Politikversagen im All

Am Freitag, den 8. Juli 2011 hob zum letzten Mal ein Space Shuttle ab. Das Raumfähren-Programm war ein politischer Fehler, meint der Raumfahrtexperte John Logsdon, und die USA drohen ihn zu wiederholen.

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Von
  • John Logsdon

Heute hebt zum letzten Mal ein Space Shuttle ab: Das Raumfähren-Programm war ein Fehler, meint der Raumfahrtexperte John Logsdon, und die USA drohen ihn zu wiederholen.

Vor vierzig Jahren fragte ich in einem Artikel in Technology Review: „Sollen wir den Space Shuttle bauen?“ Nun startet die 135. und letzte Shuttle-Mission. Angesichts der Erfahrungen aus drei Jahrzehnten muss die Frage anders formuliert werden: „Hätten wir den Space Shuttle bauen sollen?“

Nach dem äußerst kostspieligen Apollo-Programm schien ein vergleichsweise billiges Transportsystem für Mensch und Fracht der Schlüssel zur künftigen US-Raumfahrt. Unter der Annahme, dass die USA ihre Führungsrolle im All behalten wollten, war es in den 1970er Jahren sinnvoll, ein neues Raumfahrzeug zu entwickeln. Ein Fehler war aber wohl, sich auf das spezielle Space-Shuttle-Konzept einzulassen und das bemannte Raumfahrtprogramm der folgenden Jahre darauf aufzubauen.

Bei der Shuttle-Konstruktion, die 1972 den Zuschlag bekam, handelte es sich um die komplexeste Maschine, die je gebaut worden ist. Anstatt den Zugang zum Weltraum billiger und zu einer routinemäßigen Operation zu machen, entpuppte sich die Raumfähre als ein experimentelles Transportmittel – voller inhärenter Risiken, extrem wartungsbedürftig und teuer im Betrieb.

In der Endauswahl waren 1971 auch andere, einfachere Konzepte gewesen. Im Rückblick wäre es besser gewesen, eine von diesen Alternativen zu verfolgen und mit ihr einen langsameren, evolutionären Weg einzuschlagen. Doch Richard Nixon, damals US-Präsident, entschied sich für den Space Shuttle.

Sicher hat das Shuttle-Programm einige echte Errungenschaften vorzuweisen. Es hat eine Vielzahl von Satelliten und anderen Vehikeln in eine erdnahe Umlaufbahn gebracht. Von ihm aus ließen sich Satelliten im Orbit reparieren – am eindrücklichsten waren hier die fünf Mission zum Weltraumteleskop Hubble, das anfangs nicht voll funktionstüchtig gewesen war.

Auf einigen Flügen brachte die Raumfähre das Spacelab ins All, ein kleines Labor für Experimente in Schwerelosigkeit, das die Europäer zum Shuttle-Programm beitrugen. Mit dem Spacelab und dem in Kanada gefertigten Roboterarm, der Lasten greifen konnte, ebnete der Shuttle den Weg zu einer engeren internationalen Zusammenarbeit.

Und dank des Shuttles konnten nicht mehr nur Astronauten mit einer Pilotenausbildung ins All fliegen, sondern auch Wissenschaftler und Ingenieure. Die USA waren auf ihren Space Shuttle stolz: Die Bilder seiner Starts sind zu Symbolen für die amerikanische Führungsrolle in der Technik geworden.

Nur: Waren diese Errungenschaften wirklich 209,1 Milliarden Dollar wert (gemessen an der Dollarkaufkraft von 2010)? Ich habe da meine Zweifel.

Der Shuttle war viel, viel teurer, als irgendjemand anfänglich erwartet hatte. 1972 bezifferte der damalige NASA-Administrator James Fletcher vor dem US-Kongress die Entwicklungskosten mit 5,15 Milliarden Dollar, die späteren Betriebskosten mit 10,5 Millionen Dollar pro Flug. Die NASA überschritt die angepeilten Entwicklungskosten nur knapp, was bei einem Projekt dieser Schwierigkeit nicht verwundert. Die Betriebskosten hoben jedoch ab: Sie lagen mindestens 20 Mal höher als veranschlagt.

Ursprünglich hatte man für die Raumfähren eine Lebensdauer von zehn bis 15 Jahren angenommen. Anstatt sie dann durch ein billigeres, weniger riskantes Gefährt der zweiten Generation zu ersetzen, ließ man sie jedoch 30 Jahre fliegen. Das machte den anfänglichen Fehler, sich gleich für das ehrgeizigste System zu entscheiden, noch schlimmer: Denn aufgrund der hohen Betriebskosten fehlte der NASA Geld für andere größere Projekte.

Allerdings stellte sich heraus, dass sich der Shuttle nicht so einfach ersetzen ließ. Denn die Fähre war ein wesentlicher Bestandteil im Konzept einer künftigen Raumstation, die US-Präsident Ronald Reagan 1984 bewilligte und die später zur ISS wurde. Deren erstes Bauteil hob aber erst 1998 mit einem Shuttle ab. Der 13 Jahre währende Bau der ISS wäre ohne den Space Shuttle nicht möglich gewesen, so dass die NASA die Raumfähre weiter fliegen lassen musste.

Dieser Umstand verlängerte den Betrieb der Raumfähren also um fast zwei Jahrzehnte und kostete Milliarden Dollar zusätzlich. Ob das Shuttle-Programm als Erfolg gelten wird, ist deshalb im Wesentlichen daran geknüpft, welche Früchte die ISS trägt, deren Bau ja nur durch die Raumfähre möglich wurde. Es wird Jahre dauern, bis wir den Ertrag bewerten können.

Bereits im Mai 1986 schrieb ich in Science, dass es ein Fehler war, den Space Shuttle zum Kernstück der Nach-Apollo-Raumfahrt zu machen, ohne sich vorher klare Ziele gesteckt zu haben. Heute, 2011, drohen wir den Fehler zu wiederholen: Teile des Kongresses und der Industrie drängen darauf, rasch eine neue Schwerlastrakete zu entwickeln – wieder ohne genau zu wissen, wofür sie verwendet werden soll.

Dass das Shuttle-Programm damals angeschoben wurde, lag an zwei wichtigen Faktoren: Zum einen wollte man die Arbeitsplätze bei NASA und Zulieferern, die in der Apollo-Ära geschaffen worden waren, erhalten; zum anderen versprach man sich von der Billigung des Programms einen Schub im Präsidentschaftswahlkampf 1972.

Heute haben wir eine ähnliche Gemengelage. Wenn wir aber etwas aus dem Shuttle-Programm lernen können, dann dies: Entscheidungen mit Konsequenzen über mehrere Jahrzehnte sollten nie aufgrund derart kurzfristiger Überlegungen getroffen werden. Das ist keine gute Politik im öffentlichen Interesse.

John Logsdon ist emeritierter Professor am Space Policy Institute der George Washington University und Autor des Buches „Kennedy and the Race to the Moon“. 2003 war er Mitglied der Untersuchungskommission zum Absturz der Raumfähre Columbia. (nbo)