerung" erfolgte trotzdem, wenn die Tiere mit dem Impulsmuster stimuliert wurden.

"Das ist eine spannende Demonstration der Möglichkeiten, die wir mittlerweile haben. Es ist nicht nur möglich, die Nervenaktivität im Gehirn zu lesen, sondern sie auch zu manipulieren", meint Charles Wilson, Neurowissenschaftler und emeritierter Professor an der University of California, Los Angeles, der die Wake-Forest-Studie kennt. "Hoffentlich wird das auch klinisch in Zukunft hilfreich sein."

Ein Teil der Herausforderung beim Bau der Prothese war die Entwicklung einer Komponente, die eine Vielzahl verschiedener Nervenimpulsmuster abrufen konnte. Dazu musste zunächst die Aktivität des Hippokampus erforscht werden. Statt spezifische Ereignisse selbst zu speichern, gibt dieser Informationen an das Langzeitgedächtnis weiter, indem sie in eine Form gebracht werden, die das Langzeitgedächtnis auch ablegen kann.

Ähnlich arbeitet nun der Algorithmus: Er speichert nicht die tatsächliche Tätigkeit ab – das Drücken des richtigen Hebels – sondern speichert eine Reihe von Regeln, die diese umschreiben. Das erinnert an ein Computerspracherkennungsprogramm. "Wir versuchen nicht, die Sprache zu verstehen", sagt Berger, "stattdessen versuchen wir, auf der Basis dessen, was wir hören, zu übersetzen". Das sei ungefähr so, als wolle man Russisch in Chinesisch übersetzen, ohne eine der beiden Sprachen zu beherrschen.

Berger und Deadwyler arbeiten nun daran, die Anzahl der erfassbaren Nervenzellen zu erhöhen und die Forschung dann an Primaten aus der Nichtmenschenaffengruppe fortzusetzen. Es sind erste Schritte auf einer langen Reise hin zu einem Implantat für Menschen. "Wir haben bereits die Technik und Fähigkeit, die Signale einzelner Nervenzellen aufzuzeichnen und sie zu stimulieren. Die Zutaten sind also vorhanden", meint Experte Wilson. Seine These: Wenn das bei Tieren funktioniert, müsste es auch beim Menschen klappen. (bsc)