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Was war. Was wird.

Satire darf alles. Was aber, wenn die Wirklichkeit jeder Satire Hohn spottet, wundert sich Hal Faber. Man könnte meinen, das Wahrlügen schafft einen Absurditätsraum, den sich nicht einmal der Wahrheitsminister erträumen konnte.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wir haben die Meinungsfreiheit nicht inhaliert, wir lassen Sie nur in Rauch aufgehen." Was Polizei und Sicherheitspolitiker allein in dieser Woche an Schlagzeilen produzierten, zeigt die Gefahr des legalistischen Terrors. Neben der millionenfachen Telefonüberwachung Dresdener Funkzellen wurden auch Gespräche mit einem IMSI-Catcher abgehört, aber "nicht aufgezeichnet", unter tätiger Mithilfe von Staatsanwaltschaft und ja sagendem Richter. Angeblich bestand der dringende Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung von zwei Mobiltelefonen, die im Zuge einer seit längerem laufenden Ermittlung lokalisiert werden mussten. Während mit der Vorratsdatenspeicherung laufend der Aufbau größter Datensammlungen ohne Anlass gefordert gefordert wird, zeigt Dresden, wie eine anlassbezogene Datensammlung Demokratie und Datenschutz demolieren kann, alles im Namen des Kampfes gegen den Linksextremismus. Der Irrsinn hat Methode, nur rechnen kann er nicht: In dem gerade vorgestellten Verfassungsschutzbericht 2010 ist die Zahl linksextremistischer Gewalttaten von 1115 im Jahre 2009 auf 944 im Jahre 2010 leicht gefallen. Dazu schreiben die Verfassungsschützer, dass es beim Linksextremismus zwar "Organisationsbemühungen" gebe, dass aber "terroristische Strukturen nicht erkennbar" seien. Wie meldet man so eine Aussage auf der Titelseite? Zunahme linksextremer Gewalttaten "gigantisch". Wäre da nicht das Röntgenbild eines Journalisten mit seinem Laptop und dem Wahlspruch der von Frundsbergs, "Viel Feind', viel Ehr'", könnte man glatt an seinem Verstand zweifeln, der im Hirn seinen Sitz haben soll.

*** Mit dem Verfassungsschutzbericht in der Hand hat Bundesinnenminister Friedrich von einer Gewaltspirale gesprochen und sich die Sätze des niedersächsischen Scharfmachers Schünemann zu eigen gemacht, der eine Linie vom Brandanschlag auf Autos zum Morden der RAF gezogen hatte. Doch in Gefahr und höchster Not bringt der rechte Weg die gute Nachricht: Die Verlängerung der meisten Anti-Terror-Gesetze ist die beruhigende Antwort auf die schreckliche Gewaltspirale. Nur die sinnigerweise "kleine Lauschangriff zur Eigensicherung" genannte Abhörtechnik, die die Ermittler selber tragen mussten, damit Gespräche mitgeschnitten werden konnten, wird abgeschafft. Dafür werden die Auskunftspflichten von Fluggesellschaften erweitert und was die Postdienstleister über Postfächer informieren müssen, wird "evaluiert", ob dieser Passus nicht auf E-Mail-Anbieter ausgeweitet werden kann. Schließlich könnte ja mit Links der nächste Terroranschlag per E-Mail kommen. Wer Autos anzündet, ist zu jedem Attachment fähig.

*** Es gibt Nachrichten, die elektrifizieren. Dazu gehört nicht nur der epochale Beschluss über den Atomausstieg, mit dem spät, aber nicht zu spät aufrecht hockende Sieger geehrt werden. Dazu gehört auch die Warnung der Datenschützer vor den smarten Stromzählern, die den "gläsernen Verbraucher" in den Haushalten installieren. Dass die neuen feuchten Überwachungsträume eine alte, staatschnüffelnde Komponente wieder aufleben lassen, gehört zu den unbequemen Wahrheiten der Energiespirale, ähem, Wende. Die Nachrichten, dass die intelligenten Zähler kaum sparen helfen, weil sie teuer sind, überraschen nicht. Dabei sind die Datensilos die Stromkonzerne zur Überwachung der Verbraucher einrichten wollen, nicht einmal eingerechnet. Insofern ist es konsequent, wenn Microsoft und Google sich aus diesem Markt verabschieden.

