Wau

Vor zehn Jahren starb Wau Holland, Mitgründer des Chaos Computer Clubs und einer, der auf unnachahmliche Weise Menschen und Ideen miteinander in Verbindung bringen konnte. Irgendwo dazwischen Computer. Ein Angedenken.

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Von
  • Peter Glaser

Vor zehn Jahren starb Wau Holland, Mitgründer des Chaos Computer Clubs und einer, der auf unnachahmliche Weise Menschen und Ideen miteinander in Verbindung bringen konnte. Irgendwo dazwischen Computer. Ein Angedenken.

Als ich Wau kennenlernte, war ihm sein Ruf bereits vorausgeeilt. Es waren die frühen 80er Jahre, als mir der Pyrolator von einem Doktor Wau vom Chaos Computer Club erzählte. Der Pyrolator war der erste Mensch, den ich kannte, der ein Musikinstrument spielte, in das man eine Diskette stecken musste, einen Fairlight CMI. Er besaß auch den allerersten Laptop überhaupt, einen Epson HX-20 mit eingebautem Kassenbonpapier-Drucker, und als wäre das der Wunder noch nicht genug, wusste er also von Doktor Wau vom Chaos Computer Club. Ich hatte sofort eine feste Vorstellung von Doktor Wau als eine Art Raketenwissenschaftler im weißen Arbeitsmantel, mit Taschenrechner und Kugelschreibern in der Brusttasche, Haar angegraut und mit Strenge und Entschlossenheit im Blick, ein bisschen wie ein Schuldirektor.

Als ich Wau ein paar Monate später zum ersten Mal begegnete, kam ein vergnügter Waldschrat mit schwarzem Vollbart zur Tür herein, der, unvergesslich, in eine dreiviertellange Lederhose gekleidet war. Nicht die in den nachfolgenden Jahren kanonisch gewordene blaumannblaue Latzhose (oder der Cebit-Anzug mit den Korkenzieherfalten, die den Programmierer und Komputerfriek schmückten), sondern eine Krachlederne. Damit war die Methode angesagt, so ging das dann immer weiter. Bei Wau, heißt das, war stets damit zu rechnen, dass gleich wieder eine Überraschung um die Ecke biegt – und alle, die ihn kannten, freuten sich darauf; meistens.

Er hatte eine Art zu denken und an Gesprächen teilzunehmen, in der ungewöhnliche Richtungsänderungen vorkamen, die man vorschnell als Rösselsprünge bezeichnen könnte. Schach ist viel zu sehr auf eine festgelegte Logik beschränkt. Wau hat, beispielsweise, die Logik von Algorithmen geöffnet, gelockert, durchlüftet. Einmal erzählte er mir von einem umfangreichen Satzprogramm, an dem er mitcodierte und seinem Ansatz, eine Silbentrennung zu implementieren. "Ich bilde Silbenhaufen", sagte er und strahlte, wie er es immer tat, wenn eine Idee ihn erfreute, "damit kriege ich gute 95 Prozent getrennt". Ein Pragmatiker. Und das Sonderbare daran, da Wau und mit ihm der CCC ja zum deutschen Inbild des Computerfreaktums wurde: Immer, wenn ich an ihn denke, spielt die Maschine keine Rolle, meist ist sie unsichtbar und wirkt im Stillen, als Katalysator. Die Wirklichkeit war maschinisierter als diese offenen Erinnerungen, aber die Maschinen halten sich bei weitem nicht so gut in der Erinnerung wie Wau, sie schwinden, er nicht.

Die wundervolle Paradoxie, dass sogar das Chaos in Deutschland als eingetragener Verein registriert ist, hat niemand überzeugender verkörpert als Wau Holland. Der Mann, der die moderne Kommunikationstechnologie in ihrer faszinierenden Fehleranfälligkeit, Bastelverheißung und Zukunftsmächtigkeit so darstellen konnte, dass er nur Wau zu sein und ein paar Sätze in eine Fernsehkamera zu sprechen brauchte und jeder Menge Leuten leuchtete ein, was er da sagte. Sie verstanden, worum es ging, ohne vielleicht auch nur ein einziges Mal im Leben einen Phasenprüfer in der Hand gehabt zu haben. Das konnte nur ein große Künstler: Verständnis herzustellen, kritisch zu sein und den Menschen immer etwas zu der ganzen Technik mitgeben zu wollen, das weit über technokratische Konzepte hinausreicht.

Der Chaos Computer Club war und ist für mich die inhomogenste Gruppe von Menschen, mit der ich in meinem Leben zu tun hatte und zugleich dasjenige soziale Netz (wir holen uns mal den ins Geschäftsleben entführten Begriff kurz zurück), in dem auch Menschen mit zum Teil extrem unterschiedlichen Auffassungen und kreuzundquerstem Herkommen immer in der Lage und bereit waren, sich an einen Tisch zu setzen und nicht einfach nur miteinander zu reden, sondern Ränder und Grenzen zu öffnen. Im Denken, in dem, was technisch machbar ist, in allem. Und mit einem erstaunten Wohlgefühl konnte man dann sehen, dass nichts ausläuft, so wie wenn man die Ränder einer Badewanne voller Ideen wegnehmen würde – und wenn, dass man damit nichts verliert, sondern etwas gewinnt.

Der Anlass, der die Leute bei den Clubtreffen an den gemeinsamen Tisch gebracht hat, war der Computer. Der Katalysator, der niemanden belehren oder bekehren wollte und der einfach in einem unablässigen Strom des Wau-seins zeigte, dass die Welt auf eine eigenartig erfreuliche Weise erstaunlich ist, speziell wenn sie stromführend und kommunikationsgeeignet ist, war Wau Holland. "Weißt du, was die beste Methode ist, deine Daten zu schützen?", fragte Wau mich einmal und gab selber die Antwort: "Sie so weit wie möglich zu verbreiten." Doktor Wau, wir arbyten daran.

Update: Wer möchte, kann diesen Text nun auch auf Esperanto lesen. (bsc)