Facebook+

Mark Zuckerbergs Reaktion auf den Google+-Start ließ nicht lange auf sich warten: Der Facebook-Chef hat seinen Dienst als eine Art digitales Album des gesamten Lebens neu erfunden, das Status-Updates von Anwendungen automatisch entgegennimmt. Google ist noch damit beschäftigt, die eigenen Dienste zu integrieren.

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Inhaltsverzeichnis

Auf seiner Entwicklerkonferenz f8 zeigte Facebook sein neues Gesicht. Der Dienst möchte nicht mehr nur ein sporadischer Treffpunkt sein, wo man gelegentlich seine Stimmung mitteilt, Web-Fundstücke hin- und herreicht oder ein Spielchen spielt. Das Unternehmen will vielmehr das gesamte Leben seiner Benutzer dokumentieren, und zwar von der Wiege bis zur Bahre, mit einer wesentlich größeren Informationsdichte als bisher.

Ein großes Titelbild, besser voneinander abgesetzte Beiträge: Das neue Facebook-Layout hat etwas von Mikroblogging-Diensten wie Tumblr.

Auffälligstes Element dieser Umstellung ist die neue Zeitleiste. Sie soll „in den nächsten Wochen“ für alle Benutzer die bisherige Pinwand ersetzen; wer sie schon heute ausprobieren möchte, muss sich mit einer Dummy-Anwendung als Entwickler registrieren (siehe Artikel S. 102 in c't 22/2011). Eine großformatige, vom Benutzer vorgegebene Header-Grafik, überlagert mit dem Profilbild, dominiert die neue Darstellung. Darunter liegen, chronologisch in zwei Spalten an einem Zeitstrahl aufgereiht, die Postings des Nutzers. Auf den ersten Blick hat das neue Layout viel Ähnlichkeit mit einem Blog.

Eine Zeitskala am rechten Rand macht es wesentlich einfacher als bisher, zu länger zurückliegenden Beiträgen zu navigieren. Bisher rutschten alle Postings, die schon ein wenig länger zurücklagen, von der Pinwand herunter. Wer solche Beiträge sehen wollte, musste immer und immer weiter nach unten scrollen. Jetzt weiß man mit zwei Mausklicks, was der Nutzer im letzten Sommer gemacht hat – und vorletzten Sommer, und so weiter. Mit der neuen Timeline macht es Spaß, in der eigenen Vergangenheit und in der von Freunden zu stöbern.

Facebook verspricht sich natürlich auch etwas vom neuen Zeitstrahl. Denn wie eine interaktive Grafik des eigenen Lebens räumt es dem Nutzer die Möglichkeit ein, Beiträge zu ergänzen. Ihnen ist eine Geschichte aus dem Sommerurlaub eingefallen? Bisher konnten sie sie nur nachträglich posten, jetzt lässt sie sich auch zeitlich korrekt einsortieren: Mit einem Klick auf die entsprechende Stelle im Zeitstrahl erscheint ein Plus, und man kann einen Status, ein Foto oder einen Ort nachtragen – dank eines kleinen Kalenders auf den Tag genau. Der Benutzer kann unwichtige Beiträge seines Lebenslaufs einklappen, sodass sie in der Übersicht nicht erscheinen, besonders wichtige Beiträge lassen sich hervorheben. Facebook stellt sie dann über die gesamte Profilbreite dar.

Fehlt im Facebook-Lebenslauf ein Eintrag, lässt er sich jetzt nachtragen.

Facebook will auch Ereignisse erfassen, die vor dem Beitritt zu der Plattform liegen – zurückliegende Arbeitgeber, Ausbildung, Kinderzeit: Wer mag, kann sein gesamtes bisheriges Leben dokumentieren. Die Zeitleiste reicht nicht ohne Grund bis zur Geburt zurück. Facebook-Chef Zuckerberg selbst zeigte bei der Präsentation der Neuerungen am Beginn seiner eigenen Timeline ein Babyfoto von sich aus dem Jahr 1984.

Wenn der Benutzer mitspielt, liefert er Facebook also eine fein granulierte, gewichtete Lebensgeschichte ab: einen Datenschatz. Kaum ein Besucher seiner Chronik, die die bisherige Profilseite ersetzt, wird der Benutzer sämtliche Inhalte dort zeigen – wie bisher. Facebook dagegen stehen, wie bisher, alle Informationen offen.

Was Datenschützer aber noch mehr den Schlaf rauben wird, nennt Facebook „frictionless sharing“, reibungsloses Teilen. Dabei dienen Web-Dienste als Informationszuträger, die Aktivitäten des Benutzers automatisch und fast in Echtzeit an Facebook melden: „Volker Weber hörte ‚Troubles’ von Alicia Keys bei Soundcloud“, „Volker Weber las ‚The No. 1 Danger of Using Facebook’ bei Yahoo!“, „Volker Weber sah ‚Two and a half men’ bei Netflix“.

