Vom Versuch, einen Fußgänger zu überfahren

Die Sicherheitstechnik in Autos nimmt uns immer öfter das Bremsen und sogar das Lenken ab. Wann vergeht uns die Lust, das Fahrzeug selbst zu steuern?

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Von
  • Martin Kölling

Die Sicherheitstechnik in Autos nimmt uns immer öfter das Bremsen und sogar das Lenken ab. Wann vergeht uns die Lust, das Fahrzeug selbst zu steuern?

Der letzte Donnerstag war ein wunderschöner Tag hier bei uns. Der Taifun war abgezogen, es war nicht so warm, die Sonne schien, die Sicht war klar am Berge Fuji. Dennoch hatte ich ein mulmiges Gefühl auf der Straße. Denn mein Beifahrer sagte mir: "Halten Sie bitte auf den Fußgänger zu und bremsen Sie nicht." Gegen meinen Instinkt folgte ich der Anweisung und fuhr mit 40 Kilometern pro Stunde auf die Figur vor mir zu. Ein paar Meter vor mir trat auf einmal das Auto selbst in die Eisen und kam – geschätzt – mehr als einen Meter vor dem Wesen zum Stillstand.

Die Gestalt war zum Glück nur eine Puppe und die Amokfahrt nur eine Technikdemonstration auf dem Testgelände von Toyota. Aber wenn es nach Japans größtem Autobauer geht, soll dieser Bremsautomat, der dank Radartechnik auch in der Dunkelheit noch Fußgänger auf den Straßen erkennen können kann, demnächst in ersten Modellen des Konzerns verbaut werden. Ganz klar: Wir Fahrer brauchen uns immer weniger vor fatalen Fehlern zu fürchten. In Zukunft werden die Autos jedweder Hersteller uns im Zweifel immer mehr in die Parade fahren. Denn nicht nur Toyota entwickelt immer neue Früherkennungs-, Warn-, Brems- und Lenksysteme für immer autonomer agierende Automobile, sondern auch BMW, Daimler, Honda, Hyundai, Nissan, VW und fast alle anderen Autobauer auch.

Toyota allerdings hatte sich an diesem Donnerstag vorgenommen, besonders zu scheinen und noch weitere Ideen für das Auto der näheren Zukunft vorgeführt. Mit Hilfe eines neuen elektronischen Stabilitätsprogramms soll man das Auto in Zukunft beispielsweise noch schneller über vereiste Pisten jagen können. Und wirklich, beim Vollbremsen auf glatter Straße blieb das Auto genauso in der Spur wie beim Umkurven des Hindernisses.

Richtig fasziniert war ich aber von einem Ausweichautomaten, der Unfälle von weggedösten Fahrern vermeiden soll. Zum Test hielt ich mit Tempo 80 auf eine Leitplanken-Attrappe zu – und wirklich, der Wagen wich seitlich aus und kam zum Stehen. Das Ganze soll bis Tempo 120 funktionieren, sofern man das Steuer nicht festhält. (Ein französischer Kollege hat allerdings beim Test die Leitplanke durchbrochen.) Schon im Einsatz ist in Japan ein Navigationssystem, das Geisterfahrer warnt, dass sie gerade in die falsche Autobahnauffahrt gefahren oder dummerweise beim Wenden auf der Autobahn (muss wohl immer wieder vorkommen) in der falschen Spur gelandet sind.

Abgerundet wurde unser Tag mit anderen Beweisen, wie ernst es den Autoherstellern heutzutage mit unserer Sicherheit ist. Ein Höhepunkt war eine Fahrt im größten Fahrsimulator der Welt. 35 Meter Bewegungsfreiheit von links nach rechts und von vorne nach hinten hat die Blase mit dem Testauto und der 360-Grad-Rundumprojektion, um das Fahrverhalten möglichst Lebensnah nachzuahmen. Es war ein interessantes Fahrgefühl, doch noch etwas künstlich. Doch vor allem fühlte ich mich konstant so, als ob ich eine Brille bräuchte, denn die Projektion war nicht so scharf wie die Wirklichkeit. Meine Beifahrerin klagte allerdings, dass sie sich fast seekrank fühle (was nicht an meinem extrem gesitteten Fahrstil lag).

