Musik-Streaming mit Zukunft? Kommt darauf an …

Gerade erst im Massenmarkt angekommen, scheinen Musikstreaming-Dienste schon wieder auf dem absteigenden Ast. Ein Insider mahnt zur Gelassenheit und betont die Chancen des neuartigen Geschäftsmodells für Nutzer, Labels und Künstler.

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Von
  • Johannes Haupt

Überfliegt man die Schlagzeilen der letzten Tage, scheint es nicht gut bestellt um die Zukunft der noch jungen Musikstreaming-Dienste. Das On-Demand-Internetradio Grooveshark sieht sich mit einem wohl existenzbedrohenden Rechtsstreit aus der Musikindustrie konfrontiert. Simfy hat innerhalb von zwei Monaten zum zweiten Mal sein werbefinanziertes Angebot beschnitten. Der Branchenprimus Spotify konnte sich noch immer nicht mit den Verwertungsgesellschaften einigen und steht hierzulande nach wie vor an der Außenlinie.

(Bild: Spotify)

Zuletzt hat ein britischer Aggregator die Musik von mehr als 200 Indie-Labels aus den Datenbanken der Streamingdienste zurückgezogen und damit deren Geschäftsmodell grundsätzlich in Frage gestellt. Denn zur Begründung hieß es, Streaming kannibalisiere die Musikverkäufe und werfe selbst kaum Gewinn für Branchenteilnehmer ab. Dafür sprechen auch die einzigen Zahlen, die bislang zur Umsatzverteilung publik wurden.

Im Gespräch mit heise online negiert der Justiziar eines großen Aggregators die Darstellung, Musikstreaming-Dienste seien der Branche ein Dorn im Auge. Der Aggregator hat weit über 1.000 Labels mit mehreren hunderttausend Songs unter Vertrag. Das Unternehmen, das aus juristischen Gründen ungenannt bleiben möchte, macht nach eigenen Angaben bereits ein Drittel seines Gesamtumsatzes mit Musikstreaming.

1.000 Streams oder drei bis vier Verkäufe

Bei werbefinanzierten Gratisangeboten werden Zwischenhändler demnach in der Regel mit 50 Prozent an den Werbeeinkünften beteiligt. Beim lukrativeren Premium-Modell werden ebenfalls 50 Prozent aller Einkünfte ausgeschüttet, deneben gibt es ein festes Minimum pro Monat pro Nutzer, das durchschnittlich bei 5 Euro liegen soll.

Rechnerisch erhält das Unternehmen nach eigenen Angaben momentan etwa 0,20 bis 0,35 Eurocent pro Stream (2 bis 3,50 Euro pro 1.000 Streams), wobei die Erlöse bei Spotify aufgrund der deutlich größeren Nutzerbasis und damit verbundenen Skalierungseffekten aktuell besser seien als bei Simfy oder Napster. Zum Vergleich: Am Verkauf einer 0,99-Euro-MP3-Musikdatei bei iTunes verdient der Aggregator 71 Cent, bei den meisten anderen Plattformen sind es 60 bis 65 Cent. Im Schnitt schüttet der Aggregator 80 Prozent der Umsätze an die Labels aus, die wiederum um die 50 Prozent an die Künstler weitergeben. Demnach kommen pro 1.000 Streams eines Liedes bei Spotify & Co. 0,80 bis 1,40 Euro beim Künstler an. Den gleichen Verdienst hat er bei drei bis vier MP3-Verkäufen.

Musikfreunde aus der Illegalität holen

Andere Zielgruppe: MP3-Verkauf und Streaming kannibalisieren sich kaum

(Bild: Apple)

Eine solche Gegenrechnung ist in den Augen des Insiders allerdings problematisch. Denn zum einen unterscheiden sich Käufer und Streamer deutlich voneinander: Die neuartigen Abodienste würden vor allem von Musikfreunden genutzt, die sich ihre Songs zuvor auf illegalem Wege besorgten. Diese eher junge Nutzergruppe sei anders sozialisiert als der typische Musikkäufer und ließe sich über Spotify & Co. erstmals legal adressieren. Eine Kannibalisierung gebe es kaum. Zum anderen stellten Streaming-Dienste ein spannendes Instrument zur Promotion neuer Künstler und gerade erschienener Alben dar. Freilich gälte das nicht für jeden Branchenteilnehmer: So repräsentiere der britische Aggregator, der jüngst seine Inhalte nahezu komplett zurückzog, sehr spezielle Labels und Künstler, bei denen die ohnehin überschaubaren Verkaufszahlen tatsächlich merklich von Spotify & Co. beeinträchtigt worden sein könnten.

Das Geschäftsmodell sei nicht nur für die Nutzer attraktiv, sondern auch für die Betreiber durchaus auskömmlich. Die Verkürzung der monatlichen Streaming-Zeit bei Simfy Free sieht der Mitarbeiter des Aggregators als natürliche Reaktion auf Konkurrent Spotify, der bei ihrem Gratis-Modell gerade erst eine Limitierung von maximal fünf Wiedergaben des gleichen Songs einbaute. Zwar werde auch mit der Werbefinanzierung Geld verdient, im Kern müsse es aber darum gehen, Mitglieder zu zahlenden Abo-Kunden zu machen.

In Summe überwögen die Chancen und Verdienstmöglichkeiten für einen großen Teil der Musikindustrie deutlich. Das sähen auch die Labels so: Mehr als 95 Prozent der Kunden des Aggregators ließen ihre Songs auch in den Katalogen der Musikstreaming-Dienste listen, bei der Konkurrenz verhalte es sich ähnlich. Neue Impulse erhofft sich der Vertreter zudem vom Deutschland-Start von Spotify, der allerdings noch nicht absehbar sei.

Einer Erweiterung des Geschäftsmodells von Streamingdiensten wird dagegen noch wenig Bedeutung beigemessen: Spotify hat für den 30. November zu einer Pressekonferenz geladen, bei welcher "eine neue Unternehmensrichtung" (so die Ansage von Spotify) vorgestellt werden soll. Dabei soll es sich nach Informationen von heise online um einen Downloadshop für MP3s handeln – in den Augen des Distributoren-Vertreters stellt das aber dauerhaft nicht mehr als ein Anhängsel zum eigentlichen Kerngeschäft Musikstreaming dar, beileibe keinen Ersatz. (jh)