Kaltgestellte Sonnenwärme

Würde die Bundesregierung die Solarthermie nur ansatzweise so gut fördern wie die Photovoltaik, hätte sie sich wohl längst als tragende Säule der Energieproduktion etabliert. Doch eine halbherzige Politik hat den Markt zerschossen.

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  • Sascha Rentzing

Würde die Bundesregierung die Solarthermie nur ansatzweise so gut fördern wie die Photovoltaik, hätte sie sich wohl längst als tragende Säule der Energieproduktion etabliert. Doch eine halbherzige Politik hat den Markt zerschossen.

Sonnenkollektoren schienen schon einen festen Platz auf deutschen Dächern gebucht zu haben. Als der Ölpreis 2008 auf über 140 Dollar pro Barrel (159 Liter) kletterte, verdoppelte sich die neu installierte solarthermische Leistung auf 1400 Megawatt. Deutschland hatte sich zum größten europäischen Markt für Sonnenkollektoren entwickelt – 2008 ging jede zweite in Europa verkaufte Anlage an einen deutschen Kunden. Die deutschen Solarthermie-Hersteller verdoppelten 2008 ihre Umsätze auf zwei Milliarden Euro. Innerhalb weniger Monate stieg die Zahl ihrer Beschäftigten um 10.000 auf 25.000.

Auch die Aussichten schienen rosig: Die Bundesregierung beschloss im Juni 2008 das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG). Es schreibt vor, in allen Neubauten regenerative Wärmeerzeuger einzubauen. Parallel dazu erhöhte Berlin 2009 die einschlägigen Fördermittel auf eine neue Rekordsumme: Das Marktanreizprogramm (MAP), das regenerative Wärme mit diversen Zuschüssen fördern sollte, stockte der Bund um 150 auf 500 Millionen Euro auf, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm sogar um 800 Millionen auf 2,2 Milliarden.

Dennoch sinkt der Umsatz mit erneuerbarer Wärme seit Herbst 2008 kontinuierlich. Während neue Öl- und Gaskessel in Deutschland boomen, fiel laut Heizungsverband BDH die Nachfrage nach Wärmepumpen von 2008 bis 2010 um 20 Prozent, der Absatz von Holzkesseln und Solarthermie-Anlagen sackte im gleichen Zeitraum sogar um die Hälfte ab. Eine Trendwende ist nicht in Sicht: Im ersten Halbjahr 2011 sank der Zubau an Sonnenkollektoren im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um weitere zwei Prozent.

Wie konnte das passieren? Auf den ersten Blick gibt es dafür nur eine plausible Erklärung: Der Ölpreis fiel von Juni bis Oktober 2008 im Zuge der Wirtschaftskrise in kürzester Zeit unter 40 Dollar pro Barrel. Damit verschwand auch der Anreiz, in umweltfreundliche Wärmeerzeugung zu investieren.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Schuld ist auch eine verfehlte Förderpolitik. "In Wahrheit hat die Bundesregierung kein Interesse an Solarthermie, weil sich in Berlin alles nur noch um das Erneuerbare-Energien-Gesetz dreht", sagt Werner Koldehoff, Vorstandsmitglied im Bundesverband Solarwirtschaft (BSW). Das äußert sich in für die Solarthermie-Branche tödlichen Entscheidungen: Statt ihr mit zusätzlichen Kaufanreizen aus der Krise zu helfen, wurde die Förderung sogar gesenkt. Nur noch 1,7 Milliarden Euro stellte der Bund 2010 über das MAP und das CO2-Gebäudesanierungsprogramm zur Verfügung, dieses Jahr sind es nur noch 1,2 Milliarden Euro. Das ist nicht halb so viel wie 2009 und sechsmal weniger als die sieben Milliarden Euro, die 2011 – per Umlage über die Stromrechnung – in die Photovoltaik fließen werden. Dabei ließe sich im Wärmebereich am meisten CO2 einsparen: Die Hälfte des gesamten Endenergiebedarfs (der Teil der Primärenergie, der nach Abzug von Transport- und Umwandlungsverlusten beim Verbraucher ankommt) wird hierzulande zur Wärmeerzeugung eingesetzt, aber nur ein Viertel für Strom.

Auch das EEWärmeG ist keine echte Stütze für die Solarthermie, denn es enthält zu viele Schlupflöcher. So müssen zum Beispiel defizitäre Kommunen keine Anlagen für erneuerbare Energien in ihre Neubauten integrieren, und der vorhandene Gebäudebestand ist von der Einbauverpflichtung ohnehin ausgenommen. "Dieser Bereich hat einen Anteil von 90 Prozent an neu installierter Heiztechnik. Hier bleibt ein riesiges Handlungsfeld ausgespart", sagt Helmut Jäger, Chef des Braunschweiger Solaranbieters Solvis.