*** Abseits des Hype um Hertzfeld+ geht die Neben-Nachricht unter, dass auch bei Google Health die Lichter ausgehen. Zu schwierig die Dateneingabe für Google-Nutzer, noch schwieriger die Daten-Abgabe von den Ärzten und Krankenhäusern, die ein Eigentumsrecht geltend machten. Aufgeklärte, mündige Patienten, die souverän mit einer relativ komplexen Software umgehen können, ist eine Idee, die mindestens 10 Jahre zu früh kommt. Auch Microsoft, das bei HealthVault mit Partnern einen einfacheren Weg eingeschlagen hat, rechnet derzeit, ob sich die Sache lohnt. Wäre da nicht diese unheimliche Gewaltspirale. Im Kampf gegen den Terror laufen Bankdaten via SWIFT in die USA, auch die Fluggastdaten von Transatlantikflügen gehen diesen Weg. Stimmen die Interna, so sollen auch die Daten über innereuropäische Flüge über den großen Teich geschickt werden. Ganz unscheinbar versteckt in einer Analyse über die zukünftige Rolle der EU-Nachrichtendienste (PDF-Datei) findet sich eine Fußnote 11 mit der Bemerkung: "Zugriff auf Banktransferdaten im Rahmen des SWIFT-Abkommens und der Weitergabe von Passagierdaten im Rahmen des 'Passenger Name Record'-Abkommens. Auch ist wohl langfristig der Zugriff der US-Behörden auf Gesundheitsdaten von EU-Bürgern im Rahmen eines Forschungsprogramms geplant." Am Ende brauchen wir analog zum Vorschlag des obersten Datenschützers zur Aufnahme der Organspendebereitschaft auf der elektronischen Gesundheitskarte eine Widerspruchsklausel für den Medizindatentransfer ähnlich wie sie Österreich-Urlauber brauchen. Willkommen in der Absurditätsspirale oder, für Lateiner: Difficile est satiram non scribere.

*** Das Internet ist bekanntlich eine Ansammlung von Katzenbildern und Rechtschreibfehlern, mit dramatischen Auftritten von Sockenpuppen mittendrin. Nur die deutsche Wikipedia hebt sich davon ab und will deshalb prompt Weltkulturerbe werden. Im Land der Dichter, Denker und Exlusionisten, im Land mit der höchsten Denkmaldichte und der besten Fußballerinnenfrauschaft der Welt geht alles mit rechten Dingen zu. Geht es nicht, sind Rechtsanwälte am Werk, beauftragt von Wiki-Watch, noch ohne Eintrag in der Lobbypedia. Bekannt wurde Wiki-Watch vor allem in letzter Zeit durch das ständige Bemühen, Vroniplag zu diskreditieren. Nun hat ein Artikel auf mögliche Verbindungen zur Pharmaindustrie (PDF-Datei) aufmerksam gemacht und der Streisand fliegt hoch rund um das Weltkulturerbe. Da outen wir uns glatt als richtige Kulturbanausen und erinnern an den ollen Burckhardt über den Gegensatz von Spontaneität und Zwangsjacke: "Kultur nennen wir die ganze Summe derjenigen Entwicklungen des Geistes, welche spontan geschehen und keine universale oder Zwangsgeltung in Anspruch nehmen."

Was wird.

Wenn diese kleine Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene still und leise inmitten allem Katzencontent online geht, ist das Schau-Abendmahl mit Assange vorüber, sind die Assangeblaten gegessen, die Wikigläser geleert. Vorab bekannt wurde nur, dass der Philosoph Slavoj Zizek mit einem Lenin-T-Shirt auftreten will, um den großen Assange mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Nach einem reichlich pathetischen Werbevideo hat Wikileaks allein bei Mastercard 15 Millionen Dollar auf einem Konto, das eingefroren wurde. Im Vergleich zu den nachgewiesenen Summen, die die Wau Holland-Stiftung veröffentlicht hat, ist das eine exorbitante Summe. Angeblich soll sie nun von Wikileaks-Anwälten eingeklagt werden. Mastercard verweist ungerührt auf seine allgemeinen Geschäftsbedingungen, von denen es etliche sehr unterschiedliche nationale Varianten gibt, die illegale Zahlungsaktivitäten jeweils anders interpretieren. Das liegt daran, dass die eingebundenen Banken jeweils das nationale Recht umsetzen. Entscheidend wird es sein, wo das Konto angelegt wurde und ob überhaupt Wikileaks-Spenden auf Assange als Eigentümer dieser Beträge hinauslaufen dürfen. So ist der transkontinentale Held wieder in staatliche Grenzen verstrickt, wie im echten Leben auch, wo er auf die nächste Verhandlung zur Auslieferung wartet, die unmittelbar bevorsteht. Auf die Wau Holland-Stiftung scheint er nicht mehr angewiesen zu sein, ihre Bankdaten sind im Spendenformular durch Bitcoin-Angaben offenbar mit Absicht zerschossen worden. Angesichts der unklaren Situation von Bitcoin, die Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation zur vorsichtigen Distanzierung von dem Miner-Projekt veranlassten, ist das ein hübscher Schubs für den Blick in die Zukunft. Um es mit Lenin zu sagen: "Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin deine Fehler bestehen." (jk)