Blaumachen und die Folgen

Die Hemmschwelle bei den Arbeitnehmern sinkt: immer mehr bekennen sich offen zum "Blaumachen". Doch das ist kein Kavaliersdelikt, sondern Betrug.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Marzena Sicking

Laut einer aktuellen Umfrage planen bis zu einer Million Arbeitnehmer sich im Herbst bzw. Winter krankschreiben zu lassen und "blau" zu machen. Doch ein Kavaliersdelikt ist das nicht, vielmehr müssen Arbeitnehmer, die sich auf so etwas einlassen, mit drastischen arbeitsrechtlichen Folgen rechnen, wie Rechtsanwalt Dr. Christian Salzbrunn erklärt.

Immer wieder geben Arbeitnehmer in Umfragen an, eine Auszeit auf Krankenschein zu planen. Statt Urlaub zu nehmen, lässt man sich also krankschreiben. Ist "blaumachen" aus arbeitsrechtlicher Sicht wirklich so harmlos, wie es in solchen Umfragen klingt?

Salzbrunn: Zwar wird das so genannte "blaumachen" von sehr vielen Arbeitnehmern als Kavaliersdelikt betrachtet. Aber in juristischer Hinsicht handelt es sich streng genommen schon um einen erheblichen Betrugstatbestand. Denn der Arbeitnehmer täuscht seinen Arbeitgeber zunächst einmal über seine Arbeits(un)fähigkeit. Außerdem gilt zu erkennen, dass der Arbeitnehmer sich sozusagen einen weiteren "Urlaubstag" erschleicht und auf Seiten des Arbeitgebers eine finanzielle Verpflichtung auslöst, nämlich die Zahlung des Lohns für die "freien" Tage, obwohl der Arbeitgeber von Seiten des Arbeitnehmers keine entsprechende Arbeitsleistung erhält. Denn das Entgeltfortzahlungsgesetz sieht die Weiterzahlung des Arbeitslohns für die Dauer von bis zu sechs Wochen im Krankheitsfalle vor.

Dr. Christian Salzbrunn arbeitet als Rechtsanwalt in Düsseldorf. Seit 2006 betreibt er eine eigene wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Kanzlei. Zu deren Tätigkeitsschwerpunkten zählen das Arbeitsrecht, der Gewerbliche Rechtsschutz und der Einzug von offenen Forderungen. Überwiegend jedoch berät und vertritt Dr. Salzbrunn mittelständische Unternehmen und Arbeitnehmer bundesweit auf dem Gebiet des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.

Welche Konsequenzen drohen einem Arbeitnehmer, wenn er beim "blaumachen" erwischt wird?

Salzbrunn: Der Arbeitnehmer riskiert sicherlich den Verlust seines Arbeitsplatzes. Wer eine Krankheit nur vortäuscht, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschleichen, kann nämlich in der Regel fristlos gekündigt werden. Einer Abmahnung des Arbeitnehmers bedarf es in solchen Fällen grundsätzlich nicht. Ein fristloser Kündigungsgrund besteht z. B. aber auch dann, wenn ein Mitarbeiter seinem Chef lediglich im Vorfeld androht, krank zu feiern, wenn er ihm nicht einen beantragten Urlaubstag genehmigt.

Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn er den Verdacht hat, dass der angeblich Kranke sich einfach nur eine schöne Zeit macht?

Salzbrunn: Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben einen extrem hohen Beweiswert. Das bedeutet, dass Arbeitgeber den so genannten gelben Zetteln erst einmal uneingeschränkt Glauben zu schenken haben. Außerdem sind Arbeitgeber in der Regel nicht in Kenntnis des Grundes der Erkrankung, denn der Mitarbeiter hat nur die Arbeitsunfähigkeit an sich und ihre voraussichtliche Dauer mitzuteilen, nicht dagegen die Art und die Ursache der Erkrankung (von einigen Ausnahmen abgesehen). Mitarbeiter genießen aufgrund des ihnen zustehenden Persönlichkeitsrechts in der Regel einen erheblichen Schutz, sie sind grundsätzlich auch nicht verpflichtet, den behandelnden Arzt von dessen Schweigepflicht auf Verlangen des Arbeitgebers zu entbinden. All dies macht es für Arbeitgeber natürlich sehr schwierig, den beschriebenen Beweiswert dieser ärztlichen Bescheinigungen zu erschüttern bzw. zu entkräften. Denn erst wenn dies dem Arbeitgeber durch das Anbringen von entsprechenden Beweisen gelingt, obliegt es dem Arbeitnehmer, das tatsächliche Bestehen einer Erkrankung zu beweisen. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber versuchen muss, entsprechende Beweise für ein "blau machen" zu erlangen.

