Teure Terabytes

Das Jahrhundert-Hochwasser in Thailand bringt die Produktion von Festplatten fast zum Erliegen. In Deutschland sind bereits nahezu alle Laufwerkstypen herstellerübergreifend knapp. Auch die Preise schnellen in die Höhe.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Boi Feddern
  • Georg Schnurer

Thailand kämpft dieser Tage mit dem schlimmsten Hochwasser seit Jahrzehnten. Weite Teile des Landes stehen unter Wasser. Besonders betroffen ist die Region um die Hauptstadt Bangkok. Dort haben auch viele Festplattenhersteller ihre Produktionsstandorte. Marktführer Western Digital fertigt 60 Prozent seiner Laufwerke in der Krisenregion und musste seine beiden Fabriken in den nördlich von Bangkok gelegenen Industrieparks Navanakorn und Bang Pa-in bereits Mitte Oktober schließen. Auch Toshiba hat ein Werk am gleichen Standort, in dem nun ebenfalls die Bänder stillstehen. Weil außerdem wichtige Zulieferer wie der japanische Spindelhersteller Nidec oder US-amerikanische Hersteller von Festplattenaufhängungen, Hutchison Technology, wegen der Flutkatastrophe nicht mehr in Thailand produzieren können, rechnen auch andere Laufwerkshersteller wie Seagate mit Produktionsausfällen, obwohl ihre Werke nicht direkt im Flutgebiet angesiedelt sind.

Die Firma Western Digital versucht Geräte zur Festplattenfertigung an einen ihrer weiteren Standorte in Malaysia zu bringen, um die Produktion zu steigern. Dennoch könne man die Nachfrage im laufenden Quartal voraussichtlich nicht decken. „Wir produzieren dieses Quartal mehr als 30 Millionen Drives weniger als letztes Quartal“, erklärt WD-Unternehmenssprecher Daniel Mauerhofer. „Es wird zu erheblichen Lieferengpässen kommen, die sich wahrscheinlich mehrere Quartale lang bemerkbar machen werden. Wir geben unser Bestes, alle Verkaufskanäle so fair als möglich zu bedienen, so eine Situation gab es in der Harddisk-Industrie meines Wissens noch nie.“

Den größten Sprung machten die Verkaufspreise für Festplatten um den 25. Oktober herum: Der Preis stieg je nach Modell noch einmal um 80 bis 150 Euro. Für lieferbare 3-TByte-Platten werden im Handel mittlerweile bis zu 300 Euro aufgerufen. 1-TByte-Modelle kosten um Schnitt 150 Euro, Angebotsware wie die Hitachi HUA722010CLA330 gibt’s aber auch schon mal für 99 Euro.

Auch Laufwerke anderer Hersteller sind in Deutschland inzwischen knapp und Nachschub für die Händler in den Online-Shops der Distribution kaum noch zu bekommen. Teilweise gibt es auch keine Informationen, wann wieder mit einem Warenzulauf zu rechnen ist. Das führt zu rapide steigenden Preisen: 2-TByte-Festplatten, die bis vor Kurzem im Einzelhandel noch zu Preisen um 60 Euro zu bekommen waren, kosteten bei Redaktionsschluss das Drei- bis Vierfache. Oft handelt es sich dabei jedoch um Mondpreise, hinter denen keine Ware steht.

Ein Blick auf die Preisentwicklung bei den tatsächlich sofort lieferbaren Laufwerksmodellen zeigt deutlich die Verunsicherung auf dem Markt: Als am 13. Oktober die ersten Nachrichten über die sich anbahnende Überschwemmungskatastrophe in Thailand bekannt wurden, bleiben die Verkaufspreise erst einmal stabil. Erste Preissprünge um bis zu 40 Prozent zeichneten sich ab dem 20. Oktober ab. Richtig teuer wurden Laufwerke erst nach dem 25. Oktober, als klar wurde, dass die gesamte Festplattenbranche direkt oder indirekt von der Katastrophe in Thailand betroffen ist. Weit über 150 Euro werden inzwischen für lieferbare Festplatten mit ein bis zwei TByte Kapazität gezahlt. Bei den 3-TByte-Modellen müssen sich Käufer auf Preise zwischen 230 und 300 Euro einstellen.

Dass in so mancher Kalkulation aber durchaus noch Luft ist, zeigt die Preisentwicklung bei etwas älteren Laufwerksmodellen wie der Hitachi HUA722010CLA330: Obwohl das 1-TByte-Modell zwischenzeitlich für gut 150 Euro verkauft wurde, bot es ein Händler zum Redaktionsschluss als Aktionsware für knapp 100 Euro an, das ist nur wenig mehr, als vor dem Lieferengpass für das Laufwerk verlangt wurde. Man sollte als Plattenkäufer also auch jetzt nicht darauf verzichten, Preise zu vergleichen.

Wer partout eine neue Festplatte braucht und über ein wenig technisches Geschick verfügt, kann auch zu externen USB-Festplatten greifen: Diese werden zum Teil noch so günstig angeboten, dass es sich lohnen kann, das Gehäuse zu entfernen und die Harddisk als internes Laufwerk zu verwenden. Neben der Bastelei hat diese Sparvariante allerdings noch zwei weitere Nachteile: Man hat hier keine Kontrolle über das letztlich erworbene Festplattenmodell und mit dem Öffnen des Gehäuses erlischt zudem die Gewährleistung.

Händler, die dank ausreichender Bevorratung noch Festplatten liefern können, zeigten sich bei unseren telefonischen Anfragen durchweg zufrieden mit der aktuellen Nachfrage: Das Endkundengeschäft bewege sich trotz der enorm gestiegenen Preise stückzahlenmäßig in etwa auf dem Niveau der Wochen vor der Katastrophe in Thailand. Aus dem Großhandel hört man Ähnliches: Auch hier ist die Nachfrage ungebrochen. Ein Großhändler berichtete uns, dass die Verkäufe sogar um bis zu 50 Prozent zugelegt hätten. Es scheint also, dass sich viele Händler noch einmal mit Festplatten eingedeckt haben, weil sie mit weiter steigenden Preisen rechnen.

Wie lange die Industrie benötigt, um ihre Fertigung umzustellen, lässt sich bis dato nicht seriös beantworten. Seagate geht davon aus, im vierten Quartal nur etwas weniger Laufwerke zu produzieren als ursprünglich geplant. Das genügt aber nicht, um die Ausfälle bei WD zu kompensieren. Da sich Hitachi und Samsung auf die Übernahmen durch WD beziehungsweise Seagate vorbereiten, haben beide – unbestätigten Meldungen zufolge – die Produktion gedrosselt. Insider gehen davon aus, dass sich der Festplattenmarkt frühestens im zweiten Quartal 2012 wieder normalisieren wird. (boi)