OLG Frankfurt: Online-Demonstration ist keine Gewalt

Das Amtsgericht hatte den Initiator einer Online-Demonstration verurteilt, mit der gegen die Beteiligung der Lufthansa an Abschiebungen protestiert werden sollte. Nun hob das Oberlandesgericht das Urteil auf und spach den Angeklagten frei.

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  • Torsten Kleinz

Fast ein Jahr, nachdem das Amtsgericht Frankfurt den Initiator einer Online-Demonstration gegen die Lufthansa zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, hat das Oberlandesgericht das Urteil mit dem am heutigen Donnerstag veröffentlichten Beschluss vom 22. Mai aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen. Dabei stellten die Richter in der Entscheidung vor allem den Gewaltbegriff in Frage, den die erste Instanz zugrunde gelegt hatte.

Die gerichtliche Aufarbeitung der Online-Demonstration dauerte damit fast fünf Jahre. Die Gruppen "Libertad" und "Kein Mensch ist illegal" hatten am 20. Juni 2001 zu einer Online-Demonstration gegen die Lufthansa aufgerufen. Mittels einer eigens geschriebenen Software konnten die Demonstranten automatisch verschiedene Webseiten der Fluggesellschaft abrufen und so versuchen, die Server in die Knie zu zwingen. Die Aktivisten wollten damit gegen die Beteiligung der Lufthansa an Abschiebungen protestieren.

Über den Erfolg der Aktion lässt sich streiten. Der Publicity-Effekt war enorm, sogar das Bundesjustizministerium zog im Vorhinein die Rechtmäßigkeit der Aktion öffentlich in Zweifel. Vorwürfe der Nötigung und der Computersabotage standen im Raum. Trotzdem beteiligten sich nach Information der Menschenrechtsaktivisten insgesamt 13.000 Internetnutzer an dem Protest. Technisch hingegen waren die Auswirkungen eher gering: Die Lufthansa hatte sich auf die Aktion vorbereitet und zusätzliche Kapazitäten angemietet, um den Traffic aufzufangen. Wie lange die Webseite tatsächlich verlangsamt oder gar nicht erreichbar war, ist bis heute umstritten.

Das juristische Nachspiel war wesentlich nachhaltiger. Die Menschenrechtsaktivisten sahen in ihrem Online-Protest eine moderne Form der gewaltlosen Sitzblockade und beriefen sich auf die im Grundgesetz garantierte Versammlungsfreiheit. Lufthansa und die Staatsanwaltschaft waren anderer Auffassung: Sie sahen in der Aktion eine vorsätzliche Nötigung, der Aufruf sei ein Aufruf zu Straftaten gewesen. Die Räume der Frankfurter Gruppe Libertad wurden durchsucht und Computer beschlagnahmt – es folgten jahrelange Ermittlungen.

Das Amtsgericht Frankfurt verurteilte im Sommer 2005 den Initiator Andreas-Thomas Vogel zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Die Demonstration sei als Nötigung gegenüber der Lufthansa als Website-Betreiber sowie gegenüber anderen Internetnutzern zu verstehen gewesen. Die Fluggesellschaft habe wirtschaftlichen Schaden davongetragen, während andere Internetnutzer am Besuch der Lufthansa-Präsenz gehindert wurden. Die Online-Demonstration sei eine Drohung mit einem empfindlichen Übel gewesen, Vogel sei damit der Anstiftung zur Nötigung schuldig.

Der Erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt widersprach im neuen Urteil (1 Ss 319/05) nun dieser rechtlichen Bewertung. Die Online-Demonstration sei keine Form von Gewalt gewesen, sondern habe auf Meinungsbeeinflussung gezielt. Mit dieser Neubewertung fiel auch der Vorwurf der Nötigung vom Tisch, der Angeklagte wurde freigesprochen. Die Initiatoren der Aktion sehen in dem neuen Urteil eine "Ohrfeige für das Amtsgericht". Obwohl die Online-Demonstration nicht wiederholt wurde, stellen die Initiatoren nochmal ausdrücklich die Legitimität des Protests fest. Libertad-Sprecher Hans-Peter Kartenberg erklärt: "Das Internet ist trotz seiner Virtualität ein realer öffentlicher Raum. Wo schmutzige Geschäfte gemacht werden, dort kann und muss man auch dagegen protestieren." Über die Auseinandersetzung mit dem Online-Protest solle man aber nicht das reale Ziel der Aktion vergessen. Nach Angaben von Libertad werden jährlich 20.000 Menschen gewaltsam abgeschoben. Diese "menschenverachtende Politik" fordere jedes Jahr Hunderte von Toten, betonte Kartenberg. (Torsten Kleinz) / (jk)