Welche Möglichkeiten aber hat der Arbeitgeber tatsächlich, um an solche Beweise zu gelangen?

Salzbrunn: Bei den gesetzlich krankenversicherten Mitarbeitern kann der Arbeitgeber zunächst einmal versuchen, den so genannten Medizinischen Dienst der Krankenkassen (kurz: MDK) einzuschalten und den Arbeitnehmer dort untersuchen zu lassen. Dies funktioniert aber nur, wenn der Arbeitgeber gegenüber der Krankenkasse des Arbeitnehmers ganz erdrückende Verdachtsmomente bei der Antragstellung für eine solche Untersuchung vortragen kann. Gelingt dies, wird der Mitarbeiter zur Untersuchung geladen. Von Seiten des MDK erhält der Arbeitgeber nach dieser Untersuchung aber keine Diagnose mitgeteilt, sondern er erhält nur die Benachrichtigung darüber, ob eine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bestand oder nicht. Problematisch hieran ist jedoch, dass meistens 7-14 Tage vergehen, bis der Arbeitnehmer zur Untersuchung geladen wird. Handelt es sich also nur um wenige Tage des Krankfeierns, so hilft dies oft nicht weiter. Darüber hinaus kann der Arbeitgeber auch ein Detektivbüro mit der Überwachung des Arbeitnehmers beauftragen. Lassen sich hierüber die Nachweise für ein wirkliches "blau machen" tatsächlich erlangen, ist der Arbeitnehmer nicht nur in der Regel seinen Job los, sondern er kann auch noch dazu verpflichtet werden, dem Arbeitgeber die Kosten für die Einschaltung des Detektivbüros zu ersetzen.

Sind sportliche Aktivitäten oder das Feiern in einer Kneipe denn ausreichende Indizien für den Betrug? Schließlich sagt der Arzt doch in der Regel, dass man tun soll, was einem gut tut.....

Salzbrunn: Während der Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich so zu verhalten, dass er baldmöglichst wieder gesund wird. Der Heilungsprozess darf nicht verzögert werden. Zwar besteht keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, während einer Krankschreibung das Bett zu hüten. Denn es gibt auch Erkrankungen, z. B. eine Depression, wo gewisse außerhäusliche Aktivitäten für den Gesundungsprozess förderlich sind. Je nach der Art der Erkrankung kann es aber durchaus sein, dass z. B. ein nächtlicher Bar- oder Kneipenbesuch den Beweiswert eines ärztlichen Attestes erschüttern bzw. entkräften kann. Dann muss der Arbeitnehmer beweisen, dass er tatsächlich erkrankt war. Brisant wird es für einen Arbeitnehmer in der Regel vor allem dann, wenn er während der Erkrankung einer Nebenbeschäftigung nachgeht und dabei erwischt wird.

Welche Chancen hat ein Arbeitgeber, wenn der Mitarbeiter sich immer wieder nur ein paar Tage krank schreiben lässt, aber das eben auffällig oft, ohne, dass ihm – zumindest auf den ersten Blick – etwas fehlt. Kann er ihn zu einem Arzt seiner Wahl schicken, um den gesundheitlichen Zustand prüfen zu lassen?

Salzbrunn: Wie schon angesprochen, sind solche Untersuchungsmöglichkeiten von Seiten des Arbeitgebers aufgrund des Persönlichkeitsrechts der Mitarbeiter sehr begrenzt. Arbeitgeber haben in der Regel kein Recht, einen Mitarbeiter etwa zu einem eigenen Arzt des Vertrauens zu zitieren. Gehört ein Mitarbeiter jedoch dem öffentlichen Dienst an, kann dies wiederum anders aussehen. Was viele aber verkennen: grundsätzlich steht einem Arbeitgeber auch die Möglichkeit zum Ausspruch einer so genannten personenbedingten Kündigung aufgrund von häufigen Kurzerkrankungen offen, also wenn ein Mitarbeiter überdurchschnittlich häufig erkrankt. Zwar trägt ein Arbeitgeber in einem dann vor dem Arbeitsgericht folgenden Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast für die Berechtigung der Kündigung. Aber selbst wenn sich eine krankheitsbedingte Kündigung in letzter Konsequenz als unrechtmäßig erweisen würde, enden solche Verfahren oftmals mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, da sich die Parteien im Rahmen eines Vergleichs auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verständigen. Denn viele Arbeitnehmer möchten nach dem Erhalt einer Kündigung erst gar nicht an ihren ursprünglichen Arbeitsplatz zurückkehren und versuchen nur noch, eine angemessene Abfindung zu erzielen. (Marzena Sicking) / (map)
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