Kommentar: SPD-Netzpolitik oder die Roadmap zur Vorratsdatenspeicherung

Netzpolitiker der SPD fordern eine differenzierte Herangehensweise bei der Vorratsdatenspeicherung. Neben juristischen Problemen stellt sich aber die grundsätzliche Frage, wo die Grenze zwischen freiheitlichen Staat und einem Überwachungsstaat gezogen werden soll.

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Von
  • Thomas Stadler

Netzpolitiker der SPD, namentlich Henning Tillmann, Alvar Freude und Jan Mönikes, fordern eine differenzierte Herangehensweise bei der Vorratsdatenspeicherung und wollen auf dem Parteitag der SPD einen von ihnen formulierten Musterantrag zur Abstimmung stellen. Das hat erwartungsgemäß zu heftigen Diskussionen in der Community geführt. Neben juristischen Problemen stellt sich angesichts des Musterantrags die grundsätzliche Frage, wo die Grenze zwischen freiheitlichem Staat und einem Überwachungsstaat gezogen werden soll.

In dem SPD-Musterantrag wird gefordert, die Höchstspeicherdauer nach der EU-Richtlinie auf sechs Monate zu begrenzen und nicht wie bislang auf zwei Jahre. Das bringt gegenüber der bisherigen deutschen Regelung – die vom Verfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt wurde – allerdings keine Verbesserung, weil dort ohnehin „nur“ eine sechsmonatige Speicherung vorgesehen war.

Der Vorschlag sieht außerdem vor, dass Telekommunikations-Verbindungsdaten ohne Einschränkung gespeichert werden sollen, ein Abruf durch Ermittlungsbehörden allerdings nur beim Verdacht schwerer Straftaten erfolgen darf, entsprechend dem Katalog des § 100a Strafprozessordnung StPO.

Unklar bleibt allerdings, ob das auch für IP-Adressen gelten soll – die ebenfalls Verbindungsdaten darstellen – oder ob diese bei jedem beliebigen Tatverdacht abgefragt werden können. Lediglich eine verdachtslose Speicherung von Funkzellen (Cell-IDs) bei Mobiltelefonen sowie offenbar generell von sogenannten Standortdaten und eine Speicherung von E-Mail-Verbindungsdaten will man ausschließen. Weshalb allerdings E-Mail-Verbindungsdaten anders behandelt werden sollen als Telefonverbindungsdaten, ist nicht wirklich nachvollziehbar.

Um den Vorschlag einordnen zu können, ist es sinnvoll sich die verschiedenen Arten von Telekommunikations-Daten, die man grundsätzlich (auf Vorrat) speichern kann, einmal näher zu betrachten. Das Telekommunikationsrecht unterscheidet folgende Daten:

  • Bestandsdaten oder auch Benutzerdaten (§ 3 Nr. 3 TKG, § 14 Abs. 1 TMG): Rufnummer, Name, Anschrift, Geburtsdatum des Anschlussinhabers, statische IP-Adresse.
  • Inhaltsdaten: Kommunikationsinhalte, wie Gesprächsinhalte oder Inhalte von E-Mails.
  • Standortdaten (§ 3 Nr.19 TKG): Daten, die in einem TK-Netz erhoben werden und die den Standort des Endgeräts (insbesondere eines Handys) angeben.
  • Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG): Nummer und Kennung (z.B. IMSI, IMEI) des anrufenden und des angerufenen Gesprächsteilnehmers; Beginn und Ende der Verbindung; die vom Nutzer in Anspruch genommenen Dienste; Beginn und Ende der Internet-Nutzung samt zugewiesener dynamischer IP-Adresse.

Gegenstand der Vorratsdatenspeicherung in der alten Form waren Verkehrs-, Standort- und Bestandsdaten, nicht aber Inhaltsdaten.

Der Vorschlag der SPD-Netzpolitiker läuft also letztlich darauf hinaus, Verkehrsdaten im weitest möglichen rechtlichen Umfang auf Vorrat zu speichern, während Standortdaten offenbar nicht gespeichert werden sollen. Wobei der Text insoweit durchaus vage erscheint.

In der Sache wird damit eine Vorratsdatenspeicherung gefordert, die zwar hinter dem zurückbleibt, was in Deutschland, wenn auch nur kurzzeitig, bereits Gesetz war. Dies ist aber noch keine besondere Errungenschaft, denn die alte Regelung war verfassungswidrig und kann deshalb ohnehin nur mit deutlichen Einschränkungen neu aufgelegt werden. Die Einschränkungen, die das Bundesverfassungsgericht vorgenommen hat, betreffen vor allen Dingen die Datenverwendung, also die Voraussetzungen unter denen Ermittler bei den Netzbetreibern und Providern Daten abrufen dürfen.

Wen man diesen Hintergrund beachtet, realisiert man sehr schnell, dass sich der Vorschlag der SPD-Netzpolitiker primär an dem orientiert, was das Verfassungsgericht (gerade noch) für zulässig hält. Die einzig signifikante Verbesserung besteht darin, sogenannte Funkzellendaten nicht auf Vorrat zu speichern.

Speziell im Bereich der Funkzellendaten, die Aufschluss darüber geben, welche Mobiltelefone zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle eine Netzverbindung aufgebaut hatten, sollte man allerdings wissen, dass der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung keine absolute Lücke hinterlassen hat. Funkzellendaten werden nämlich aktuell von den vier deutschen Netzbetreibern im Bereich des Mobilfunks (Telekom, Vodafone, E-Plus und O2-Telefonica) zwischen 30 und 182 Tagen gespeichert. Die sogenannte Funkzellenabfrage – die bei Ermittlern in der Tat äußerst beliebt ist – ist derzeit also weiterhin möglich, nur eben nicht sechs Monate lang.

