EU-Studie: Softwarepatentrichtlinie bringt amerikanische Verhältnisse

Ein Report für das EU-Parlament kommt zum Schluss, dass alle bisherigen Vorschläge für eine Direktive zur Patentierbarkeit von Software Hintertüren auch für die Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden offen lassen.

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Für neuen Diskussionsstoff in der seit langem schon hitzigen Debatte um Softwarepatente sorgt ein jetzt veröffentlichter Report, der als Entscheidungshilfe für das EU-Parlament dienen soll. Autorin des 27-seitigen Papiers ist die schwedische Juristin Sandra Paulsson, die für die politische Abteilung für Wirtschaft und Wissenschaft sowie das "Scientific and Technology Options Assessment"-Center (STOA) des europäischen Abgeordnetenhaus arbeitet. In der Studie räumt sie mit einigen Mythen rund um das umstrittene Thema auf. So sind die Unterschiede zwischen dem Patentsystem in Europa und in den USA ihrer Analyse nach generell geringer als oft behauptet und können letztlich in der Praxis zu ähnlichen Ergebnissen führen.

Das Kriterium des "technisches Beitrags" etwa, das in der EU gern als wichtiger Ausschlussfaktor von Trivialpatenten hochgehalten wird, findet sich Ansicht der Rechtsexpertin jenseits des Atlantiks in der Forderung nach der "Nicht-Offensichtlichkeit" einer Erfindung wieder. Gleichsam überrascht werden müsste von dem neuen Lösungsansatz nämlich auch in den USA eine Person "mit gewöhnlicher Erfahrung im technologischen Bereich, auf den sich die Erfindung bezieht". Die "industrielle Anwendbarkeit" im europäischen Anforderungskatalog deckt sich laut Paulsson zudem mit dem Kriterium der "Nützlichkeit" in den Vereinigten Staaten. Beim Einsatz eines Computersystems für die Umsetzung einer Erfindung neige die Einspruchskammer des Europäischen Patentamtes (EPA) zudem generell zur Anerkennung des technischen Charakters des gesamten Prozesses, sodass auch US-Patente auf "reine" Geschäftsmethoden in Europa analog gewährt würden.

Angesichts dieser Lage erfüllen der Verfasserin nach alle bisherigen Vorschläge für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" nicht das eigentliche Ziel, auf der einen Seite Innovationen zu fördern und andererseits den Wettbewerb allgemein und die Entwicklung von Open-Source-Software im Besonderen nicht zu torpedieren. "Weder der ursprüngliche Vorschlag, noch die Änderungsanträge des Parlaments noch die Modifikationen des EU-Rates erreichen die angestrebte Balance", schreibt Paulsson. "Meine Folgerung ist, dass die Richtlinie Patentämtern in Europa den Weg öffnen würde für die Übernahme derselben breiten Standards, wie sie heute in Amerika gegeben sind." Es käme genau zu den Verhältnissen im Patentwesen, die alle Interessensvertreter in der EU offiziell so sehr fürchten.

Zur Begründung ihrer These führt die Autorin aus, dass auch der für die Parlamentsentscheidung grundlegende Report der ehemaligen Koordinatorin für die Richtlinie, der Britin Arlene McCarthy, an der Praxis des EPA letztlich nicht rühren wolle. Paulsson vergisst allerdings zu erwähnen, dass die tatsächlich verabschiedeten Änderungen der EU-Abgeordneten etwa Bezug nehmen auf die Wirkung auf die "Naturkräfte", um den geforderten technischen Beitrag genauer zu definieren. Rein formal enthält der Report zudem zahlreiche Rechtschreib- und Grammatikfehler. Er scheint mit heißer Nadel angesichts der bevorstehenden weiteren Entscheidungen auf EU-Ebene gestrickt zu sein.

Letztlich fordert die Parlamentsberaterin den Aufbau eines "besseren, schnelleren und schlaueren" Patentsystems. Ihre Sorgen gelten vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen. Diese würden sich momentan den großen Portfolios an "breiten Patenten" der großen Softwarehersteller sowie den sich daraus ableitenden Forderungen nach der Entrichtung von Lizenzgebühren gegenüber gestellt sehen, ohne selbst ausreichend über die Nutzungsmöglichkeiten des Patentsystems informiert zu sein. Die EU-Kommission sollte daher ein "Unterstützungsnetzwerk" für den Mittelstand bei Patentfragen aufbauen.

Zudem müssen die Prüfungsregeln der Patentämter laut Paulsson "deutlicher" gefasst werden, um zweifelhafte Monopolansprüche besser aussortieren zu können. Grundsätzlich wirft der Report auch die Frage auf, ob Software als "Ideengut" nicht mit dem Urheberrecht besser geschützt wäre. Der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) sieht daher wichtige Fragen der gegenwärtigen Debatte in dem Papier ausgemacht. Seine eigenen Vorschläge für ein verbessertes System zum Schutz geistigen Eigentums entwickelt der Verein momentan unter dem Aufhänger "Industrielles Urheberrecht".

Vor der Einkehr amerikanischer Verhältnisse in das europäische Patentsystem warnt derweil auch die Computer & Communications Industry Association (CCIA). Dem weltweiten Branchenverband mit Sitz in Washington gehören unter anderem Firmen wie Microsoft und Sun an, die sich bislang für eine breite Patentierbarkeit von Software eingesetzt haben. In einem Schreiben an EU-Minister weist die CCIA nun darauf hin, dass "die Ratsversion der umstrittenen europäischen Richtlinie zu computerimplementierten Erfindungen zu zahlreichen ungerechtfertigten Patenten auf die meisten Softwarebausteine führen würde." Die Konsequenzen für die gesamte Industrie wären gravierend. Nur Marktgrößen, Spekulanten und Zwischenhändler würden von der Ratslinie profitieren. Ein Neustart des gesamten Verfahrens könnte dagegen dazu führen, die Auswirkungen von Patenten auf Wettbewerb und Innovation besser zu verstehen.

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)