Der Wettlauf mit den Maschinen

Informationstechnik vernichtet Jobs und macht die Reichen immer reicher, behaupten zwei MIT-Forscher. Erstmals in der jüngeren Geschichte habe sich im vergangenen Jahrzehnt das Wirtschaftswachstum vom Arbeitsmarkt entkoppelt.

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Von
  • David Talbot

Informationstechnik vernichtet Jobs und macht die Reichen immer reicher, behaupten zwei MIT-Forscher. Erstmals in der jüngeren Geschichte habe sich im vergangenen Jahrzehnt das Wirtschaftswachstum vom Arbeitsmarkt entkoppelt.

Kostet der technologische Wandel Arbeitsplätze oder schafft er neue? An dieser Frage erhitzen sich immer wieder die Gemüter. Die Optimisten sind überzeugt, dass dank neuer Technologien langfristig mehr Jobs entstehen als zuvor. Stimmt so nicht, behaupten nun die MIT-Wissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee in ihrem neuen Buch „Race against the machine“: Die Fortschritte in der Informationstechnik vernichten Jobs und, schlimmer noch, machen die Reichen noch reicher.

Haben die Autoren recht, die beide am Center for Digital Business der Sloan School of Management forschen, bewirkt IT dreierlei: Sie verhilft Managern und Unternehmenslenkern in einigen Branchen zu enormen Einkommen; sie ermöglicht in einigen Dienstleistungssparten, Angestellte durch Software zu ersetzen; und in der Automatisierung von Fabriken ist sie für deren Eigentümer von größerem Vorteil als für die Mitarbeiter.

Allein in den USA flossen zwischen 2002 und 2007 60 Prozent des erwirtschafteten Wohlstands an das vermögendste eine Prozent der Amerikaner. Doch anders, als etwa die derzeitige Protestbewegung „Occupy Wall Street“ anprangert, sind daran nicht nur die Deregulierung der Finanzmärkte und die Steuersenkungen der Bush-Ära schuld. Eine zweite wichtige Ursache ist für Brynjolfsson und McAfee, dass sich das Software-gesteuerte Management ausgeweitet hat und immer mehr digitale Produkte verkauft werden.

„Mittels IT können Superstars – ob Mark Zuckerberg, Lady Gaga oder ein Hedgefonds-Manager – ihre Fähigkeiten für viel mehr Vermögenswerte und Kunden einsetzen, als es zuvor möglich gewesen war“, sagt Brynjolfsson. „Anders als Atome kann man Bits kostenlos, global und verzugslos verbreiten. Alles Digitale, von Software bis zu Musik, kann ein viel größeres globales Publikum erreichen. Dasselbe gilt auch für Software-gesteuerte Geschäftprozesse. Das machen sich CEOs zunutze.“

Zuwachs an US-Jobs außerhalb des Landwirtschaftssektors in verschiedenen Jahrzehnten: Erst in den 2000er Jahren ist netto eine Abnahme zu verzeichnen.

(Bild: U.S. Bureau of Labor Statistics)

Diese Dynamik könnte erklären, warum in den nuller Jahren die Zahl der Arbeitsplätze gesunken ist, während Wirtschaft und Produktivität gewachsen sind. Ein Phänomen, das es in den sechs Jahrzehnten zuvor nicht gegeben hatte. In denen hatte die Wirtschaft jedesmal ein zweistelliges Wachstum gezeigt. „Dank IT wird zwar der ökonomische Kuchen größer“, sagt McAfee. Das bedeute aber nicht, dass auch für jeden das Stück, das er abbekommt, größer wird.

In manchen Fällen werden Arbeitsplätze durch Software direkt obsolet gemacht, beispielsweise bei Flug- und Reisebuchungen. Aufgaben wie die Prüfung von Dokumenten, mit denen früher ein Heer von Rechtsanwälten beschäftigt werden konnte, lassen sich inzwischen durch Scanner und Analysesoftware erledigen. Dieser Trend werde sich durch intelligente Assistentensysteme und Frage-Antwort-Software noch beschleunigen, argumentieren die Autoren. „Sie können heute ein Start-up mit weniger Leuten betreiben als noch vor zehn Jahren“, fügt McAfee hinzu.

