Gut gespart, Tokio

Japans Regierung beendet das Stromsparprogramm für Firmen zwei Monate früher als geplant. Auch ohne die abgeschalteten Atomkraftwerke reicht die Energie.

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Von
  • Martin Kölling

Japans Regierung beendet das Stromsparprogramm für Firmen zwei Monate früher als geplant. Auch ohne die abgeschalteten Atomkraftwerke reicht die Energie.

Ach, was hat die Atomlobby uns doch nach der Atomkatastrophe Angst gemacht. Ohne Atomkraftwerke würde es in Tokio zu Stromausfällen kommen, hieß es. Doch nichts da. Jetzt hat die Regierung sogar beschlossen, die Stromsparverpflichtungen von Großverbrauchern rund zwei Wochen früher schon am 9. September und nicht wie bisher geplant am 22. September aufzuheben. Denn es gibt nun doch genug Strom.

De facto musste selbst an den heißesten Sommertagen der Strom niemals rationiert werden, obwohl Tepcos Spitzenproduktionskapazität um rund 15 Prozent unter der des vergangenen Jahres lag. Diese Woche waren es 51,4 GW. Die höchste Nachfrage verzeichnete Tepco am 18. August 2011 um 14 Uhr mit 49,22 GW, 18 Prozent unter dem Spitzenwert des Vorjahres (59,99 GW) und 23 Prozent unter dem historischen Höchstwert aus dem Jahr 2001 (64,3 GW).

Der nicht ganz so arg heiße Sommer erleichterte die Herausforderung ein wenig. Aber den größten Beitrag zur Problembewältigung leisteten die japanischen Bürger, Behörden und Unternehmen durch engagiertes Senken der Spitzenlast. Die große Überraschung für alle Beteiligten dürfte sein, welch minimale Einbußen an Lebensqualität dies im Alltag erforderte. Dies zeigt, wie groß die Verschwendung war.

Die größten Opfer haben die Familien der Arbeitnehmer von großen Stromverbrauchern zu erbringen, deren Firmen zwei Wochentage zu freien Tagen und das Wochenende zu Werktagen erklärt haben, um während der "normalen" Arbeitswoche die Spitzenlast zu senken. Sie sehen ihre Kinder derzeit kaum. Ansonsten stellen viele Japaner fest, dass auch Schreibtischarbeit schweißtreibend sein kann, wenn die Klimaanlagen aus Stromspargründen auf 28 Grad eingestellt werden. Und viele Restaurants machen noch immer eine Stunde früher zu.

Aber ansonsten? An vielen Bahnhöfen steht wenigstens ein Teil der Rolltreppen still, so dass wir nun wieder mehr Treppen steigen müssen (die Fahrstühle für Gehbehinderte funktionieren weiter). Als Nebeneffekt verbessern wir so unsere Gesundheit. In Gebäudefluren und Büros werden tagsüber (und auch nachts) bis zu 75 Prozent der Deckenleuchten ausgeschaltet, ohne das es zu dunkel wäre. Einige Neonreklamen bleiben aus. Aber noch mehr Abschaltungen wären möglich. Denn die Stadt, die einst wie ein hellerleuchteter Kronleuchter wirkte, funkelt noch immer hell genug. Oder wie mir ein Atomkraftgegner sagte: Japan könne alle AKWs sofort abschalten, wenn die Stadt ein wenig abgedunkelt würde. Tokio sei ihm sowieso viel zu grell.

Für Japans Elektronikhersteller war die Stromkrise sogar eine Marketingkampagne für energiesparende Haushaltsgeräte und Elektronikartikel. LED-Lampen verzeichnen einen ungeheuren Absatzboom. Sie machen schon über zwei Drittel des Lampenabsatzes aus. Inzwischen gibt es auch schon eine große Auswahl von modischen Deckenleuchten, die bei den Japaner so hoch im Kurs stehen, mitsamt Bewegungs- und Lichtsensoren zur automatischen Anpassung der Leuchtstärke.

Das Technikkaufhaus Yamada Denki hat seine neue Labi-Filiale in Shinjuku im Juli sogar als Spezialist für Energiesparartikel eröffnet. Ehrlich gesagt sieht es dort auf den ersten Blick wie in einem ganz gewöhnliches Elektronikkaufhaus aus. Aber auf den zweiten Blick scheint die Filiale sich auf den Verkauf der effizienteren Modelle der Hersteller zu konzentrieren, während es kaum Low-End-Geräte gibt. Außerdem werden Solaranlagen mit optionalen Warmwasser- und Energiemanagementsystemen sowie computergesteuerte LED-Beleuchtungsanlagen ausgestellt.

Auch der Shop selbst ist "öko". Die Klimaanlage ist voll computergesteuert, die Beleuchtung ist voll LEDisiert. Und Solarzellen auf dem Dach liefern Strom. Durch diese Maßnahmen will Yamada Denki den Kohlendioxidausstoß des Ladens deutlich gegenüber einem konventionellen Laden senken.

Doch auch hier muss ich sagen, dass es noch viel Einsparpotenzial gibt. Der Haupteingang ist nicht durch Türen von der Straße abgetrennt. Die Beleuchtung im Laden ist weiter grell. Selbst in der Überdachung vor dem Eingang strahlt in der prallen Nachmittagssonne das Licht. So ganz konsequent wird in Japan das Energiesparen noch nicht zu Ende gedacht. Aber es geht immerhin in die richtige Richtung.

Die vielleicht wichtigste Lehre der Krise ist für Japan, dass Energiesparen die wichtigste Energieressource ist. Selbst die knallharten Atomlobbyisten von Tepco können sich dieser Tatsache nicht ganz verschließen. Der Stromkonzern will seine Kunden auffordern, auch nach der Beendigung der Stromsparverordnung ihren Verbrauch auf freiwilliger Basis um 15 Prozent zu reduzieren. Ich könnte mir vorstellen, dass die Firmen dies schon gerne von sich aus tun werden, wenn sie erstmal die Stromrechnungen auswerten. Denn sie sparen natürlich Geld. (bsc)