Sicher trotz Schieflage

Die Anzahl an Offshore-Windenergieanlagen wächst und damit auch der Bedarf an Service und Wartung. Doch der Überstieg vom Boot auf die Windturbine ist gefährlich. Ein auf Schiffen installierbarer Roboterarm soll jetzt den Transfer deutlich erleichtern.

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Von
  • Tanja Ellinghaus

Die Anzahl an Offshore-Windenergieanlagen wächst und damit auch der Bedarf an Service und Wartung. Doch der Überstieg vom Boot auf die Windturbine ist gefährlich. Ein auf Schiffen installierbarer Roboterarm soll jetzt den Transfer deutlich erleichtern.

Es ist nicht immer ein großer Schritt – aber ein sehr gefährlicher: Der Überstieg von einem sich mit Wind und Wellen bewegenden Boot auf eine stehende Offshore-Windenergieanlage ist nicht nur bei rauerer See ein Wagnis. Monteure und Servicetechniker müssen diesen Schritt bereits jetzt vielfach absolvieren. Künftig werden Tausende von Überstiegen erforderlich sein, um die Windturbinen vor den Küsten von Nord- und Ostsee ans Netz zu bringen und instand zu halten.

Denn die Bundesregierung will bis 2020 eine Offshore-Windenergiekapazität von 20 Gigawatt vor der deutschen Küste sehen. Ob sich diese ehrgeizigen Pläne bis 2020 tatsächlich umsetzen lassen, ist fraglich – Mitte des Jahres waren nach Zahlen des Deutschen Windenergie-Instituts lediglich rund 200 MW offshore installiert. Ohne Zweifel gehören zu einem solchen Ausbau aber Konzepte, die dem Servicepersonal einen sicheren Zugang zur Windturbine ermöglichen.

Das Zugangssystem gleicht sämtliche Schiffsbewegungen aus. Egal, ob das Schiff nach Steuerbord schwenkt.

(Bild: momac)

"Safety first" lautet das Motto der Branche – und das gilt im besonderen Maße für Arbeiten auf hoher See, weit weg von jedem Krankenhaus. Die momac GmbH aus Moers hat deshalb das "MOTS" – das "Momac Offshore Access System" entwickelt, das Sicherheit für Leib und Leben der Monteure gewährleisten und darüber hinaus die Wirtschaftlichkeit der Windparks erhöhen soll. Denn häufig verhindern Witterung und Wellengang geplante Service-Einsätze und damit die Anlagenwartung. Durch zuverlässigeres Übersetzen können laut momac störungsbedingte Stillstandszeiten der Windturbinen um 20 % verkürzt werden. Mitte Oktober wurde der Hersteller im Wettbewerb "Offshore Wind Accelerator" für sein Konzept in der Kategorie "Zugangssysteme" ausgezeichnet.

Beim MOTS handelt es sich um einen Roboterarm mit Mannkorb, der Schiffsbewegungen in alle Richtungen bis zu einer signifikanten Wellenhöhe von zwei Metern kompensieren soll. Die signifikante Wellenhöhe entspricht dabei nur selten der tatsächlichen Wellenhöhe; sie bezeichnet den Mittelwert des Drittels der höchsten Wellen und wird als Vergleichswert zu visuellen Schätzungen herangezogen. Das patentierte System wird im vorderen Bereich des Schiffs installiert und ist in erster Linie für kleinere High-Speed-Katamarane geeignet, die beim Anlanden stets Kontakt mit der Windturbine haben. Nachdem der Techniker an Bord in den Korb des "MOTS" gestiegen ist und der Kapitän den Startvorgang initiiert hat, schwenkt der Roboterarm mit einer Reichweite von 3,2 Metern vollautomatisch in Richtung Windenergieanlage, sodass der Überstieg auf die Leiter am Turmfuß ruhig und gefahrlos erfolgen kann. Vertikale Schiffsbewegungen von rund 3 Metern werden laut momac durch das System ausgeglichen.

Oder nach Backbord: Der Korb samt Techniker bleibt immer ruhig.

(Bild: momac)

Technisch besteht das System im Wesentlichen aus einem handelsüblichen Industrieroboter, der um sechs Achsen beweglich ist, und einer hochauflösenden Sensorik, die die Beschleunigungen des Schiffs misst. "Die Sensoren nehmen die Schiffsbewegungen auf, und eine eigens entwickelte Steuerung gleicht die Bewegungen aus", erklärt momac-Geschäftsführer Stefan Leske. Die Auswertung der Sensorsignale und die Umsetzung in die Echtzeitregelung des Roboters erfolgt mithilfe einer Software, die das Unternehmen gemeinsam mit der Uni Duisburg entwickelt hat. "Vor Weitergabe der Steuerbefehle errechnet die Software, ob zum Beispiel zu hohe Beschleunigungen oder Bewegungen gegen Endschalter auftreten könnten. Dann wird diese Bewegung nicht ausgeführt, sondern ein neuer Bewegungsbefehl errechnet", erläutert Leske die Betriebsweise.

Eines muss das MOTS völlig anders machen als andere Maschinen: Diese schalten sich nämlich in kritischen Situationen ab, und genau das darf die Roboterkinematik nicht. Das MOTS muss auch beim Auftreten von Fehlern wie zum Beispiel dem Ausfall eines Elektromotors noch handlungsfähig sein, damit der Personentransfer nicht plötzlich abbricht. Für Notfälle hat momac das System mit einer Sicherheitssteuerung ausgerüstet, die das MOTS in eine Position bringt, in der eine Kollision mit der Windenergieanlage ausgeschlossen ist. Eine Notstromversorgung sichert zudem einen Weiterbetrieb von drei Minuten bei Stromausfall an Bord.

Anlandestelle für Boote an einer Windenergieanlage im ersten deutschen Offshore-Windpark Alpha Ventus in der Nordsee. Hier müssen die Techniker auf eine Leiter am Turmfuß der Anlage übersetzen.

(Bild: Deutsche Offshore-Testfeld und Infrastruktur GmbH & Co. KG (DOTI))

Um Fehler beim Bedienen des Geräts auszuschließen, funktioniert das System zudem fast vollständig ohne menschliches Zutun. Es gibt eine Drei-Knopf-Bedienung mit Start, Pause und Stopp, die vom Kapitän kontrolliert wird. Mit dem Stopp-Knopf wird der Übersetzungsprozess abgebrochen, "ansonsten arbeitet der Roboter autark", berichtet Leske.

Derzeit entwickelt das Unternehmen ein Zugangssystem mit bis zu acht Metern Reichweite, das auf größeren Schiffen eingesetzt werden kann. Da die Offshore-Parks weit entfernt von den Küsten entstehen, wird der Service künftig von größeren Schiffen aus erfolgen, die eine längere Zeit Personal beherbergen können. Da die Schiffe zu schwer sind, um direkten Kontakt mit der Turbine haben zu dürfen, werden sie per Dynamic Positioning kurz vor der Anlage in Stellung gehalten. Das MOTS fungiert dann als eine Art Gangway, über die die Techniker auf die Windturbine gelangen. Auf der Offshore-Windenergie-Konferenz "EWEA Offshore" in Amsterdam stellt momac Ende November die größere Variante seines MOTS-Prototypen erstmals vor. (tae)