Größer ist die Lücke aus Ermittlersicht allerdings bei denjenigen Verkehrsdaten, die wegen des Bestehens von Flatrates nur noch deutlich kürzer gespeichert werden, beispielsweise bei IP-Adressen. Und genau diese Lücke schließt auch der Vorschlag der SPD-Netzpolitiker. In dem Musterentwurf fehlt allerdings die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Nutzung von IP-Adressen. Es besteht nämlich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ein erheblicher Unterschied, ob den Ermittlern eine IP-Adresse bereits aus einer anderen Quelle bekannt ist und anschließend nur noch die Zuordnung zu einem bestimmten Anschlussinhaber erfolgen soll (mittelbare Nutzung) oder ob die Ermittler pauschal alle zu einem bestimmten Nutzer gespeicherten IP-Adressen beziehungsweise Verkehrsdaten abfragen wollen (unmittelbare Nutzung). In letzterem Fall kann nämlich mithilfe einer solchen Abfrage durchaus auch ein (virtuelles) Bewegungsprofil eines Nutzers erstellt werden. Diese Unterscheidung, die sich nicht im Papier der SPD-Netzpolitiker findet, wäre für eine verfassungskonforme Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung allerdings notwendig.

Die Aussage der drei SPD-Netzpolitiker wonach der Eingriff in die Privatsphäre der Bürger bei der Speicherung von IP-Adressen relativ gering ausfalle, ist in jedem Fall kritisch zu hinterfragen. Grundsätzlich gibt es keine harmlosen Daten, weil aus jedem Einzeldatum, das zunächst belanglos erscheinen mag, zumeist erst in Kombination mit anderen Daten, ein schwerwiegender Grundrechtseingriff wird. Zumal mithilfe von IP-Adressen häufig ermittelt werden kann, welche Inhalte genutzt worden sind, weshalb bereits eine gefährliche Nähe zu Inhaltsdaten besteht. Unabhängig von der juristischen Betrachtung sollte man sich aber die Frage stellen, welche Bedeutung IP-Adressen für die Strafermittlung haben und vor allen Dingen, welche Art von Delikten mit dem Ermittlungsansatz IP-Adresse aufgeklärt werden können.

Im Bereich der Schwerstkriminalität spielen IP-Adressen, entgegen anderslautender Behauptungen, keine große Rolle. Denn es gibt in diesem Bereich eine Vielzahl von Ermittlungsbefugnissen, die wesentlich aufschlussreichere Ergebnisse liefern. In den Fällen der Katalogstraftaten nach § 100a StPO besteht daher auch kaum ein praktisches Bedürfnis für den Abgleich von IP-Adressen. Den Hauptanwendungsfall bilden vielmehr Betrugsstraftaten, Urheberrechtsverletzungen und Äußerungsdelikte wie Beleidigung oder Verleumdung.

Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sind ca. 80 Prozent der Internetdelikte Fälle des Betrugs, woraus auch deutlich wird, was der Hauptanwendungsfall des Ermittlungsansatzes IP-Adresse ist. Die Speicherung von IP-Adressen auf Vorrat ist deshalb ermittlungstechnisch nur im Bereich der Massenkriminalität sinnvoll. Im Bereich der Schwerstkriminalität spielt sie keine nennenswerte Rolle.
Gerade diesen Aspekt sollte man immer wieder hervorheben. Denn die entscheidende Frage lautet, ob wir dafür, dass eine Handvoll Betrugsfälle mehr aufgeklärt werden könnten, in Kauf nehmen wollen, dass Internet-Verbindungsdaten aller Bürgen pauschal und anlassunabhängig für die Dauer von 6 Monaten gespeichert werden. Diese Frage wird leider zu selten gestellt.

Es geht jenseits aller Diskussionen im Detail nämlich um die grundsätzliche Frage, wo man aus bürgerrechtlicher Sicht die Grenze zwischen Rechts- und Unrechtsstaat, zwischen einem freiheitlichen Staat und einem Überwachungsstaat ziehen will. Deutschland ist im Bereich der Telekommunikations-Überwachung, zumindest im Vergleich der westlichen Demokratien, bereits ziemlich weit vorne, weil der deutsche Gesetzgeber in der Vergangenheit ein wahres Füllhorn an Überwachungsbefugnissen über den Ermittlern ausgeschüttet hat. Deutschland ist damit vielleicht noch kein Überwachungsstaat aber zumindest ein überwachter Staat.

Aus diesem Grund muss man die massenhafte, anlassunabhängige Speicherung von Daten, die einer bestimmten Person zugeordnet werden können, als Dammbruch betrachten, dem es entschlossen und absolut entgegenzutreten gilt. Wenn schon Netzpolitiker der SPD eine Vorratsdatenspeicherung propagieren, die nicht weit hinter dem zurückbleibt, was nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts gerade noch geht, möchte ich mir gar nicht vorstellen, welcher "Kompromiss" am Ende stehen wird, wenn das Thema erst einmal parteiübergreifend diskutiert worden ist. Die Netzpolitiker der SPD haben jedenfalls seit dem Zensursula-Debakel nichts dazugelernt.

Thomas Stadler ist Fachanwalt für IT-Recht (AFS-Rechtsanwälte) und – wie Alvar Freude auch – Mitglied des AK Zensur. Er betreibt das Blog Internet-Law und ist auf Twitter unter @RAStadler sowie auf Google+ unter Thomas Stadler vertreten.


(jk)