Auch die Automatisierung von Fabriken, über die schon in den siebziger Jahren gestritten wurde, ist noch lange nicht am Ende. Ein typischer Fall ist für Brynjolfsson der chinesische Elektronikfertiger Foxconn, in dessen Hallen unter anderem die begehrten iPhones entstehen. Foxconn plant, den Großteil seiner Arbeiter durch eine Million Industrieroboter zu ersetzen. „Das bedeutet, dass dann mehr Erträge zum Kapital fließen und weniger zum Faktor Arbeit“, sagt Brynjolfsson.

Einer, der sein Leben der Erforschung des – auch Technologie-getriebenen – Wirtschaftswachstums gewidmet hat, ist der Nobelpreisträger Robert Solow. „Der technische Fortschritt hat Menschen immer arbeitslos gemacht, doch die Geschichte zeigt, dass die Gesamtbeschäftigung darunter nicht gelitten hat“, sagt Solow.

Es sei noch zu früh, um zu beurteilen, ob sich dies im zurückliegenden Jahrzehnt geändert habe, fügt der 87-jährige Ökonom hinzu. Bei einigen Technologien, die in „Race against the machine“ beschrieben werden, etwa fahrerlosen Autos, könne ein oberflächlicher Leser den Eindruck gewinnen, dass uns enorme Veränderungen im Lebenswandel und riesige Zuwächse in der Arbeitsproduktivität bevorstünden, die noch mehr Menschen arbeitslos machten. Diese Schlussfolgerung sei jedoch übertrieben.

Denn es gebe Milliarden Arme in anderen Teilen der Welt, die nach mehr Wohlstand strebten und so für weiteres Wirtschaftswachstum und mehr Arbeitsplätze sorgen könnten. „Einen Teil davon werden Niedriglohn-Bevölkerungen anschieben, aber für die hochproduktiven, gutbezahlten Arbeitskräfte in reichen Ländern gibt es noch reichlich Gelegenheit zum Export“, sagt Solow.

Die USA und die übrige Welt haben in der Vergangenheit tiefgreifende Veränderungen in Technik und in Arbeitswelt erlebt. So arbeiteten 1800 rund 90 Prozent des US-Amerikaner in der Landwirtschaft, während es 1900 nur noch 41 Prozent waren. Grund sei einerseits der technologische Wandel, andererseits die Erschließung fruchtbaren Ackerlandes im Mittleren Westen der USA gewesen, betont Brynjolfsson. „Natürlich mussten wir uns immer neu sortieren und neue Dinge erfinden. Doch jetzt passiert das so schnell, dass die Menschen nicht mehr hinterherkommen.“

Solow stimmt Brynjolfsson und McAfee zu, dass die Politik kurzfristig mehr für Aus- und Weiterbildung tun sollte. Eine andere Frage, die im Buch nur zwischen den Zeilen gestellt werden, sei jedoch: Wie organisieren wir eine Wirtschaft, in der enorm viele Arbeitskräfte überflüssig werden und fast alle Arbeit von Robotern erledigt wird – auch die Produktion von Robotern?

„An diesem Punkt müssen wir uns Gedanken machen, wie man die Bevölkerung ernährt“, sagt Solow. Ein Weg sei natürlich, das Kapital zu demokratisieren. „Wenn alle Einkünfte effektiv vom Kapital – Maschinen und anderem – erzielt werden, wird die Wirtschaft eine Art riesiger Anlagefonds – eine Situation, in der das Eigentum am ganzen Kapital über die Bevölkerung verteilt wird“, so Solow. Davon seien wir aber noch hundert bis zweihundert Jahre entfernt. „Vielleicht werden wir dies auch nie erleben.“

Für die Gegenwart lässt sich erst einmal festhalten, und Brynjolfsson und McAfee belegen dies, dass die US-Wirtschaft in einem Strukturwandel ist, der vor allem durch Informationstechnik angestoßen worden ist. „Es ist nicht nur die derzeitige Krise – die Art, wie Menschen mit Technik umgehen, ändert sich gerade fundamental“, sagt Brynjolfsson. Und fügt mit Blick auf die Occupy Wall Street-Proteste hinzu: „Darin kommt all das zusammen, was erklärt, warum diese Menschen so wütend sind.“ (nbo)