Stattdessen setzt der Bund bei Altbauten auf Freiwilligkeit und finanzielle Anreize. Um Hausbesitzer zu Investitionen zu bewegen, müssen aber kontinuierlich ausreichend Zuschüsse fließen. Genau daran hapert es bei den Programmen. Im April 2010 wurde das MAP gestoppt, weil die Regierung die für das restliche Jahr verbleibenden 115 Millionen Euro Fördergelder aus Sparzwängen sperrte. Als sie im Juni wieder freigegeben wurden, hatte die zweimonatige Unterbrechung bereits großen Schaden angerichtet. "Das Auf und Ab hat viele potenzielle Investoren verprellt", sagt Marktexperte Koldehoff.

Die Nachfrageflaute trifft die Unternehmen hart. Im Glauben an dauerhaftes Wachstum investierten 2008 viele Hersteller in neue Werke. Kaum waren die Linien betriebsbereit, sanken die Aufträge. Über den Export lassen sich die Verluste nicht kompensieren, denn auch in den drei anderen großen europäischen Solarthermie-Märkten Italien, Spanien und Frankreich sinkt seit Längerem die Nachfrage, weil die Förderprogramme nicht gegen Baukrisen und niedrige Energiepreise ankommen. Laut BSW kostete die Solarthermie-Krise in Deutschland bisher 5000 Jobs.

Selbst innovationsstarke Unternehmen wie der badische Systemanbieter Paradigma finden kein Mittel gegen die Flaute. Sein "AquaSystem", in dessen Kollektorkreis statt einer giftigen und schnell alternden Wärmeträgerflüssigkeit pflegeleichtes Wasser zirkuliert, räumte Innovationspreise ab und zählte 2008 mit 66 Megawatt verkaufter Leistung zu den Marktschlagern in Deutschland. "Basierend auf diesem Erfolg haben wir unsere Produktion verdoppelt und neues Personal eingestellt", sagt Firmenchef Klaus Taafel. Weil Paradigma inzwischen aber nur noch halb so viel Leistung verkauft wie 2008, mussten 40 Mitarbeiter wieder entlassen werden.

Sinken die Umsätze, steht auch weniger Kapital für Neuentwicklungen zur Verfügung. Der BSW schätzt, dass die Branche heute nur noch halb so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt wie 2008. Dadurch – und durch ausbleibende Skaleneffekte – verlangsamen sich auch die Kostensenkungen. Noch ist Solarwärme mit 12 bis 14 Cent pro Kilowattstunde teurer als etwa konventionelle Fernwärme mit rund elf Cent.

Theoretisch ließen sich, so der Physiker Gerhard Stryi-Hipp vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, die Erzeugungskosten der Sonnenwärme aber auf unter fünf Cent senken, denn das Entwicklungspotenzial der Technik sei noch enorm: Phasenwechselmaterialien aus Salz oder Paraffin, die beim Schmelzen und Erstarren Energie aufnehmen beziehungsweise abgeben, könnten beispielsweise Wärme für die Nacht zwischenspeichern; Kollektoren aus Kunststoff statt aus Metall und Glas könnten die Produktionskosten weiter senken; zudem könnten Kollektoren auch in Nah- und Fernwärmenetze integriert und so effizienter genutzt werden. "2030 könnte die Solarthermie über 50 Prozent des Wärmebedarfs in Europa decken", ist Stryi-Hipp überzeugt.

Noch fehlt allerdings der Anreiz, diese Visionen zu verwirklichen. Experten sehen wegen der Schuldenkrise vorerst keine Anzeichen für einen deutlichen Anstieg des Ölpreises. Und auf wirkungsvolle Unterstützung der Politik kann die Branche nicht hoffen. Immer wieder hat sie Berlin Vorschläge für eine effizientere Förderung unterbreitet. So ließe sich der Kollektorzubau steigern, würde die Nutzungspflicht gemäß EEWärmeG auch auf Bestandsbauten erweitert. Weitere Anreize brächte auch eine CO2-Steuer.

In Berlin trifft die Branche mit ihren Vorschlägen jedoch offensichtlich auf taube Ohren. Als Teil des im Juli verabschiedeten Energiepakets sollten Bauherren, die ihre Häuser energetisch sanieren, eigentlich jährlich bis zu zehn Prozent der Summe von der Steuer absetzen können. Doch die Bundesländer blockierten dies wegen der zu erwartenden Steuerausfälle. Auch das MAP wird zum 1. Januar 2012 "nachgebessert". Dann sinkt die Basisvergütung für Kollektoranlagen erneut: von 120 auf 90 Euro pro Quadratmeter. Bei Systemkosten von 1500 Euro pro Quadratmeter ist schon der jetzige Zuschuss nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. (bsc)