Mitten ins Herz

Seit mehr als 50 Jahren stimulieren Herzschrittmacher das Pumporgan per Elektroden. Bald könnten die ersten drahtlosen Systeme marktreif sein.

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Von
  • Denis Dilba

Seit mehr als 50 Jahren stimulieren Herzschrittmacher das Pumporgan per Elektroden. Bald könnten die ersten drahtlosen Systeme marktreif sein.

Schon lange träumen Kardiologen und Medizintechniker von einem Herzschrittmacher, der ohne Elektroden auskommt. Die bis zu 60 Zentimeter langen Elektrodendrähte, die mit der Elektronik-einheit unterhalb des Schlüsselbeins verbunden sind und die Herzmuskulatur per Elektroimpuls im richtigen Rhythmus zur Kontraktion bringen, bilden nämlich bis heute die Achillesverse des Systems.

Der künstliche Taktgeber wird Patienten eingesetzt, deren Herz chronisch zu langsam schlägt und zeitweise sogar ganz aussetzt. Neben dem Problem der korrekten Platzierung der Elektroden sind es vor allem Infektionen und Blutgerinnsel an den Elektroden, die den Medizinern Kopfzerbrechen bereiten. Hinzu kommen Ortsverlagerungen und Kabelbrüche durch Materialermüdung. Bei 20 bis 30 Prozent aller Elektroden treten innerhalb von zehn Jahren solche ernsten Komplikationen auf, schätzen Experten. In wie vielen Fällen das tödlich endet, verschweigen die Hersteller allerdings.

Bereits 1970 wurde daher im "Journal of Electrocardiology" ein theoretisches Konzept für einen drahtlosen Miniatur-Herzschrittmacher vorgestellt, der direkt in den Kammern arbeitet. Doch eine Umsetzung scheiterte lange an den hohen technologischen Anforderungen: Batterie und elektronische Schaltungen nahmen zu viel Platz ein. Seit aber der US-Branchenriese Medtronic auf der letztjährigen Medizintechnik-Konferenz TEDMED in San Diego erste Bilder von einem Prototyp vorgestellt hat, scheint die Vision näher denn je. David Steinhaus, Vizepräsident und medizinischer Direktor der Herzrhythmus-Management-Abteilung bei Medtronic, spricht von einem potenziellen "game changer" im Milliarden Euro schweren Herzschrittmacher-Markt – einem Innovationssprung, der neue Maßstäbe setzen soll.

"Unser neuer Schrittmacher wird einfacher zu implantieren sein, ein minimales Infektionsrisiko haben und alle Probleme umgehen, die wir bisher mit den Elektroden in Kauf nehmen mussten", sagt der Mediziner. Die gesamte Elektro-nik inklusive Batterie passt in eine kleine, längliche Kapsel, die nur noch rund einen Kubikzentimeter groß ist. Bisherige Schrittmacher sind vier bis fünf Zentimeter groß und bis zu acht Millimeter dick. Entsprechend groß ist der Schnitt, durch den sie unter die Haut eingepflanzt werden; zudem müssen die Elektroden durch eine Venenwand hindurch ins Gefäßsystem und dann ins Herz vorgeschoben werden.

Der kabellose Schrittmacher kann dagegen per Katheter über einen kleinen Schnitt in der Leistenbeuge durch die Beinvene zum Herzen gefädelt und dort platziert werden.

Vor Ort krallen sich dann vier kleine ausfahrbare Widerhaken in das Gewebe, um das Gerät dauerhaft zu fixieren. Über diesen Halteapparat erfolge zugleich auch die Stimulation per Elektroimpulse, erklärt Steinhaus. Als zusätzliche Komfortfunktion sollen Kardiologen die Arbeit des neuen Schrittmachers künftig per Smartphone überwachen können.

Erste Tierversuche in Schafen hätten bereits vielversprechende Ergebnisse gezeigt, so der Projektleiter. Derzeit führt Medtronic einen sechsmonatigen Langzeittest durch, der klären soll, ob die Hightech-Kapsel auch dort bleibt, wo sie verankert worden ist. Löst sie sich unkontrolliert von ihrem Einsatzort in der rechten Hauptkammer des Herzens, kann der eigentliche Lebensretter die Lungenarterie verstopfen – und so in wenigen Minuten zum Tode führen. Das sei jedoch äußerst unwahrscheinlich, so Steinhaus, da der Schrittmacher nach einigen Wochen mit dem Herzgewebe verwächst.

Nach acht bis zehn Jahren, wenn die Lebensdauer der Batterie abgelaufen ist, könnte dann einfach ein neuer neben den alten Schrittmacher platziert werden. In drei bis fünf Jahren soll die erste Generation des drahtlosen Taktgebers auf den Markt kommen. "Bis dahin werden wir aber noch unzählige Tests durchführen", sagt Steinhaus, "größtmögliche Sicherheit ist schließlich unser Kapital."

"Die gesamte Technologie in einer Kapsel unterzubringen ist sicherlich elegant, aber nicht unbedingt nötig", sagt Heinrich Wieneke, Chefarzt der Kardiologie am St. Marien-Hospital in Mülheim an der Ruhr. Der Mediziner arbeitet seit rund drei Jahren ebenfalls an einem drahtlosen Schrittmacher. Im Gegensatz zur Medtronic-Lösung wäre bei seinem System ein reiner Batteriewechsel möglich: Eine flache Spule wird zusammen mit einer Polymerbatterie über dem Herz unter die Haut implantiert und bringt eine Empfängereinheit im Herz per Induktion dazu, im richtigen Rhythmus Strompulse abzugeben. Wenn alles nach Plan laufe, könnte das System in drei bis vier Jahren auf den Markt kommen, sagt Wieneke.

Medtronic-Mann Steinhaus glaubt aber, die Nase im Rennen um die beste Technologie vorn zu haben, vor allem weil sie leichter einzusetzen ist. Das sei besonders in bevölkerungsreichen Ländern von großem Nutzen: In Indien zum Beispiel stünden heute für rund 1,2 Milliarden Einwohner nur 70 Experten zur Verfügung, die Herzschrittmacher-Elektroden implantieren können, so Steinhaus. "Da unseren drahtlosen Herzschrittmacher nahezu jeder Kardiologe per Katheter einsetzen kann, verbessert sich die medizinische Versorgung dann dramatisch." (bsc)