Der Benutzer muss dafür also weder Facebook besuchen, noch einen Like-Button oder ähnliches drücken. Sobald er einmalig sein Einverständnis gegeben hat, melden Web-Dienste und Smartphone-Apps solche Aktivitäten zukünftig ohne weiteres Zutun. Um dies technisch zu realisieren, hat Facebook sein Open-Graph-Protokoll erweitert, das über den Like-Button Webinhalte mit Facebook-Profilen verknüpft. Der Artikel ab Seite 102 in c't 22/2011 beschreibt, wie man eine Anwendung entwickelt, die Statusmeldungen automatisch bei Facebook abliefert.

Das (halb-)automatische Teilen von Aktivitäten ist nichts grundlegend Neues. So konnte ein Sportler zum Beispiel mit dem Dienst Runtastic eine Statusmeldung bei Facebook absetzen lassen, wenn er einen Trainingslauf absolviert hatte. Der Musikdienst Last.fm unterhält eine Programmierschnittstelle, über die externe Anwendungen, also etwa Streaming-Clients, Last.fm in Echtzeit melden, welche Musik sie gerade spielen (Scrobbling). Diese Informationen kann der Benutzer dann mit Freunden innerhalb von Last.fm teilen; auf Basis der abgespielten Musik macht ihm der Dienst Vorschläge für andere Stücke und Interpreten, die ihm auch gefallen könnten.

Facebook gewinnt dem Prinzip des Scrobbling allerdings in mehrerer Hinsicht eine neue Qualität ab. So weitet das soziale Netzwerk die Datenerhebung auf die verschiedensten Bereiche des Lebens aus. Eine Nike-Anwendung etwa soll die Jogging-Strecken mitloggen, der Rezeptdienst Foodily gibt weiter, welches Rezept der Facebook-Nutzer gerade kocht, Spotify und Soundcloud melden, was er hört, Yahoo News und das Wall Street Journal teilen mit, was er liest.

Etliche weitere Dienste stehen in den Startlöchern. So wird aus dem Audio-Scrobbling ein Life-Scrobbling, das sich zu einer Totalüberwachung des digitalen Lebens auswachsen kann, das nicht nur pauschal per Like-Button erfasst, welcher Künstler und welche Firma dem Benutzer gefällt, sondern minutiös festhält, wann er welche Stücke hört, welche Filme sieht, welche Artikel liest et cetera.

Zudem sind die von den Partnerdiensten per Programmierschnittstelle abgelieferten Daten besser auszuwerten als die textuellen Nachrichten von Runtastic. Facebooks Open Graph sieht für etliche Dinge des realen Lebens wie Filme, Musikstücke, Bars, Schulen und Produkte vorgegebene Objekte vor. So kann Facebook etwa von verschiedenen Musikdiensten angelieferte Informationen zu gehörten Stücken einfach zusammenfassen.

Interessant ist aber nicht nur die Information über das einzelne Mitglied, sondern auch die statistische Verdichtung der Informationen – insbesondere für ein Unternehmen wie Facebook, das sich über Werbung finanziert. „Big Data“ nennt man diese Auswertung, aus der sich Trends ablesen lassen.

Die Integration ist für alle Medienanbieter höchst interessant. Schließlich werben ihre Nutzer mit jeder Statusmeldung automatisch auf Facebook. Die Medienanbieter werden sich diese Chance kaum entgehen lassen. Spotify jedenfalls kettet sich komplett an Facebook: Neue Teilnehmer ohne Facebook-Kennung werden gar nicht mehr angenommen.

Wenige Tage vor der Konferenz aktualisierte Facebook die Startseite mit einem neuen Ticker rechts oben neben der Hauptspalte mit den Postings. Wie immer bei solchen Änderungen folgte eine Beschwerdewelle. Erst mit der f8 wurde klar, was Facebook mit diesem Ticker beabsichtigt. Er soll die vielen kleinen Statusupdates kanalisieren, ohne die Hauptspalte zu überschwemmen.

Automatisierte passive Updates wie man sie heute schon von Runtastic-Läufen, Check-Ins, Freundschaftsanzeigen oder Wechsel des Profilfotos kennt, sind qualitativ minderwertig, verglichen mit aktivem Sharing der Freunde. Und diese für den Benutzer minderwertigen, aber für Facebook äußerst interessanten Updates werden mit den neuen Apps sehr viel häufiger erscheinen. Ohne die Kanalisierung in den Ticker würde die Hauptspalte regelrecht überflutet und Facebook unbenutzbar.

Eine ganze Reihe von Neuerungen hat Facebook offensichtlich als Reaktion auf Googles Konkurrenzplattform Google+ bereits vor der f8 eingeführt. So hat Facebook versucht, seine Freundeslisten mehr in das Bewusstsein seiner Nutzer zu rücken. Als Google+ an den Start ging, wurde der Dienst für seine Circles gelobt, mit denen Benutzer Informationen einfach mit eingeschränkten Teilnehmerkreisen teilen können [1]. Das war bei Facebook mit Listen zwar grundsätzlich ebenfalls möglich, aber alles andere als offensichtlich.