Damit nicht genug. Toyotas PR-Abteilung hatte ausnahmsweise mal so richtig tief in die Tasche gegriffen und zwei Autos für einen Live-Crash-Test gekauft. Yaris gegen Lexus-Klasse war die Devise, frontal, 50 Prozent versetzt, bei 55 Kilometern pro Stunde. Ein kurzer Knall und es war vorbei. Danach durften wir uns die Fahrzeuge aus der Nähe angucken. Die Autos waren wohl fahruntüchtig, die Passagiere allerdings – so wurde uns versichert – nur leicht verletzt. Aussteigen konnten sie trotzdem nicht, denn es handelte sich um Dummies, die wir in der Folge in ihrem Wohnzimmer besuchen durften. Die Crashtestpuppen sind ein interessanter Anblick. Und nicht ganz billig: Der teuerste Dummy soll etwa 1,8 Millionen Euro kosten.

Doch wie noch nie zuvor beschlich mich bei diesen durchaus eindrucksvollen Demonstrationen die Frage, ob bei all diesen Sicherheitssystemen nicht der Fahrspaß auf der Strecke bleibt. Das Roboterauto sei noch weit weg in der Zukunft, versicherte Toyota. Der Mensch solle weiterhin die Verantwortung tragen. Schön und gut, doch ich frage mich, warum ich denn überhaupt noch lenken soll, wenn das Auto es doch schon so gut kann? Wenn mir das Auto schon einen Teil der Verantwortung abnimmt, warum dann nicht alle? Warum soll ich als Mensch die Verantwortung nur für die Fälle tragen, wenn es doch mal schief geht? Warum nur sind die Autohersteller zu feige für den logischen letzten Schritt? Warum, verdammt noch mal, soll ich denn überhaupt noch ein Auto kaufen, wenn es mir durch den immer weniger subtilen Eingriff der Fahrautomaten immer mehr zu verstehen gibt, dass es mich eigentlich für zu dumm zum Fahren hält?

Den Autoherstellern ist dieser Widerspruch in ihrer Strategie auch schon aufgefallen. Weniger Raffinesse, mehr Fun und Handarbeit: Fiat hat seinem Fiat 500 Twinair-Zweizylinder einen wunderbar agilen Motor, aber eine recht ruckartige Automatik geschenkt. Die schaltete zwar weit weniger glatt als das stufenlose Automatikgetriebe des Lexus GS450 Hybrid (einem Rivalen der Mercedes E-Klasse oder des 5er BMWs), den ich kürzlich ebenfalls als Testauto fuhr. Aber vor die Wahl gestellt: Zweizylinder oder Sechszylinder plus Hybridmotor, würde ich heute wohl den kleinen Flitzer und nicht den großen Gleiter nehmen. Der Fahrspaß im Mini war so viel größer als im Kraftmeier, besonders auf Japans extrem tempolimitierten Autobahnen.

Selbst Toyota hat das Dilemma erkannt und lässt seinen iQ sogar im Automatikgetriebe-Land Japan nun mit Handschaltgetriebe auf die Straße. Außerdem pushen die Japaner getunte Editionen, die den Fahrern – und auch Fahrerinnen – durch gefühlte Individualität im Massenprodukt mehr Freude am Fahren und am Autobesitz verschaffen sollen. Der Wandel ist kein Wunder. Bei den Testfahrten hat mir selbst ein Toyota-Ingenieur gestanden, dass ihm das Fahren auf dem simuliert verschneiten Testparcours ohne das elektronisches Hilfsprogramm viel mehr Spaß macht. Ich bin mal gespannt, wohin dieser Spagat zwischen Vollautomatisierung und Handsteuerung uns autotechnisch noch führen wird. (bsc)