Ist der modulare Querbaukasten von Volkswagen eine Qualitätsbremse?

Ist der modulare Querbaukasten von Volkswagen eine Qualitätsbremse?

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Von
  • Gernot Goppelt

Der Wettstreit um die Käufergunst findet in der Autoindustrie vor allem in den aufstrebenden Schwellenländern statt. Die Autoindustrie wird sich in den kommenden zehn Jahren stärker wandeln als in den fünfzig Jahren zuvor, prophezeit Audi-Chef Rupert Stadler. Allein die VW-Tochter Audi will die Zahl ihrer Modelle bis 2020 von heute etwa 38 auf 50 erhöhen. Ein zentrales Steuerungsinstrument sieht die Konzernmutter Volkswagen dabei in einem neuen Produktionsverfahren. Der "Modulare Querbaukasten" (MQB) soll mindestens 43 Modelle von Volkswagen und Audi, Skoda und Seat mit gleichen Bauteilen bedienen: Boden, Achsen, Lenkung, Sitzgestelle und die Motor-Getriebe-Einheit. Europas größter Autobauer will damit flexibler werden, auf veränderte Käuferwünsche schneller reagieren und rund 30 Prozent Kosten sparen. Produktionsvorstand Michael Macht spricht von einem "Meilenstein".

Bei Audi wird bereits mit einem Baukasten gearbeitet, die künftige Tochter Porsche entwickelt einen Baukasten für Sportwagen, der größte aber ist der Modulare Querbaukasten MQB. Nach seiner Einführung im nächsten Jahr soll er über Autoklassen und Markengrenzen hinweg in einigen Jahren bis 3,5 Millionen Konzernautos mit gleichen Bauteilen versorgen. "Es ist mehr als eine neue Fahrzeug-Technologie, es ist ein strategisches Instrument", sagt VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg in einem Gespräch mit der dpa in Wolfsburg. Der Autobau werde flexibler und neue Modelle könnten schneller verwirklicht werden. Auch die Fabriken werden derzeit umgebaut – und zwar weltweit alle nach dem gleichen Muster. "Man kann die Fabriken künftig als Drehscheibe nutzen", erklärt Hackenberg. Pro Auto könnten auch die Lohnkosten sinken, weil Produktionszeiten kürzer würden. Den spektakulärsten Nutzen habe der Baukasten aber bei Autos, die sonst wegen zu kleiner Stückzahlen gar nicht gebaut werden könnten. Damit könnten auch neue Nischen zügig besetzt werden.

Der Branchenbeobachter Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen sieht den MQB kritisch. "Die Kostenvorteile werden von VW überschätzt", sagt er. Die Nachteile überwögen. Die Konzernmarken würden besser fahren, wenn sie ihre Modelle nicht auf den Konzernbaukasten abstimmen müssten. "Damit gehen Innovationen verloren". Als Beispiel führt er Audi an: Die Ingolstädter seien so erfolgreich geworden, weil sie den Slogan "Vorsprung durch Technik" konsequent umgesetzt hätten. "Das können sie jetzt nicht mehr", behauptet Dudenhöffer. Den Marken werde die Gestaltungsfreiheit genommen, Wolfsburg entscheide über die Innovationsfähigkeit der Marken. Hackenberg weist solche Vorbehalte zurück. "Die Kreativität der Entwickler und Designer bei den Konzernmarken wird nicht beeinträchtigt. Sie ist im Gegenteil mehr denn je gefragt", sagt er. Der Baukasten gebe nur eine "technische Leitplanke" vor. Das eigene Gesicht und der Charakter einer Marke habe damit nichts zu tun. Und darauf lege der Konzern nach wie vor großen Wert.

Gegen Dudenhöffers Argumentation spricht auch die Marktentwicklung der letzten Jahre. Besonders bei Kleinwagen sind Design und Vermarktung zu entscheidenden Kriterien geworden. Dass beispielsweise der Fiat 500 die gleiche Plattform nutzt wie der Ford Ka, dürfte kaum einen Käufer die Kauflaune verdorben haben. Auch Modelle wie der Alfa Romeo Giulietta, der Mini oder vielleicht auch der zukünftige Beetle verdanken ihren Erfolg vor allem ihrem Design und – wie im Falle Mini – einem geschickt aufgebauten Image. Die technischen Innovationen, mit denen sich Hersteller wie Audi heute abgrenzen können, finden zudem zu einem erheblichen Teil im Bereich der Fahrzeugelektronik statt – ein Bereich der nicht mit einem modularen Plattformkonzept kollidiert. Und schließlich mag beim Begriff "modularer Querbaukasten" eines gelegentlich übersehen werden: Er ist nichts anderes als die Fortschreibung bisheriger modularer Konzepte, welche in Verbindung mit hohen Stückzahlen eigentlich Voraussetzung für bezahlbare Qualität in der Großserie sind. Mit Material der dpa (ggo)