Facebook änderte deshalb die Dialoge in der Bedienoberfläche, um das Veröffentlichen mit Listen mehr in den Vordergrund zu rücken. Kleine Popup-Meldungen informierten den Benutzer zeitweise über diese Möglichkeiten. Zudem führte Facebook automatisch generierte Freundeslisten ein. Sie bestehen aus Arbeitskollegen, Familienmitgliedern, Mitschülern und Nutzern aus demselben Ort – abhängig von den Angaben, die der Nutzer in seinem Profil gemacht hat

Mit Abonnements kann man zudem nun wie bei Google+ auch anderen Menschen folgen, ohne eine Freundschaftsanfrage zu stellen. Wer Abonnements zulässt, der stellt seine öffentlichen Updates jedermann zur Verfügung, der sich dafür interessiert. Möchte er einem kleineren Kreis etwas mitteilen, kann er eine Liste verwenden. Alles in allem hat sich Facebook mit seinen verschiedenen Möglichkeiten, Dinge zu verbreiten, dem Veröffentlichungsmodell von Google+ angenähert, das jedoch viel übersichtlicher ist.

Google+ hinkt Facebook in puncto Funktionsvielfalt und Plattformunterstützung noch deutlich hinterher. Während Facebook zum Beispiel mit Apps auf allen mobilen Plattformen unterstützt wird, gibt es bei Google+ gerade einmal Apps für Android und iOS; wer den Dienst mit einem anderen Mobilgerät nutzen will, muss mit dessen Browser auf Google+ zugreifen.

Google beeilt sich allerdings bei der Weiterentwicklung seines Dienstes. Es gab zwar keine so wesentlichen Veränderungen wie bei Facebook. Nichtsdestotrotz reklamiert das Unternehmen mehr als 100 Neuerungen seit dem Start des Feldtests – zu denen auch Kleinigkeiten zählen, wie die Umbenennung des Gruppenchats von Huddle in Messenger.

Viele Änderungen betreffen die Darstellung von Updates auf der Website. Da gab es anfangs reichlich Kritik, weil einlaufende Kommentare und neue Posts den Stream unlesbar machten. Hier hat Google sehr viel Kleinarbeit geleistet, die man heute nicht mal bemerkt. Und im Detail bietet Google+ sogar mehr als Facebook. So kann man bei Google+ Beiträge nachträglich editieren, bei Facebook nicht.

Trotz aller Änderungen bei der Darstellung von Updates hat Google das grundlegende, einfach verständliche Prinzip der Reichweitenkontrolle durch die Kreise nicht aufgeweicht: Beiträge, die man als „öffentlich“ verfasst, erscheinen auf der eigenen Profilseite und bei allen Leuten, die einen eingekreist haben. Begrenzt man die Reichweite eines Postings auf bestimmte Personen oder Kreise, erscheinen sie nur in deren Stream, sofern sie einen eingekreist haben. Seit kurzem kann man seine Circles mit anderen Nutzern teilen – ähnlich wie Listen bei Twitter. Das erleichtert es, interessante Nutzerkreise weiterzugeben.

Google+-Videokonferenzen lassen sich jetzt auch mit dem Handy abhalten.

In den Smartphone-Apps hat Google in mehreren Updates Funktionen nachgerüstet, die im Vergleich zur Web-Oberfläche fehlten. Mit der letzten Aktualisierung kam zum Beispiel die Möglichkeit, mit dem Handy an Hangouts, den Videokonferenzen, teilzunehmen. Dabei kann man allerdings vom mobilen Client aus nicht selbst ein Hangout initiieren, sondern nur einem bestehenden beitreten.

Mit kostenlosen Videokonferenzen für bis zu zehn Teilnehmer bietet Google+ bereits mehr als Facebook. Bei Facebooks Partner Skype muss man für eine vergleichbare Dienstleistung 5,99 Euro pro Monat zahlen. Nun hat Google „On Air“ eingeführt. Jeder Hangout kann damit aufgezeichnet oder an große Zuschauerkreise gesendet werden. Bisher erlaubt Google diese Broadcasts allerdings nur einer kleinen Zahl von Teilnehmern, sodass wir sie nicht selbst testen konnten.

Google+ bietet ein paar Spiele für die Mittagspause, diese drängen sich aber nicht auf.

Recht unaufgeregt wurde der Start der Spiele von der Google+-Nutzerschaft aufgenommen. Das liegt zum einen an der überschaubaren Anzahl von etwa 20 Casual Games wie Angry Birds oder Bejeweled Blitz, zum anderen daran, dass Google die Spiele in einen eigenen Tab ausgelagert hat: Nur wer spielen will, bekommt die Spielstände anderer Plusser zu Gesicht – anders als bei Facebook, wo die Meldungen die Timeline fluten, wenn man sie nicht explizit blockiert.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 22/2011.

Mehr Infos

Facebook vs. Google+

Artikel zum Thema "Facebook vs. Google+" finden Sie in c't 22/2011

  • Facebook wird zum Lebens-Log, Google+ öffnet sich - Seite 92
  • Die Datensammelleidenschaft von Facebook und Google - Seite 98
  • Inhalte teilen mit Facebooks Open Graph - Seite 102

(jo)